Götterfunke

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Freja saß in ihrem Thron im Zentrum des Järnskogen und ließ ihre Sinne durch den ganzen Wald streifen, während sich vor ihr Schemen aus Licht und Nebel formten und wieder zerflossen. Sie wollte dem Wald mit ihren eigenen Dienern bevölkern und wollte etwas komplett Neues schaffen. Der Wald zeigte ihr die Lebewesen, die ihre Vorgängerinnen hervorgebracht hatten und jedes Mal, wenn Freja dachte sie hätte etwas noch nie dagewesenes erfunden, zeigte ihr der Wald ein Ungeheuer, dass genau diese Gestalt hatte. Freja fauchte zornig und schickte eine Energiewelle durch den Wald. Sie spürte, wie in den Randbereichen einige Bäume umfielen, die gerade von Holzfällern bearbeitet worden waren, und als sie spürte wie sie von den Bäumen erschlagen wurden besserte sich ihre Laune ein wenig. Sie verzog die Lippen zu einem Grinsen und entblößte ihre spitzen, silbrigen Zähne.
"Fürchtet die Skogamor!", flüsterte sie und kicherte.
Das keckernde Geräusch erfüllte den ganzen Wald.
Es fiel Freja mittlerweile leicht, ihren Willen in das Lied des Waldes einzuweben, sie tat es schon nahezu intuitiv. Und der Wald gehorchte bereitwillig. Er gab ihr Kraft und unterstützte sie in ihren Taten. Manchmal sprach er sogar zu ihr, doch meistens kommunizierten sie über das Lied.
Plötzlich kam Freja eine Idee. Sie übermittelte dem Wald ein Bild, und als er ihm mitteilte, dass so ein Lebewesen noch nie einen Fuß in ihn hineingesetzt hatte stimmte sie erfreut in das Lied ein.
Sie wob das Bild in die Melodie mit ein, bis das Lied erklang wie es nie zuvor erklungen war.

Aus Licht und Nebel schälte sich ein Umriss. Freja formte ihn, gab ihm Gestalt und Fähigkeiten. Dann verblasste das Licht und vor Freja stand eine Kreatur, wie es sie nie zuvor gegeben hatte.
Eigentlich sah es sehr unspektakulär aus. Es war eine farnartige Pflanze mit auffälligen, purpurroten Blüten. Doch als Freja einen Befehl in das Lied des Järnskogen wob zerfloss der Farn in hunderte kleine grüne und rote Blätter. Bei genauerem Hinsehen musste man allerdings feststellen, dass die Blätter kleine Ranken hatten, mit denen sie sich wie auf Beinchen fortbewegten. Außerdem waren sie rasiermesserscharf.
Die Masse von Blättern verdichtete sich wieder und einige Sekunden später stand vor der Skogamor eine zwei Meter große, annähernd menschliche Gestalt. Freja nickte zufrieden. Sie hatte einen Gestaltenwandler geschaffen, der im Wald perfekt getarnt war, mit dem purpurrot jedoch auch Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnte wenn er - oder sie selbst - es wollte.
Freja gab ihn frei und er verschwand in den Wald, während sie weitere seiner Art schuf.

Es war Nacht, als Freja plötzlich innehielt. Sie hatte bereits an die hundert der Wesen geschaffen, die sie Lövdjuri getauft hatte. Doch jetzt hatte etwas anderes ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Etwas überlagerte das düstere Lied des Järnskogen, das bis jetzt niemals leiser geworden war.
Eine leise, ätherische Melodie...
Freja wurde schwindelig. Sie spürte, wie sich in ihrem Inneren etwas regte. Etwas an das sie sich schon fast nicht mehr erinnerte...

Plötzlich war alles anders. Freja keuchte, als die Erinnerungen auf sie einstürzten. Die zwei Kinder... Sie hatte sie in Bäume verwandelt! Und die Holzfäller, die sie mit Bäumen erschlagen hatte... Und... Alma... Warum hatte sie das alles getan??? Sie sah an sich hinunter und Ekel erfasste sie. Wie hatte sie zu diesem Monster werden können? Sie rutschte von dem Thron herunter und stolperte die drei Stufen davor hinunter, während sie angeekelt ihre dürren, grauen Glieder betrachtete. Sie wollte nicht in dieser Gestalt sein. Sie fühlte sich dreckig an, verdorben und zerfressen. Freja warf den Kopf in den Nacken und schrie in den Himmel. Die Baumkronen wichen zurück und gaben das Firmament und die strahlenden Bänder der Aurora frei.
Als Freja sie erblickte schwoll die Melodie in ihrem Kopf an und vertrieb den Schmerz ein wenig. In dem Augenblick, als das Licht der Aurora ihren Körper berührte, veränderte er sich. Ihre Haut gewann an Farbe und ihr Körper wurde kräftiger, wohlgeformter. Ihr Kleid, vorher zerfetzt und schmutzig, wurde wieder frisch und sah aus, als wäre es gestern erst genäht worden.

Dort, wo vor wenigen Augenblicken noch die Skogamor gestanden hatte stand nun eine wunderschöne, junge Frau mit hüftlangen, roten Haaren und mandelförmigen, grünen Augen.
Tränen liefen ihr die Wangen hinunter.

