Freja

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Freja war schon immer anders gewesen. Sie hatte zwar außer ihrer Mutter selten andere Menschen gesehen, doch die paar Begegnungen, an die sie sich erinnerte, hatten sie zu dem Schluss gebracht, dass sie nicht so war wie die anderen. Ihre Mutter hatte die richtige Entscheidung getroffen, als sie wenige Tage nach Frejas Geburt in die einsame Hütte am Rande des Järnskogen, des Eisenwaldes, gezogen war.

Freja machte die Einsamkeit nichts aus. Im Gegenteil, sie genoss sie sogar. In Städten und in der Nähe von Menschen fühlte sie sich stets eingeengt. Es zog sie immer in die Natur und vor allem der Järnskogen übte eine nahezu magische Anziehung auf sie aus.
Sie wusste, dass sie ihrer Mutter, Alma, damit Sorgen bereitete, aber sie liebte es, den ganzen Tag durch den Wald und die angrenzende, endlose Ebene zu streifen. Trotzdem erlaubte Alma es ihr jeden Tag aufs Neue. Freja war ihr Ein und Alles und der einzige Grund, warum die einsame Frau überhaupt noch lebte. Leif, ihr Mann, war damals, etwa acht Monate vor Frejas Geburt, in den Trollkriegen ums Leben gekommen. Alma hatte sich daraufhin von allen anderen isoliert. Doch dann hatte sie gemerkt, dass sie schwanger war. Das hatte ihrem Leben wieder ein Ziel gegeben und sie war in der Stadt geblieben, bis Freja geboren war.
Schon damals war Freja ungewöhnlich gewesen. Sie war größer als andere Säuglinge. Auch danach war sie schneller gewachsen als die anderen Mädchen in ihrem Alter, auch wenn sie nur wenige Vergleichsmöglichkeiten hatte.

Jetzt war Freja fünfzehn Winter alt und ihr ganzes Leben war sie nicht einmal krank gewesen. Ihre Mutter meinte sie wäre sehr hübsch und obwohl Freja dann immer schnell das Thema wechselte hatte Alma recht: Freja war groß und schlank und obwohl sie erst fünfzehn war hatte ihr Körper schon ausgeprägte weibliche Rundungen. Ihr Haar war rot und reichte ihr bis zur Hüfte. Das Auffälligste an ihr waren jedoch ihre Augen. Sie waren groß und mandelförmig und von einem so tiefen Grün, dass Alama immer meinte, man könnte den Wald darin erkennen.

Heute war der erste Tag des Herbstes. Als Freja erwacht war hatte ihr die Sonne warm ins Gesicht geschienen und Freja hatte gewusst, dass es ein wunderschöner Tag werden würde.
Jetzt war sie im Wald und strich durch die äußeren, hellen Bezirke des Järnskogen. Weiter innen waren die Bäume riesig und standen so dicht, dass kaum Licht bis zum Boden vordrang. Doch hier, am Rand, war der Wald hell und offen. Freja setzte sich auf einen Baumstumpf und schloss die Augen.
Sie atmete tief ein, sog den Duft des Waldes in ihre Lungen und genoss die Sonne. Der Wald war voll von Leben, überall um sich herum hörte sie es rascheln und knistern und über ihr sangen Vögel.
Freja seufzte. Dies war ihr eigentliches Zuhause. Sie liebte ihre Mutter und auch die Hütte gefiel ihr, aber wirklich zuhause fühlte sie sich nur hier, im Wald.

Plötzlich spürte sie es wieder. Das Lied, das sie schon so oft gesungen hatte aber dennoch immer wieder vergaß. Das Lied des Waldes! Freja begann zu singen, in einer fremdartigen Sprache, die der Wald ihr in den Kopf pflanzte und keiner Sprache glich, die die Menschen sprachen. Und doch verstand Freja sie.
Mit ihrer glockenhellen Stimme sang sie vom Wald, von Geistern und Feen, von Kobolden und Elfen, von Blumen und Bäumen. Und wie immer verstummten die Vögel, die Tiere im Unterholz hielten inne und der ganze Wald lauschte dem Mädchen, dass mit einer Spur von Wehmut in der Stimme den ganzen Wald mit Gesang füllte.
Es war geradezu magisch. Freja spürte, wie ihr warm ums Herz wurde und der Gesang auch sie erfüllte. Wenn sie sang, so dachte sie, wurde sie zu einem Teil des Waldes.

Und so sang sie bis es Abend wurde, und als das Lied verklang, erfüllte sie eine tiefe Traurigkeit. Sie spürte, dass sie nicht da war, wo sie hingehörte. Nur - wo gehörte sie hin?



The Changeling - Die Magie des WaldesМесто, где живут истории. Откройте их для себя