Und darauf freute ich mich

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Nachdem ich mich an dem Fischfilet aus dem Ofen mehr als satt gegessen hatte, servierte Tomás „Bolo de Bolacha", einen typisch portugiesischen Kuchen. Traditionellerweise hatte er ihn selbstgemacht. Bereits nach dem ersten Bissen merkte ich, wie mächtig dieses Dessert aus Butter, Puderzucker und Keksen war. Weil ich nicht unhöflich wirken wollte, schlang ich brav ein Stück hinunter. Tomás hatte mich ausgelacht und mich anschließend auf die rote Couch verfrachtet, während er die Küche aufräumte. Sein kleines 1-Zimmer-Appartment in der Nähe des Oberbilker Markts war sehr patriotisch eingerichtet. Mintfarbene Wände, grüne Stühle, weinrote Küchen, rote Couch. Sogar das Tageslichtbadezimmer war mit khakifarbenen Fliesen ausgestattet. Wahrscheinlich eher zufällig, dennoch passte es hervorragend in Tomás' kleines Portugal mitten im Herzen von Düsseldorf.
„Ist dir kalt?", wollte Tomás wissen, setzte sich zu mir und reichte mir ein weiteres Glas portugiesischen Weißweins.
Ich schüttelte den Kopf und kuschelte mich in das Ecksofa. Tomás legte seinen Arm um mich.
„Willst du noch fernsehen?"
„Es ist bestimmt schon total spät, Tomás. Mir fallen die Augen zu."
„Dann ins Bett?", grinste er und kippte das Glas Wein hinunter.
„Wo kann ich mich umziehen?"
„Badezimmer. Ich lüfte nochmal."
„Tu das", sagte ich, nahm den Weekender und verschwand in dem 70er-Jahre Badezimmer.
Nachdem ich mich sorgfältig abgeschminkt hatte, überlegte ich, ob ich wirklich den Satinzweiteiler zum Schlafen anziehen sollte. Tomás hatte mir während des Essens deutlich gezeigt, dass er es gar nicht schlimm fände, würde ich einzig in Unterwäsche neben ihm einschlafen. Ich überließ meinem Bauch die Entscheidung und zog eine graue 7/8-Leggings und ein weißes Longshirt mit V-Ausschnitt aus der Tasche.
Wären wir in München joggen gegangen; ich hätte meine Ausrüstung dabei gehabt!
Ein Blick auf mein Handy verriet die tatsächliche Uhrzeit: 02.11 Uhr. Kein Wunder, dass ich so müde war. Ich zog schnell das Shirt sowie die Leggings an und flechtete meine Zottelmähne zu einem Fischgrätenzopf. Bevor ich das Badezimmer verließ, fiel mein Blick auf die Kette, die Samu mir zum Geburtstag geschenkt hatte. Ich hatte sie bisher nie abgenommen.
Außer an dem Abend, als Samu mich in die Sauna geschleppt hatte. Ich fuhr mit den Fingern über jedes einzelne Kettenglied und überlegte, ob ich sie abnehmen sollte. Dann berührte ich den blauen Anhänger von Tomás und ein Lächeln huschte über mein Gesicht.
Ich hatte genau zwei Möglichkeiten. Entweder schaute ich zurück. Zurück auf die letzten Monate, die Zeit mit Samu, den Kuss. Oder ich trat in das Ungewisse, das Neue, das –vielleicht- Bessere.
Dieses Mal ließ ich mein Herz entscheiden; entschlossen zog ich den goldenen Verschluss nach hinten und schlich aus dem Badezimmer, über den dunklen Flur in den abgetrennten Schlafbereich gegenüber der Eckcouch.
„Schläfst du schon?"
Ich versuchte, Tomás Körper zu ertasten.
„Natürlich nicht", sagte er, rückte auf die andere Seite des Bettes und schaltete die Nachttischlampe an, „ist es dir egal, wo du schläfst?"
„Nur nicht mit den Füßen zur Tür, sonst ist mir alles recht."
„Das bringt Unglück, oder?"
„Ach keine Ahnung. Meine beste Freundin sagt das immer", winkte ich ab und legte mich –in die komplette Bettdecke eingerollt- parallel zu Tomás, „wann klingelt der Wecker?"
„So gegen 06.00 Uhr", antwortete Tomás und pellte mich aus meiner Bettdecken-Makirolle, „noch hab ich keine zweite Decke, sorry."
Auf mein Nicken hin deckte Tomás sich zu und breitete seinen rechten Arm aus, womit er mir den Platz an seiner nackten Brust anbot. Ich kuschelte mich an ihn und legte meine rechte Hand auf seinen Bauch. Dann löschte er das Licht und ich bekam Gänsehaut, weil seine Finger an meiner rechten Schulter auf- und abglitten.
„Samu hat mich geküsst, aber ich habs nicht erwidert", entfuhr es mir plötzlich und presste die Lippen aufeinander.
„Ist ok", hauchte er gefühlvoll und griff nach meiner Hand, „so lange du meine Küsse zukünftig erwiderst."
Ich musste leise lachen.
„Was ist?"
„Das ist mega schnulzig", sagte ich und ließ mich zu einem intensiven Kuss hinreißen.


