17.

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Ich saß zusammengekrümmt auf dem Platz, mit dem ich so wunderschöne Erinnerungen verband, dass sie kaum in Worte zu fassen waren. Doch das Glück, das mich damals wie eine warme Wolldecke umhüllt hatte, war nur ein weiterer Auslöser, für den jetzigen Schmerz. Ich konnte unsere Gespräche hören, unser Lachen, unsere Neckereien, ihre Stimme ... Ich sah ihr Gesicht in den Wolken und fühlte ihre weiche Haut unter meinen Fingerspitzen.
Heißt es nicht, was man nicht kennt, vermisst man nicht?
War es so weit mit mir, dass ich diese Zeit verfluchte? Dass ich das Glück verabscheute, das sie aus den versteckten Winkeln des Alltags hervorgelockt und über mich verbreitet hatte? Verabscheute ich die Erinnerungen, die wie Feuer in meinem Herzen brannten? Eiskaltes Feuer, das es unmöglich machte, das klaffende Loch in meiner Brust zu schließen.
Nein. Ihre gestrigen Worten konnten - durften - nicht wahr sein. Unmöglich.
"Unmöglich", wisperte ich, während ich meine Knie noch fester umschlang und die Augen zusammenkneifte. Zu hell.
Wieso war es hier verdammt nochmal so hell? Die heißen strahlen der Sonne verbrannten den Teil von mir, den ihre Worte nicht bereits zerstört hatten. Meine Haut glühte, mein Kopf schmerzte. Ich war erschöpft. Ausgelaugt.
Wieso? Wieso?
Die Fragen hörten nicht auf, schmerzten wie Nadelstiche, die sich in meinen Schädel gruben. Es waren Dartpfeile, die sich in meine Gedanken bohrten. Wer hatte die Zielscheibe dort hingestellt? Konnte derjenige sie nicht raustragen und nach draußen stellen?
Das Gras unter mir war noch feucht vom Morgentau, obwohl die Sonne bereits hoch am Himmel stand. Selbst ihre Farbe erinnerte mich an sie. Alles an diesem Ort.
Und dennoch war ich freiwillig hergekommen - gestolpert traf es mehr. Ich hatte es nicht ausgehalten, mich zuhause im Bett hin und her zu wälzen, schlaflos.
Ich kannte niemanden, dem ich davon hätte erzählen können. Freunde in dieser Stadt, waren nicht dasselbe wie Freunde, wie man sie sich vorstellt. Es waren eher Gesellen, Menschen, mit denen man gerne zusammen abhing oder sich unterhielt. Das Vertrauen fehlte, um ihnen von Tiara oder überhaupt von meiner "Vorliebe" für Mädchen zu erzählen. Soweit ich wusste, wusste niemand außer Tiara und mir, dass es jemals etwas zwischen uns gegeben hatte.
Hatte. Ich verwendete bereits die Vergangenheit, als sei sie gestorben und in gewisser Weise, war sie das auch. Für mich zumindest.
Eine angenehme, kühle Brise wehte mir eine türkise Strähne ins Gesicht und ich seufzte tief bei der Erinnerung daran, wie Tiara so gerne mit meinem Haar gespielt hatte.
Jede Erinnerung war ein Schlag in den Magen, ein neuer Verlust.
Vielleicht würde es mir wieder gut gehen, wenn ich mich an alles erinnert hatte? An unsere Vergangenheit und an alle Zukunftspläne? An alles, was sie jemals gesagt oder getan hatte.
Ja, vielleicht würde es mir dann besser gehen.
Vielleicht.

Das nächste, woran ich mich erinnere, ist das Zerren an meinen Armen und jemand, der mich von hinten packte.

Ich strampelte, schlug um mich, um mich zu befreien.
"Hören sie sofort auf, sich zu wehren. Sie werden hiermit offiziell für homosexuelle Aktivitäten festgenommen. Jeder Widerspruch wird gegen sie verwendet werden."
Meine Kraft schwand augenblicklich. Das ausgeschüttete Adrenalin schmolz dahin und ließ mich wehrlos den Anweisungen folgen. Zwei Männer in Uniform standen vor mir, legten mir Handschellen um und starrten mich grimmig an. Dicke, schwarze Augenbrauen zierten ihre Augen, die Münder zu einer schmalen Linie verzogen. Sie sahen aus wie Zwillinge oder Klone. Ein kalter Schauder lief mir den Rücken herunter.
Der eine lief mir voraus und der zweite wachte von hinten darauf, dass ich schön brav folgte. Ich konnte nicht fassen, was gerade geschah, hatte keine Zeit es zu verarbeiten und, als sei mein Leben nicht bereits am tiefsten Punkt angelangt, den ich mir je hätte vorstellen können, musste ich ausgerechnet in diesem Moment den Kopf zur Seite drehen.
Ich hatte im Augenwinkel etwas blondes gesehen und, fast sicher, dass es nur eine Erscheinung war, wandte ich ihr den Blick zu. Tiara.
Sie stand keine zehn Meter entfernt und blickte mir nach, als ich den Park verließ und in den ausgebeulten, grauen Wagen stieg. Ihre Mund war zu einem Grinsen verzogen, das mich erneut erschaudern ließ, obwohl ihre Augen ganz andere Bände sprachen. Sie ließen mich nicht gehen, klammerten sich an mir fest und ich glaubte den silbernen Schimmer von Trauer und Reue darin zu erkennen. Den roten Funken von Wut und einen schwarzen Hass, den ich niemand genauem zuteilen konnte.
Ein verformter Spiegel dessen, was ich tausend mal verstärkt fühlte.
Die Wagentür wurde mit einem Knall zugeschlagen und beim Wegfahren erhaschte ich durch die Scheibe noch ihr flatterndes türkises Oberteil über der schwarzen, löchrigen Jeans.

Irgendwie. Irgendwo. Irgendwann.Where stories live. Discover now