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Ich versuche, nicht weiter in der Erinnerung zu bleiben, denn ab dem Moment, wurde es nicht mehr schlimm sondern unerträglich. Dieser nicht ganz so stille Mann ist für die meisten Narben und blauen Flecken verantwortlich, der Rest kommt von der Misshandlung durch die Wachen.
Ich blinzele, versuche die Bilder loszuwerden, die sich in meinem Kopf bilden. Die Schreie - oh, wie gut ich den Klang meiner schreienden Stimme kenne! Fast so gut, wie mein Wimmern und Weinen. Mein wortloses ertragen, wenn ich die Kraft nicht mehr habe, mich zu wehren. Ich kenne jeden Schmerzensschrei, jeden Hilferuf. Weiß noch im Traum, wie meine flehende Stimme klingt. Das schlimmste jedoch, bleiben die Gedanken, wenn ich aufgegeben habe. Hatte.

Ich steige eilig in die Dusche, drehe das Wasser auf volle Stärke und auf die höchste Hitzestufe. Ich möchte verbrennen, wenn es sein muss, nur um den Erinnerungen zu entkommen. Das heiße Wasser fließt rauschend auf meine Haut, trommelt auf den Steinboden der Dusche und verschwindet im Abfluss.
Es fühlt sich unglaublich gut an, diese Hitze und das Wasser. Anders als gestern im Regen und doch wunderschön.
Ich nehme mir Seife und einen Waschlappen, der in der Dusche hängt und schrubbe jede einzelne Stelle meines Körpers, als wollte ich die Haut entfernen. Das Gefühl dieser Hände und jeder anderen Körperteile, die ich auf meinem Körper erdulden musste, soll verschwinden. Nie wieder, das schwöre ich, wird mich jemand unerlaubt berühren. Ich schrubbe und verbrenne unter dem Wasser, aber der Schmerz ist nichts im Vergleich zum befreienden Gefühl sich endlich - endlich - sauber zu fühlen. Rein.
Ich wünschte, ich könnte dasselbe mit meinem Gehirn machen. Schrubben und waschen, bis nur noch die schönen Erinnerungen bleiben.
Ich verwende so viel Shampoo, wie noch nie in meinem Leben, kraule meine Kopfhaut, massiere sie und meine Haare, lasse all die negativen, beengenden Gedanken fallen, lasse sie vom Wasser weggespült werden. Irgendwohin in einen Abflusskanal, der vielleicht ins Meer fließt, wo all dieser Schmerz von Fischen und Krebsen oder was es sonst noch alles gibt aufgegessen und verdaut werden kann, bis nichts mehr davon übrig bleibt. Bis meine Vergangenheit endgültig vergraben und vergessen ist. Verstaubt.
Ich richte ein letztes Mal den wunderbaren Wasserstrahl auf mein Gesicht, spüre jeden einzelnen Wassertropfen, der sich mit seinen Gleichgesinnten vereint, ob Freunde oder Fremde. Sie sind alle eins und glücklich - in meiner Vorstellung.
Ein Lächeln bahnt sich einen Weg in mein Herz. Es ist das Lächeln einer Befreiten, die endlich wieder aufatmet.

Als ich mich abgetrocknet habe, laufe ich zur Badtür und spähe hinaus auf den Flur. Tiara hat saubere Wäsche, eine schwarze Hose und eine dunkelrote Bluse mit Dreiviertelärmeln in einen Korb vor die Tür gestellt. Mich überkommt das Gefühl, ihr vielleicht doch eines Tages gänzlich verzeihen zu können.

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Dieses Kapitel widme ich TamyProchaska weil ich ihre Kurzgeschichte "Tales of Woman" verschlungen habe. Sehr, sehr inspirierend!

Irgendwie. Irgendwo. Irgendwann.Where stories live. Discover now