Als wir am nächsten Morgen Hand in Hand im Hotel ankamen, warteten die Finnen bereits in der Lobby auf uns. Weil wir München früher verlassen hatten als geplant, konnte ich auf der Zugfahrt noch einen Termin zu einer Autogrammstunde in einer der kleineren Musik- und Instrumentenläden bestätigen. Tomás küsste mich zur Verabschiedung und verschwand anschließend in dem Personalraum hinter der Rezeption.
„Guten Morgen zusammen", trällerte ich fröhlich und erntete damit relativ viele böse Blicke. Riku war der Einzige, der Tomás nicht grundsätzlich doof fand. Die Anderen... Na ja.
„What war das?", stammelte Samu und zeigte mit ausgestrecktem Finger auf das Büro.
„Man zeigt nicht mit dem nackten Finger auf angezogene Leute", ermahnte ich ihn und schubste ihn aus der Lobby. Die Anderen folgten uns.


„Is dat wahr?", meinte Gudrun, als ich die Vordertür des Großraumtaxis öffnete, „jetz musse wat ausgebn! Ich trink gern 'n Likörchen."
Ich blickte sie erstaunt an.
„Du hast auch 'N Sunrise Avenue-Abo, oder?"
„Sicha dat!", sie winkte uns rein, „wohin wollta?"
„Behrensstraße."
„Fahr ich hin! Wie gehtet euch?"
Wir nickten und schnallten uns an.
„Und dir, Gudrun?", fragte ich und öffnete das Fenster einen kleinen Spalt.
„Jut jut. Kann nich klagn, wa. Wie is mit dir und Blondie?"
Sie schaltete in den ersten Gang und fuhr los.
„Sie is in love mit dem portugalboy", Samu beugte sich zwischen Fahrer- und Beifahrersitz, „since yesterday evening."
Ich rollte mit den Augen und drehte mich um.
„Er hat mich geküsst, weil seine Freundin sich von ihm getrennt hat."
„You lie!"
„Nenn mir einen anderen Grund für diesen Kuss. Nur einen."
Gudrun sah zwischen uns hin und her.
„The problem is that Samu likes Emma and Emma likes Samu but they are too obstinately", warf Raul ein und fasste sich mit beiden Händen an die Stirn.
„Obst wat? Wat is mit euch?"
„Stur", sagten Samu und ich unisono.
„Warum hasse wat mit dem Typen aus Portugal, wenn Blondie dich geküsst hat?"
„Weil Blondie nicht weiß, was er will", antwortete ich und richtete meinen Blick wieder nach vorne.
„Also is dieser Portugiese nur 'n Lückenfüller, weil dat Blondchen nich weiß, wat los is?"
„Nein. Ich hab ihn gern und bin es leid, mich genau dafür rechtfertigen zu müssen. Ich bin zu alt für sowas."
„You are too old? My girlfriend left me fur eine junge Hupfer. Don't tell me that you are too old."
Ich plusterte die Wagen auf und drehte mich erneut nach hinten.
„Wenn ich an meinem Geburtstag nicht alleine zum Hotel hätte fahren müssen, wärst du jetzt der Mann, neben dem ich heute Morgen aufgewacht wäre!", schrie ich Samu an.
„Are you serious? Du bist gefahren alleine, weil ich noch geholt habe deine Geschenk", stammelte er und zeigte auf die Halskette, „du machst eine tick hinter diese Kuss und gehst nach Chile. Very nice! Du bist so erwachsen!"
Ich schüttelte Zischlaute machend den Kopf und sah aus meinem Fenster.
Keiner sagte etwas.
Auf dem Weg zu dem schnuckeligen Musiklädchen fuhren wir an einer Brückenunterführung vorbei, auf dessen Wände unzählige Plakate für die anstehende Silvesterparty in der Tonhalle hingen. Für das Fotoshooting hatten Samu und Raul Partyhütchen aufgesetzt bekommen; Riku und Sami hielten Sektgläser in den Händen.
Vor Wut stiegen mir Tränen in die Augen.
Es war schön, dass er die Kette noch bei irgendeinem Juwelier besorgt hatte. Aber das alles änderte nichts daran, dass er mir nicht dieses Gefühl gab, welches Tomás mir gab.
In keinster Weise.
„Wat müsst ihr in der Behrensstraße machn?", brach Gudrun das Schweigen.
„Autogrammstunde", schluchzte ich unabsichtlich.
„Warum weinse?", sie gab mir eine Taschentuchpackung aus ihrer Beifahrertür, „wegen Blondie?"
„Ich bin gerade allgemein unzufrieden. Ich weiß auch nicht", schnäuzte ich ins Taschentuch.
„Dat wird."
„Schlimmer geht es ja nicht."
„Dat stimmt wohl."
Schweigend fuhren wir die letzten Meter zu dem Musikgeschäft. Eine Hand voll Fans warteten schon vor dem Eingang. Ich friemelte 20 Euro aus meiner Jackentasche und legte sie Gudrun auf das Armaturenbrett.
„Lass stecken, Liebes. Dat passt scho."
„Nein, Gudrun. Hinterher hast d..."
Sie winkte ab.
Ich formte ein „danke", steckte das Geld zurück und öffnete die Beifahrertür.
Sofort brach wirres Gerede aus.
„Du bist doch die von dem Foto, oder?"
„Bist du mit Samu zusammen?"
„Was habt ihr in der Stadt gemacht?"
„Kennst du Vivianne? Ist sie sauer auf dich?"
Professionell senkte ich den Kopf und ging schnell in den Laden, wo bereits der Besitzer wartete. Wir wechselten einige Worte und besprachen Rahmenbedingungen. Danach half er mir, Tische und Stühle für die Vier bereitzustellen.
Ich öffnete die Eingangstür und wollte die Finnen aus dem Taxi winken, als ich bemerkte, dass sie bereits fleißig für Fotos posierten. Verträumt legte ich den Kopf schief und wartete, bis man sie freigab. Ich fand diese Nähe zu den Fans super.


Während der Autogrammstunde stand ich mit dem Ladenbesitzer unweit hinter den Jungs und quatschte. Immer wieder flogen mir böse Blicke der vor allem weiblichen Fans zu. Riku bemerkte dies und ergriff für mich Partei, indem er den Mädchen immer wieder mitteilte, dass ich die Koordinatorin der Band sei. Zum Schluss gab es noch einige Fotos für die Presse, die sich relativ spät eingefunden hatte.
Zusammenfassend ein sehr angenehmer Arbeitstag.
„Ich habe fertig", sagte Riku und fuhr sich durch die Haare, als endlich alle Fans den Musikladen verlassen hatten. Glücklicherweise hatte ich frühzeitig ein Taxi bestellt, so dass wir nur wenige Minuten nach Verabschiedung bereits auf dem Weg ins Hotel waren. Dieses Mal fuhr allerdings nicht Gudrun unser Taxi.


