Skogamor

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Wütend, verstört und geschockt rannte Freja aus der Hütte. Sie rannte über die Wiesen am Waldrand, in den Wald, immer tiefer und tiefer. Es wurde dunkler, die Bäume wurden größer und älter.
Freja spürte ein Kribbeln, während sie immer tiefer in den Järnskogen vorstieß. Im Rennen hob sie die Hand vor ihr Gesicht und ich Verdacht bestätigte sich: Sie war wieder grau und knochig geworden.
Als Freja wieder nach vorne sah bemerkte sie auch, wie sich vor ihr eine Gasse im Wald bildete, wie Äste und Wurzeln zurückwichen und Ranken von ihrem Weg krochen.

Irgendwann wurde Freja langsamer und hielt schließlich an. Verwundert sah sie sich um. Wovor war sie davon gerannt? Warum sollte sie überhaupt vor etwas davonrennen? Sie fühlte sich stark, obwohl ihr Körper so schwächlich und krank aussah. Das dunkle Lied des Järnskogen war in ihr zu einer Sinfonie der Dunkelheit angeschwollen. Sie spürte, wie sie durch ihre Adern floss wie Blut und nahezu aus ihr herausdrängte. Sie war voll und ganz von ihr erfüllt. Und da war noch etwas... Ein Gefühl, dass Freja schon ihr ganzes Leben lang begleitet hatte, war verschwunden.
Immer hatte sie Sehnsucht empfunden. Wonach, dass hatte sie nie so wirklich gewusst, aber es hatte etwas mit ihrem Zuhause zu tun.
Jetzt, tief im Herzen des Järnskogen, war dieses Gefühl verschwunden. Das erste Mal seit Freja denken konnte fühlte sie sich zuhause!
Sie warf den Kopf in den Nacken und lachte, ein rauer, heiserer Laut. Früher hätte es sie erschreckt, aber jetzt fühlte sie sich nicht mehr fremd in diesem Körper. Sie hielt sich erneut die Hände vors Gesicht, um sich das erste Mal richtig zu betrachten. Zu schade dass sie nicht mehr wusste, wo der Teich war, in dem sie sich das letzte mal betrachtet hatte...

Plötzlich spürte sie ein Kribbeln in ihren Fingern und sie bemerkte, dass ein silbriger Nebel von ihnen ausging. Das dunkle Lied in ihrem Inneren war noch lauter geworden und drängte von innen gegen ihre Lippen. Sie gab ihm nach und erhob die Stimme. Jetzt klang sie nicht mehr rau. Sie ähnelte ihrer früheren Singstimme, doch jetzt war sie viel voller und schien dem düsteren Lied Leben einzuhauchen. Während sie sang wurde der Nebel, der aus ihren Händen quoll, dichter und heller.
Dann, plötzlich, brach kaltes, silbrig blaues Licht aus den Stämmen der Bäume, die sie umgaben hervor und strömte in Bändern auf ihre Stirn zu. Das Licht drang in sie ein und brachte ihre Haut zum leuchten, während der Nebel sich zu einem Strom verdichtete. Dann trat aus Frejas Mund ebenfalls ein Band des silbrigen Lichtes hervor und verwebte sich mit dem Nebel in der Luft vor Freja zu einer aufrecht in der Luft schwebenden Scheibe. Der Strom von Nebel und Licht versiegte und plötzlich wurde der Nebel klar. Freja sah jedoch nicht den Wald hinter der Scheibe, sonder ein Spiegelbild ihrer selbst! Die Scheibe aus Licht und Nebel war zu einem Spiegel in der Luft geworden!
Das Lied des Järnskogen wurde wieder leiser und Freja verstummte. Sie betrachtete sich eingehend in dem Spiegel. Ihr ganzer Körper war hager und schmal, doch er strahlte eine kalte Macht aus, die Freja einen lustvollen Schauer über den Rücken jagte. Ihr Haar war nicht nur schwarz wie normales schwarzes Haar. Es sah aus als wäre es aus dunkelster Nacht gesponnen und war von dem schwärzesten Schwarz dass Freja jemals gesehen hatte. Ihre silbernen Augen leuchteten wie Monde in ihren schwarzen Höhlen und ihre spitzen, silbrigen Zähne verliehen ihrem Lächeln, dass sonst so süß war, etwas dämonisches. Außerdem fiel ihr nun etwas auf, was sie beim letzen Mal in ihrer Panik entweder übersehen hatte oder das noch nicht dagewesen war. In ihrer Stirn glänzte wie ein drittes Auge ein schwarzer Edelstein, in dem silbrige Punkte glitzerten wie die Sterne am Nachthimmel. Er war genau an dem Punkt wo eben das Licht aus den Bäumen hingeströmt war.

Nachdem Freja sich eine Weile betrachtet hatte sah sie sich den Spiegel genauer an. Es war kein richtiger Spiegel, sondern einfach nur eine Stelle in der Luft, die nicht durchsichtig war, sondern reflektierte. Als Freja eine Hand danach ausstreckte und sie berühren wollte, wurde sie wieder zu silbrigem Nebel und verflüchtigte sich.
Freja zuckte mit den Schultern und ging stattdessen zu einem der Bäume, aus denen das Licht hervorgebrochen war. Sie betastete die Rinde und hörte, wie das dunkle Lied in ihrem Kopf wieder anschwoll. Plötzlich gab es einen grellen Lichtblitz und alles um Freja herum wurde schwarz. Freja war es, als würde ihr Geist zerrissen. Sie fühlte, wie sie in tausend Richtungen gleichzeitig gezerrt wurde und vor ihrem inneren Auge tauchten Bilder von geisterhaften, weißen Bäumen auf. Sie wusste nicht wo sie war. Es fühlte sich an, als wäre sie überall gleichzeitig und doch nirgendwo. Panisch konzentrierte sie ihre Gedanken auf einen Punkt und es gab wieder einen Lichtblitz.
Plötzlich war der Wald wieder da. Freja sah sich um und stellte erstaunt fest, dass sie sich nicht mehr da befand, wo sie vorher gewesen war. Irgendwie war sie zu dem Teich gekommen, an dem sie das letzte mal gewesen war!
Bevor sie sich darüber wundern konnte schwoll das Lied des Järnskogen wieder an und als es wieder leiser wurde, wusste Freja, was passiert war. Eigentlich hatte sie es schon immer gewusst, jetzt, wo sie darüber nachdachte. Sie war von einem Baum zum anderen gereist. Das war ein Teil der Macht einer Skogamor. Eine Skogamor... Jetzt wusste Freja endlich, was sie war.

Sie war kein Mädchen. Sie war kein Mensch.

Sie war eine Skogamor.


The Changeling - Die Magie des WaldesWhere stories live. Discover now