25.Kapitel

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Auf den ersten Blick schien es, als hätte Anna nichts mitgenommen. Doch als wir den Raum genauer untersuchten, stellten wir fest, dass sie einige ihrer schlechteren Kleider und ihre Bücher über Medizin fehlten. Auf dem Kaminsims hatte sie einen kleinen Briefumschlag hinterlassen.

Vorsichtig öffnete George den Umschlag und heraus fiel ein kurzer Brief. Da George keine Anstalten machte ihn mir zu zeigen, trat ich einen schritt näher an ihn heran, um die zierliche Handschrift entziffern zu können.

Liebe Familie,
ich habe mich auf den Weg zu einer der Ausbildungsstätten gemacht. Denn ich werde mich durch nichts und niemanden von meinem Entschluss abbringen lassen. Ich möchte, dass ihr wisst dass es mir gut geht und ich vollkommen davon überzeugt bin, dass ich das richtige tue.

Anna.

Als wir zu Ende gelesen hatten faltete George den Brief sorgfältig zusammen und verstaute ihn wieder in dem Umschlag. "Wir müssen meinem Vater bescheid geben" sagte George.
"Er wird wieder toben..."
"Ich weiß" flüsterte George und presste mich fest an sich. "Doch er muss es erfahren..."
Er gab mir einen Kuss auf die Stirn und verließ den Raum.

***

In meinem Zimmer wartete ich auf George. Ich versuchte ein wenig zu lesen, während ich den Lord im Untergeschoss schreien und toben hörte. Sein Geschrei hallte durch jeden Gang und jeden Raum des Hauses. Und ich fragte mich, was die Dienerschaft nun dachte.
Als das Geschrei verklungen war, klopfte es an der Tür. Ich erwartete, dass George herein kommen würde. Doch Lady Catherine betrat völlig aufgewühlt mein Schlafzimmer.

"Ist es wahr?" Fragte sie, ganz weiß vor Schreck.
Ich schlug mein Buch zu und bat ihr den Platz neben mir an. "Ich fürchte, dass es wahr ist" sagte ich mitfühlend.
Catherine war den Tränen nahe, "ich mache mir solch große Sorgen um sie. Sie ist doch fast noch ein Kind..."
"Aber Anna ist nach dem Gesetz eine erwachsene Frau" erinnerte ich, "und ich denke, dass sie stark genug ist um ihren eigenen Weg zu finden."
Lady Catherine lächelte, "du hast recht Clara. Wir müssen lernen unseren Kindern die Freiheit zu geben, die sie brauchen. Sie müssen schließlich irgendwann ihren eigenen Weg zu machen."

Ich nickte, denn dies war eines der Probleme, welches viele Eltern in der Oberschicht hatten.

"Was würde ich nur ohne dich machen" fragte Lady Catherine sich, als sie den Raum verließ und die Tür hinter sich schloss.

Abermals klopfte es an der Tür und dieses mal war es wirklich George der eintrat. Schweigend saßen wir beisammen, als es erneut an der Tür klopfte. Mit hochrotem Kopf betrat der Lord den Raum.
Er wollte sich gerade dafür entschuldigen, dass er in das Schlafzimmer einer Dame kam, als er George erblickte.
"Darf ich dich daran erinnern, dass ihr noch nicht verheiratet seid George?" sagte der Lord in Scherzhaftem Ton und verließ den Raum, ohne darüber zu sprechen, weswegen er gekommen war.

Lady Bentley von Highclere Castle Teil IIWhere stories live. Discover now