Eisenwald

56 4 3
                                    

Alma lag auf dem Boden und schluchzte unkontrolliert. Sie hatte mit angesehen, wie Freja uns dem Haus in den Wald gerannt war. Sie hatte ihr schreckliches Lachen gehört.
Und ihre Augen... Dieses schreckliche, kalte Silber... Warum ausgerechnet Freja?
Natürlich kannte Alma die Geschichten, die man sich über die Skogamor erzählte. Sie selbst hatte sie während ihrer Schwangerschaft oft zu hören bekommen. Schon früh hatte sie gedacht, dass etwas mit Freja nicht stimmte. Bei Hel, sie war sechzehn und sah aus als wäre sie zwanzig! Und dann war da noch die Tatsache dass sie niemals krank gewesen war. Nicht einmal einen Schnupfen hatte sie gehabt. Wirklich klar war es ihr jedoch erst geworden, als Freja immer mehr Zeit im Wald verbracht hatte und immer weniger Zeit zuhause. Der Wald war die Heimat der Skogamor...

Jetzt war Freja weg. Es war genau das passiert, was die Geschichten erzählt hatten. Ein Weinkrampf schüttelte Alma. Jetzt hatte sie wirklich niemanden mehr. Sie war vollkommen alleine.

Sie lag den ganzen Tag am Boden. Alle Energie hatte sie verlassen. Sie schaffte es nicht mal, die Tür zuzumachen, die Freja offen gelassen hatte. Sie kam nicht zurück. Alma hatte nicht wirklich damit gerechnet, aber sie hatte gehofft dass sie sich irrte. Es wurde empfindlich kalt in der Hütte, denn das Herdfeuer war gegen Mittag ausgegangen und der Winter stand vor der Tür. Alma war es egal.
Wenn ich erfriere ist es wenigstens alles vorbei, dachte sie.

Als sie aus dem Wald das Heulen eines Wolfes hörte, kam ihr ein weiterer Gedanke.
Ich könnte sie suchen. Wahrscheinlich wird sie mich umbringen. Aber dann hätte ich sie wenigstens noch einmal gesehen. Dann hätte ich Gewissheit.
Sie sammelte die schwachen Kräfte, die ihr geblieben waren, und rappelte sich auf. Dann begann sie, ein Bündel für eine Reise durch den Wald zu packen.


Freja streifte durch ihren Wald und sog die Energie der Bäume in sich auf. Ab und zu feuerte sie eine Wolke aus Licht und Energie hinter sich und wurde dadurch durch die Luft geschleudert. Sie stieg immer höher und höher in die Baumkronen auf. Irgendwann brach sie durch das Blätterdach und ein atemberaubendes Panorama eröffnete sich ihr. Sie befahl dem Baum unter sich, einen Ast nach oben wachsen zu lassen, auf dem sie stehen konnte. Dann sah sie sich um. Um sie herum erstreckte sich in jede Richtung fast bis zum Horizont der Wald - ihr Wald. Das gehörte alles ihr! Wie um sich selbst zu bestätigen schickte einen Befehl durch den Baum unter sich, verwob ihn mit dem Lied des Waldes und lies ihn von Baum zu Baum wandern, bis der ganze Wald wogte und rauschte wie in einem Sturm. Sie spürte, wie die Angst der Menschen auf der Midgard Seite des Järnskogen zu ihr aufstieg und lies ein grausiges Lachen erklingen, das sie mit dem Lied des Eisenwaldes so verstärkte, dass es im ganzen Wald zu hören war.
Wieder ließ sie den Blick umherschweifen. Auf der Asgard zugewandten Seite konnte sie blass, von Nebel verhüllt, die Burg der Götter ausmachen und das glitzernde Band des Bifröst, der Regenbogenbrücke.
Die Götter... Ha! Sie saßen da, Odin, Thor und die ganzen anderen, in ihrer Götterburg und ließen die Menschen ihre mickrigen Leben leben. Nur Loki, der Gestaltenwandler, lies sich manchmal dazu herab, sich unter die Meschen zu mischen.
Doch sie, Freja, die Skogamor des Järnskogen, sie war hier! Die Menschen waren hier, direkt zu ihren Füßen, und sie konnte mit ihnen machen, was sie wollte.
Erneut wurde der Wald von Frejas dämonischem Lachen erfüllt.


Am Rande des Järnskogen spielten zwei Kinder im Unterholz verstecken. Sie liefen immer weiter in den Wald hinein, auf der Suche nach guten Verstecken. Ihre Mutter hatte sie ermahnt, nahe am Waldrand zu bleiben, doch das Geschwisterpaar bemerkte nicht, dass es um sie herum immer dunkler wurde. Plötzlich entdeckte das Mädchen einen großen, regenbogenfarbenen Schmetterling in einiger Entfernung zwischen dem Bäumen. Die Geschwister rannten ihm lachend hinterher, immer tiefer in den Wald hinein.
Als sie auf einer Lichtung ankamen, verschwand der Schmetterling plötzlich. Etwas verängstigt sahen die Kinder sich um. Mitten auf der Lichtung stand ein kleiner, knorriger Baum. Als die Geschwister sich ihm näherten, knarzte er und fing an, sich zu bewegen. Die beiden Kinder schrien auf und wollten wegrennen, doch von dem Baum schossen zwei Lichtbänder auf sie zu und sie meinten, kurz eine schaurige Melodie zu hören. Dann merkten sie, dass sie sich nicht mehr bewegen konnten.
Währenddessen schrumpfte der Baum, seine Äste wurden zu Armen und Beinen. Die Kinder begannen zu weinen, als sie die schaurige Gestalt sahen, die vor ihnen stand. Sie war groß und hager, mit knotigen Gelenken und grauer Haut. Ihr Haar war schwarz wie die Nacht und ihre Augen leuchteten silbrig. Licht brach aus ihr hervor, als sie die Stimme zu einem Lied erhob. Nebel umfloss die Kinder und ein schwarzer Edelstein in der Stirn der Gestalt vor ihnen leuchtete hell auf.

Ihre Schreie erstarben, als sich ihre Haut in Holz verwandelte.

Der Wald war um zwei Bäume größer geworden.

Freja lachte.


In weiter Ferne, in einem anderen Teil des Waldes, drang das Lachen an Almas Ohren.
"Ich werde dich finden. Und wenn es das Letzte ist, was ich tue", flüsterte sie.



The Changeling - Die Magie des WaldesOpowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz