Himmelsmusik

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Mit der Dunkelheit waren Wolken aufgezogen und als Frejas Lied verklang fielen die ersten Regentropfen. Es war kalt geworden und Freja machte sich auf den Weg nachhause. Der Wald war still, die Tiere hatten Zuflucht vor dem Regen gesucht, der jetzt immer heftiger wurde. Freja genoss die Stille und lauschte dem Prasseln und Rauschen des Regens auf den Blättern der Bäume. Bald waren die Baumkronen nass und die Tropfen drangen bis zum Boden des Waldes vor. Sie waren kalt und nach kurzer Zeit war Freja vollkommen durchnässt, doch das störte sie nicht. Sie war schon immer sehr unempfindlich Kälte gegenüber gewesen. Jedes andere Lebewesen im Wald suchte Zuflucht vor der Kälte und der Nässe, doch Freja störte sich nicht daran. Im Gegenteil, sie genoss es, denn durch die Stille die bei Regen herrschte hatte sie das Gefühl, dass der Wald ganz alleine ihr gehörte.
Freja schloss die Augen, legte den Kopf in den Nacken und drehte sich mit ausgebreiteten Armen im Regen. Ein Lachen stieg in ihrer Kehle auf und sie ließ ihm freien Lauf.
Die Luft duftete nach nassem Laub und Holz und das Raunen der Baumkronen im Wind und Regen erfüllte den ganzen Wald. Vom Waldesinneren kam das Knarren der riesigen Bäume, die sich im Wind wiegten. Freja gab sich ganz diesen Sinneseindrücken hin und stimmte in den Tanz der Bäume ein. Sie wiegte sich hin und her, drehte sich während sie vom Wasser umströmt wurde. Die Bäume raunten ihr ihre Begeisterung zu. Freja tanzte und tanzte zur Musik des Waldes, die sie nun wieder in ihrem Kopf hörte, und vergas alles um sich herum.

Irgendwann lies der Regen nach und die Wolken verzogen sich. Freja sank erschöpft zu Boden. Ihr Kleid klebte durchnässt an ihr und ihr Haar hatte das Wasser wie ein Schwamm aufgesaugt und zog an ihrem Kopf. Freja war erschöpft und müde und doch fühlte sie sich wunderbar und glücklich, als hätte sie eine anstrengende Arbeit, an der ihr viel lag, beendet.
In ihrem Tanz war sie immer näher an den Waldrand gekommen und als sie nun aus dem Wald hinaus trat und in den Himmel sah, erschrak sie. Der Mond stand schon einige Handbreit über dem Horizont und Sterne zierten das Firmament. Alma machte sich bestimmt schon Sorgen!

Mit schlechtem Gewissen machte Freja sich auf den Heimweg. Über ihr wurde der Himmel immer dunkler und immer mehr Sterne blitzten auf. Und dann, als Freja ihre Hütte schon in der Ferne sehen konnte, entfaltete die Aurora ihre wunderschönen, magischen Vorhänge aus Licht.
Freja hatte die Nordlichter schon oft gesehen, dennoch blieb sie stehen und starrte mit glänzenden Augen in den Himmel. Genau wie der Wald übte die Aurora eine unerklärliche Anziehungskraft auf Freja aus. Sie konnte die Augen einfach nicht abwenden von den sich windenden Lichtbändern.
Mit einiger Anstrengung riss sie sich los und rannte zu der Hütte, in der sie mit Alma wohnte. Die ganze Zeit meinte sie, etwas zu hören... Etwas, dass in ihr dasselbe Gefühl verursachte wie das Lied des Waldes...

Alma stand schon in der Tür und warf sorgenvolle Blicke in die Nacht. Als sie Freja aus der Dunkelheit kommen sah ließ sie einen erleichterten Seufzer hören und sagte streng: "Freja, du weißt doch dass du nicht so lange von Zuhause fortbleiben sollst!"
Freja nickte und sagte zerknirscht: "Ja, Mutter"
Alma musterte sie und schüttelte dann resigniert den Kopf.
"Wie du schon wieder aussiehst, du bist ja völlig durchnässt! Irgendwann holst du dir noch den Tod!"
Sie wusste, dass das nicht stimmte, Freja wurde nie krank, aber es war ihre Rolle als Mutter ihre Tochter zu erziehen.