Ruhig, mein Kind, erklang eine wohltönende, weibliche Stimme in ihrem Kopf.
"Wer bist du?", fragte Freja schluchzend. Sie dachte daran, wie verzweifelt Alma gewesen war, als sie davongerannt war.
Mein Name ist Sigrún. Ich bin eine Walküre und Teil der Aurora. Von uns kommt die Melodie, die du immer hörst, wenn die Nordlichter den Himmel zieren.
"Warum hört euch niemand außer mir?", fragte Freja.
Unseren Gesang können nur die Götter hören, antwortete Sigrún.
Freja lachte bitter.
"Ich bin kein Gott", meinte sie.
"Im Gegenteil, ich habe es nicht verdient auch nur in Hel zu leben."
Du bist eine Skogamor, das ist richtig. Die Skogamor sind durch und durch verdorben, und doch werden sie von den Göttern geduldet. Du jedoch bist anders. Nicht sehr, aber genug dass du uns hören kannst. Deine Mutter - Alma, nicht die alte Yggdra - war eine sehr besondere Frau. Sie hat es dir nicht erzählt weil sie es selbst nicht mehr weiß, aber sie war einst eine sehr begabte Magierin. Sie ist älter als sie selbst weiß. Vor langer Zeit, als der erste Trollkrieg ausgebrochen ist, hat sie ein Ritual durchgeführt, welches selbst die Götter nicht kannten, und hat so den Kriegshammer Thors, Mjöllnir, aus den Fängen des Drachen Nidhöggr befreit. Dann hat sie Kontakt mit den Göttern aufgenommen und die haben sie nach Asgard geholt, wo sie Thor den Hammer übergeben hat. Ein Mensch, der Asgard betritt, wird verändert. Nicht stark. Nicht so, dass er es selbst merkt. Aber die Kinder dieser Menschen sind oft besonders feinfühlig. Deswegen kannst du uns hören. Deswegen kann dein wahres Ich zum Vorschein kommen, wenn wir über den Himmel reiten.
Freja saß einige Zeit stumm da und verarbeite das, was die Walküre ihr erzählt hatte. Dann fragte sie:
"Wenn Alma -"
Sie stockte, dann holte sie tief Luft und begann erneut.
"Wenn meine Mutter so mächtig ist, warum hat sie dann nicht verhindert, dass ich zu diesem... Ungeheuer werde?"
Wie ich bereits sagte hat sie ihr früheres Leben als Magierin vergessen. Das Ritual, mit dem sie Mjöllnir beschworen hat, hat sehr viel Magie verbraucht. Mehr als ein menschlicher Magier haben sollte, selbst ein so mächtiger wie deine Mutter. Darum hat sich der Zauber, nachdem ihre Magie aufgebraucht war, auch von ihrer Lebenszeit ernährt. Zeit und Magie sind sich sehr ähnlich, musst du wissen. Der Zauber hat ihre Vergangenheit in sich aufgenommen und so von ihr getrennt. Da das nicht reichte hat er auch etwas von ihrer Zukunft genommen. Deshalb erinnert sie sich auch nicht an Asgard. In dir lebt jedoch der Göttliche Funke, den sie dort aufgenommen hat, weiter.
Freja schwieg. Das war alles sehr unglaublich. Aber unglaublicher als das, zu dem sie selbst geworden war? Wohl kaum.
"Kannst du mir helfen?", fragte sie schließlich.
Ich fürchte nein. Es tut mir leid, mein Kind. Du bist eine Skogamor. Unser Lied kann den Teil von dir, der Almas Tochter ist, für kurze Zeit von der Dunkelheit befreien, aber auf Dauer ist die Skogamor stärker. Wir müssen bald wieder fort. Das Nordlicht darf nicht lange bleiben. Nur eines noch: Alma sucht nach dir. Sie wird dich finden. Vielleicht werden wir da sein, wenn sie kommt, dann wird sie dich so antreffen wie du jetzt bist. Wenn wir nicht da sind... Nun, du weißt wie dein Dunkler Teil von ihr denkt. Versuche, zu überleben. Lass dich nicht von der Dunkelheit zerstören. Selbst wenn du nur einmal im Monat gut bist, bist du besser als jede andere Skogamor.
Während dem letzten Satz war Sigrúns Stimme immer leiser geworden und auch die ätherische Melodie der Walküren war verblasst. Freja spürte, wie die Dunkelheit in ihr zu rumoren begann.
"Bitte, geh nicht!", rief sie verzweifelt, doch das Licht am Himmel verblasste bereits.
Einmal noch erklang die Stimme der Walküre.
Schlaf, mein Kind. Schlaf für eine Nacht. Das ist alles, was ich für dich tun kann.

Frejas Beine gaben unter ihr nach, als eine Welle der Müdigkeit sie durchspülte. Ranken schossen um sie herum aus dem Boden und fingen sie auf.
Meissssshhterrrrrin!
Freja meinte kurz, eine Stimme in ihrem Kopf zu hören, doch sie wurde übertönt von einem düsteren, disharmonischen Lied. Die Ranken legten ihren hageren Körper sanft auf dem Boden ab und ihre schwarzen Haare lagen wie ein Fächer aus Nacht um sie herum.
Woher kommen diese störenden Gefühle?, dachte sie ärgerlich, während das Licht ihrer silbrigen Augen blasser wurde und ihr die Lider zufielen.

Willkommen zzzzzhhurrrrück, Meisssshhterrrrin!



The Changeling - Die Magie des WaldesWhere stories live. Discover now