27.Kapitel

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Die Lage spitzte sich immer weiter zu. Wir hatten gegen Kriegsende keinen einzigen Diener mehr im Haus. Nur noch unseren alten Butler, der als Kammerdiener für alle Herren fungierte und einen alten Stallknecht. Auch viele der Mädchen waren gegangen um als Krankenschwestern zu arbeiten oder sich anderweitig für ihr Vaterland einzusetzen.

Nur zwei alte Pferde hatte die Armee uns gelassen. Die anderen wurden abgeholt und nach Frankreich geschickt. Und wir waren uns sicher gewesen, dass wir sie nie wieder sehen würden.

Die Kohlen waren so knapp geworden, dass wir die großen Räume nicht mehr heizen konnten. Und auch die Mahlzeiten wurden immer dürftiger...

Mir war schon lange klar, dass Robert Highclere Castle nicht ewig würde bewirtschaften können. Aber ich wagte mir nicht mit George darüber zu sprechen. Denn Highclere Castle war für George genauso heilig wie für Robert. Highclere Castle war für die beiden nicht nur ein Zuhause. Es war das Haus ihrer Väter und ihrer Großväter und es war die Aufgabe der zukünftigen Generationen dieses Haus zu bewahren. Sie würden Highclere Castle so lange bewohnen wie es möglich war.

***

Als der Herbst kam wurde es immer kälter im Herrenhaus. Was mich an meine Familie erinnerte und ich beschloss sie mal wieder zu besuchen...

So kam es, dass ich an einem eisigen Herbsttag ganz allein die Straße zu unserem Hof entlang wanderte. Ich fühlte mich fehl am Platze, in meinen feinen Kleidern und den teuren Schuhen.

Ich hatte vergessen wie lang der Weg war. Denn ich war es nicht mehr gewohnt so weit zu laufen.

Als ich endlich das Haus erreichte war ich ziemlich aus der Puste und fragte mich, ob ich so schrecklich verschwitzt aussah wie ich mich fühlte.

Meine Mutter begrüßte mich überschwänglich, obwohl sie noch müder aussah, als ich sie in Erinnerung hatte. Sie wirkte noch älter und grauer und unser Haus sah noch ärmlicher aus als früher. Mein Vater sah ebenso müde und besorgt aus. "Wie geht es euch" fragte ich vorsichtig.

Meine Mutter versuchte zu lächeln und sagte: "es geht schon. Wir machen uns viele Sorgen um Charles, denn wir haben schon lange nichts mehr von ihm gehört..."
"Und wie geht es Thomas, Jim und den Mädchen?"

Meine Mutter seufzte, "Thomas ist schon aus dem Krieg wieder gekehrt. Aber er ist momentan im Obstgarten. Katharine arbeitet in einem kleinen Laden um noch ein wenig Geld zu verdienen und Evelyn ist in London als Hausmädchen angestellt. Sie möchte so bald wie möglich heiraten, doch ihr geliebter, ein junger Diener ist noch in Frankreich... Und Anna hilft uns auf den Hof."

Während meine Mutter sprach rannen ihr Tränen über die Wangen...
Anna kam herein gestürzt. Clara rief sie und fiel mir um den Hals. "Du siehst so wunderschön aus" rief sie und drehte mich einmal um die eigene Achse.

Auch Anna hatte sich verändert. Sie war kein kleines Kind mehr, wie ich sie in Erinnerung hatte. Sondern sie war eine hübsche junge Frau geworden. Ihr Haar war lang und geflochten und ihre Wangen waren zwar etwas eingefallen aber trotzdem rosig...

Hand in Hand liefen wir beiden Schwestern, lachend und Scherzend in den Obstgarten. Das trockene Laub raschelte und knisterte als wir darüber rannten und das schlammige Wasser aus den Pfützen spritzte bis zu unseren Knien...

Unter einem der Bäume kauerte eine dunkle Gestalt. Thomas...

Lady Bentley von Highclere Castle Teil IIWhere stories live. Discover now