Alama hatte schon den Tisch gedeckt und sie aßen gemeinsam zu Abend. Danach fragte Freja:
"Wollen wir uns noch zusammen die Aurora anschauen?"
Alma wusste von Frejas Faszination für die Himmelslichter und sie hatten es zur Tradition gemacht, sich gemeinsam mit einer Tasse warmer Milch vor die Hütte zu setzen und die Lichtbänder zu beobachten, sooft es ging.
Also nickte Alma und Freja stand auf und erwärmte etwas Milch auf dem Herd, der ihnen auch als Heizung diente, weswegen er im Herbst und Winter eigentlich immer brannte. Sie süßte die Milch mit etwas Honig, den sie im Sommer von Waldbienen gesammelt hatte, und sie setzten sich in Decken gewickelt auf die Veranda ihrer Hütte. Obwohl Freja unempfindlich gegen Kälte war, war es doch angenehmer wenn sie es warm hatte.
Sie lehnte sich gegen ihre Mutter und blickte in den Himmel, in dem sich immer noch die farbenprächtigen Vorhänge aus Licht bewegten. Aus der Ferne drang ein leises Rauschen an ihre Ohren, durchmischt mit einem kaum wahrnehmbarem Klingeln, über dem ein leiser, aber dennoch voller, ätherischer Ton lag. Je länger sie auf die Lichter im Himmel blickte, desto lauter und deutlicher wurde der Ton und irgendwann schwoll er zu einer Melodie an, die simpel, aber dennoch wunderschön war. Freja war sich sicher, dass es diese Melodie gewesen war, die sie gehört hatte als sie auf dem Heimweg gewesen war. Irgendwann fragte sie Alma: "Hörst du das auch?"
"Was?", fragte Alma verwirrt.
"Diese Melodie. Ich frage mich, was es damit auf sich hat."
"Welche Melodie?", fragte Alma. "Schatz, ich höre nichts außer das Rauschen des Waldes..."
Freja stutze und wandte den Blick vom Himmel ab, um ihre Mutter anzusehen. Die Melodie wurde sofort leiser und wurde wieder von dem leisen Rauschen überdeckt.
"Wirklich?"
Alma nickte.
"Ich höre eine Melodie... Sie scheint von der Aurora zu kommen...", meinte Freja, mehr zu sich selbst als zu ihrer Mutter. Sie fröstelte.
Alma verzog kurz sorgenvoll das Gesicht, dann wandte sie ihre Augen wieder dem Schauspiel am Himmel zu.

Im Nachhinein dachte Freja oft, dass Alma etwas geahnt hat. Sie hatte sie immerhin großgezogen. Wahrscheinlich hatte ihr Verdacht begonnen, als Freja ihr vom Lied des Waldes erzählt hatte. Sie hatte es damals für vollkommen normal gehalten, dieses Lied zu hören, genauso wie sie es erst nicht seltsam gefunden hatte, dass die Aurora, die sie so oft beobachtet hatte, plötzlich Töne erzeugte.
Doch Alma hatte gewusst dass dies keineswegs normal war. Es musste fürchterlich für sie gewesen sein, als sich der Verdacht in ihr geregt hatte. Bestimmt hatte sie als sie schwanger gewesen war Geschichten dazu gehört. Allen schwangeren Frauen wurden sie erzählt, doch wahrscheinlich hatte sie wie jede andere angenommen, dass diese Geschichten etwas waren, das anderen passierte, aber doch nicht ihr. Am Schluss hatte sich das als falsch erwiesen. In ihren klaren Augenblicken dachte Freja oft daran, wie schrecklich es für ihre Mutter gewesen sein musste. Vor allem als sie sie wiedergesehen hatte...


The Changeling - Die Magie des WaldesWhere stories live. Discover now