10.Kapitel

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An einem verschneiten Samstag Nachmittag kam ich gerade ziemlich aufgelöst von einem Besuch bei George. Plötzlich hörte ich Schritte hinter mir, weshalb ich hastig versuchte die Tränen fortzuwischen.

"Clara, was ist los" fragte Anna, die mich schneller eingeholt hatte als ich ihr zugetraut hätte.
"Nichts" murmelte ich und wandte das Gesicht ab. "Das kannst du mir nicht weiß machen..." Ich beschleunigte meine Schritte um diese Unterhaltung so schnell wie möglich zu beenden. Und tatsächlich blieb Anna ein paar Schritte hinter mir mitten auf dem Flur stehen.
"Ist es wegen George" fragte sie mit leiser Stimme. Wie angewurzelt blieb ich stehen und starrte sie mit weit aufgerissenen Augen ungläubig an. "Glaubst du etwa, dass ich nicht bemerkt habe, wie er dich in letzter Zeit behandelt hat?!"
Resigniert zuckte ich mit den Schultern. "Selbst ein Blinder könnte es sehen..."

Wir hörten, wie jemand sich mit leisen Schritten näherte. Und kurz danach bog ein Hausmädchen vollbeladen mit Putzsachen um die Ecke. Anna, die unser Gespräch anscheinend um jeden Preis fortsetzen wollte zog mich in ihr privates Zimmer.

Annas Zimmer war ganz anders als ich erwartet hatte. Eigentlich hatte ich angenommen, dass alles darin peinlich geordnet war. Doch ich musste feststellen, dass eine gewisse Unordnung herrschte. Neben dem Bett stapelten sich Bücher und der kleine Schreibtisch war überladen mit Papieren und Skizzen.

"Lass dich von George nicht einschüchtern" flüsterte Anna, "ich weiß dass er dich mehr liebt als sich selbst... Sonst würde er sich nicht so verhalten. Zeig ihm einfach, dass du ihn immer noch liebst und gib ihm Geborgenheit."

Anna seufzte, "eigentlich wollte ich mit dir über etwas ganz anderes sprechen..." Ich versuchte ihr ermunternd zuzulächeln.

"Ich möchte Krankenschwester werden" flüsterte Anna. Egal womit ich gerechnet hatte, diese Antwort verblüffte mich. Obwohl es eigentlich offensichtlich gewesen war. So hingebungsvoll wie sie sich um George gekümmert hatte. "Hast du schon mit jemand anderem darüber gesprochen?" Fragte ich nach einer Weile vorsichtig. Anna schüttelte den Kopf, "nein, du bist die erste..."

Ich muss zugeben, dass ich mich in diesem Moment sehr geschmeichelt gefühlt hatte. "Du benötigst doch sicherlich noch eine Ausbildung?"
"Natürlich" antwortete Anna selbstbewusst, "ich habe mich auch schon informiert. Es gibt einen Kurs in der Nähe von London..." Niemals hätte ich der kleinen schüchternen Anna so viel Mut, Selbstbewusstsein und Enthusiasmus zugetraut. Doch je mehr sie mir erzählte, umso überzeugter wurde ich.

"Wann möchtest du es deinen Eltern erzählen?" "Das weiß ich noch nicht" murmelte Anna ein wenig betreten.

Lady Bentley von Highclere Castle Teil IIWhere stories live. Discover now