Im Hotel angekommen blieb ich –im Gegensatz zu den Jungs- direkt an der Rezeption und wartete auf Tomás, der seine Mittagspause mit mir verbringen wollte.
Als Tomás während des Essens bemerkte, wie lustlos ich in meinem Ratatouillegemüse herumstocherte, stellte er mich zu Rede. Nachdem ich ihm abermals mein Herz ausgeschüttet hattet, legte er die Gabel zur Seite und streichelte behutsam meine Hände.
„Wir wärs, wenn wir uns frei nehmen und dann den restlichen Tag miteinander verbringen würden? Nimm dir noch ein paar frische Sachen mit, du kannst dann bei mir bleiben. Wir müssen ja sowieso beide zur gleichen Arbeitsstelle", zwinkerte er.
„Das ist zu viel, nein."
„Emma. Stell dich nicht so an. Iss auf und hol deine Sachen. Wir treffen uns in 20 Minuten im Foyer", bestimmte er.
„Was ist, wenn ich heute nicht frei machen kann?"
„Dann red ich mal mit den Typen aus Finnland."
Er stand auf, küsste mich auf die Stirn und brachte sein Tablett weg.
Wow.
So kannte ich Tomás gar nicht. So bestimmend und einnehmen.
Aber es gefiel mir.


Ich war in mein Zimmer geeilt und hatte vergessen, die Tür im Nachhinein zu schließen. Während ich neue Anziehsachen in einen Stoffbeutel stopfte, vernahm ich auf dem Flur ein Räuspern.
„Was machst du?", fragte Samu und stand plötzlich hinter mir.
„Ich packe" antwortete ich und drehte mich um.
„Fur?"
„Ich schlaf die nächsten Tage bei Tomás."
„Ah", brummte Samu und berührte meine linke Schulter, „maybe ich habe mir fa..."
„Allerdings hast du dich falsch ausgedrückt", führte ich seinen Satz fort, „es gibt nichts, worüber wir noch reden müssen."
„Can I ask you something?"
„Was?"
„Did you sleep with Tomás?"
„Déjà-vu", sagten wir gleichzeitig und Samu musste grinsen.
Ich ließ die Anziehsachen in den Beutel gleiten und setzte mich im Schneidersitz auf das Bett.
Samu tat es mir gleich.
„Hör zu", ich nahm seine Hand, „seit Monaten gehst du mir nicht aus dem Kopf. Selbst gestern Abend nicht. Aber du merkst doch selber, dass das völliger Bockmist ist. Wir versprechen uns immer wieder, dass wir nicht mehr als Freunde sein wollen. Und dann küssen wir uns, weils vielleicht doch mehr ist."
„Ja", hauchte Samu und drückte meine Hand.
„Aber dieses „mehr" reicht nicht. Weder von deiner Seite noch von meiner. Wir sollten uns damit abfinden. Ich will nicht nur einmal mit dir knutschen und dann feststellen, dass ich es nie wieder machen will."
Samu verstand und nickte. Eine andere Möglichkeit hatte er ja sowieso nicht.
„Und why ist es jetzt die portugalboy?"
„Weil er mir das Gefühl gibt, etwas Besonderes zu sein."
„Wooh, ok. But du bist special für mich."
„Aber nicht special genug. Und damit versuch ich seit Tagen umzugehen. Ich versteh, dass du gekränkt bist, weil Vivi dich betrogen hat. Aber benutz mich bitte nicht zum Aufpolieren deines gekränkten Egos."
„Ich wollte nicht."
„Vielleicht nicht bewusst, aber unbewusst. Das mitunter ist auch ein Grund, warum ich nicht hier sein will. Ich will nicht, dass wir 24 Stunden aufeinander hocken."
„Aber bei portugalboy und dir is ok?"
„Nein, mit Sicherheit nicht. Aber deine Anwesenheit schadet mir momentan mehr, als dass sie mir gut tut."
Er nickte.
Puh. Es tat mir so unendlich leid, dass ich ihm so deutlich sagen musste, was los war.
Auf der anderen Seite sah ich mich vor meinem geistigen Augen bereits wieder in Tomás Armen liegen.
Und darauf freute ich mich.



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