Waldnacht

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In der nächsten Woche kam die Aurora dreimal, und jedes Mal hörte Freja die wunderschöne, ätherische Melodie, die von ihr ausging. Bald hörte sie sie auch wenn sie nicht in den Himmel guckte. Sie hörte sie im Haus und sogar im Schlaf. Die Melodie blieb in ihrem Kopf und sie summte sie vor sich hin, während sie ihrer Mutter beim Kochen und Putzen half.
Alma war es unheimlich, das spürte Freja, doch ihr half die Melodie die Sehnsucht nach dem Wald zu verdrängen, zumindest für kurze Zeit. Sie konnte jetzt nicht in den Wald gehen, es gab viel zu tun. Die kleinen Felder hinter ihrer Hütte mussten abgeerntet werden bevor der Frost kam, und es musste Feuerholz für den Winter gehackt werden.

Doch irgendwann waren auch diese Arbeiten erledigt und Freja fand wieder Gelegenheit, den Wald zu besuchen. Wie immer blieb sie in den äußeren, lichten Bereichen des Järnskogen, doch irgendetwas war anders als sonst. Je näher sie den dichteren Teilen des Waldes kam, desto unruhiger wurde sie. Sie spürte eine Anziehungskraft und Neugier, die vorher nicht dagewesen war und sie jetzt näher und näher an die Teile des Järnskogen trieb, die den Mythen und Legenden nach von furchterregenden Geschöpfen bevölkert waren.

Irgendwann konnte Freja dem Drang nicht mehr widerstehen. Als sie wieder einmal im Wald war und das Lied des Waldes vor sich hinsummte beschloss sie, in das Innere des Eisenwaldes vorzudringen, in den eigentlichen Järnskogen. Sie war aufgeregt, als es um sie herum immer dunkler wurde, doch Angst verspürte sie trotz der Geschichten die sie gehört hatte nicht.
Die Bäume wurden immer größer und älter und Freja meinte zu spüren, dass von ihnen eine unendliche Weisheit ausging. Genauso wie die Randbezirke war das Herz des Järnskogen erfüllt von Geräuschen. Während man am Rand jedoch Vogelgezwitscher und Insektengebrumm hörte war die Atmosphäre hier eine ganz andere. Freja hörte das Knarren der uralten Stämme, raschelnde Schritte von größeren Tieren im Unterholz und einmal hörte sie sogar das Heulen eines Wolfes.
Außerdem wurde es immer dunkler. Irgendwann kam es Freja so vor als würde sie durch eine mondlose Nacht laufen. Das seltsamste - und unheimlichste - war, was mit dem Lied des Waldes, welches Freja immer hörte, wenn sie sich im Wald aufhielt, geschehen war.
Die sonst so harmonische und wunderschöne Melodie war, je weiter Freja in das Herz des Waldes vorgedrungen war, immer disharmonischer und düsterer geworden. Es jagte Freja Schauer über den Rücken, doch die veränderte Melodie berührte etwas in ihr. Freja war es unheimlich, doch einem Teil von ihr gefiel das düstere Lied. Sie spürte ein Kribbeln auf ihrer Haut wie wenn ihre Mutter sie streichelte. Irgendwie fühlte sie sich... wohl. In diesem düsteren, unwirtlichen Wald um den sich tausend schaurige Mythen rankten fühlte Freja, das Mädchen das anders war, sich wohl.

Während Freja so in Gedanken versunken war achtete sie nicht auf ihre Schritte und stolperte. Als sie versuchte, das Gleichgewicht wiederzufinden, blieb sie mit den Haaren in einer mit Dornen besetzten Ranke hängen und sog vor Schmerz scharf die Luft ein, als sie sich ein Büschel Haare ausriss.
Sie funkelte die Ranke verärgert an und erstarrte. Ihre Augen weiteten sich, als sie die Haare sah, die in den Dornen hingen. Freja hatte rote Haare, doch diese Haare... Sie waren pechschwarz!
Hastig tastete Freja nach ihren Haaren und hielt sich eine Strähne vors Gesicht. Sie war schwarz wie die Nacht.
Und noch etwas fiel Freja auf. Ihre Hand... Panisch blinzelte Freja, in der Hoffnung, sich geirrt zu haben, doch was sie sah änderte sich nicht. Ihre Hand war schmal und knöchern geworden, ihre Finger lang und dünn, mit kugeligen Gelenken. Sie sahen fast wie krumme Zweige aus. Ihre Haut war wächsern und blass geworden. Freja betastete ihr Gesicht und stellte fest, dass es schmal und lang geworden war. Ihre Lippen waren dünn und spröde, ihre Augen lagen tief in den Höhlen.
Entsetzt stolperte sie durch den Wald, auf der Suche nach einem Teich oder einer Pfütze, irgendetwas in dem sie ihr Spiegelbild betrachten konnte. Als sie fündig geworden war sank sie am Rand des kleinen Teiches nieder und beugte sich ängstlich über das Wasser.

Was ihr entgegenblickte war ein Alptraumbild ihrer selbst. Ihr Gesicht war genauso grau und wächsern wie ihre Hände und ihre Augen waren von tiefschwarzen Augenringen umgeben. Ihre Augen selbst schienen jedoch zu leuchten. Ihre Iris war von einem kalten Silber und strahlte eiskaltes Licht aus. Ihre Lippen waren ebenfalls schwarz und als sie den Mund öffnete, weil sie glaubte zu ersticken, sah sie, dass ihre Zähne spitz waren und silbrig glänzten.
Es war nicht so als wäre ihr Spiegelbild eine andere Person. Freja erkannte sich eindeutig selbst darin. Es war jedoch eine verzerrte Version ihrer selbst, die geradezu einem Alptraum entsprungen zu sein schien.

Verstört sprang Freja auf und rannte zurück in die Richtung, aus der sie gekommen war. Erst bemerkte sie es nicht, doch irgendwann fiel ihr auf, dass sich Wurzeln und Äste in ihrem Weg zurückzogen, sodass sie nicht stolperte oder hängen blieb. Die Erkenntnis traf Freja wie ein Schlag. Sie ging zu Boden und ihr wurde schwarz vor Augen.


"Ssssiehh issshht bald sssshhoweit, Meissssshhterrrrin!"

"Bringt sie raus, sie wird wiederkommen wenn die Zeit reif ist."


Als Freja wieder zu sich kam war sie erfüllt vom Lied des Waldes, so wie sie es kannte. Sie fuhr hoch und sah sich um. Um sie herum war es hell und grün, sie war wieder im Randbereich des Järnskogen. Sie hielt sich die zitternden Hände vors Gesicht. Sie sahen normal aus!
Mit fahrigen Bewegungen tastete sie nach ihrem Haar und betrachtete es. Auch ihr Haar hatte wieder die gewöhnliche, rote Farbe. Freja liefen Tränen der Erleichterung über die Wangen, als sie sich auf den Heimweg machte.
Insgeheim wusste sie jedoch, dass sich etwas geändert hatte. Sie würde wieder in das Herz des Järnskogen gehen, dass spürte sie. Ein schrecklicher, dunkler Teil von ihr, von dem sie vorher nicht gewusst hatte, dass er existierte, zerrte an seinen Ketten und würde sich bald befreien.

Und er sehnte sich nach der dunklen Musik des Eisenwaldes.


The Changeling - Die Magie des WaldesWhere stories live. Discover now