Verknallt

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Da saß ich nun. In einem Regionalexpress von Düsseldorf nach Bochum, mit nichts mehr als meinem Koffer, in den mein komplettes Leben passte. Gudrun hatte mir angeboten, mich nach Hause zu fahren. Aber das lehnte ich dankend ab.
Ich wollte alleine sein.
Mit nichts und niemandem reden.
Gedanken an meine aussichtlose Zukunft verschwenden.
Meinen 5-Jahres-Plan über Bord werfen.
Daniel war jetzt kein Junggeselle mehr. Also musste ich mir schnellstmöglich ein neues WG-Zimmer oder eine Wohnung suchen. Meine Möbel standen zwar noch immer in der Wohnung in der Finkenstraße, allerdings hatte Julian schon eifrig mit der Planung des Büros begonnen. Die nächsten Wochen musste ich notgedrungen bei Leni oder meinen Eltern unterkommen - hatte mein Freund mich doch monatelang betrogen.
Der neue Plan war, nach vorne zu schauen.
Irgendwie.
Ich nahm mir vor -egal bei wem ich in der nächsten Zeit nächtigen würde-, niemanden zu lange mit meiner Anwesenheit zu belästigen.


Als ich am Bochumer Hauptbahnhof in Lenis Auto stieg, umarmte sie mich mitfühlend. Ich hatte sie während der Fahrt angerufen und sie gebeten, mir für einige Nächte Asyl zu gewähren. Fast freudig hatte sie zugestimmt.
Während der Fahrt redeten wir kaum. Ich schaute fast ununterbrochen aus dem Fenster und beobachtete die Menschen, die Händchen halten die Straßen passierten. Ich war mir nicht sicher, ob es wirklich mehr Paare gab oder ob ich genau jetzt vermehrt darauf achtete.
In Lenis Wohnung lief ich wie ferngesteuert direkt in das Badezimmer und schaltete die Dusche an. Nachdem ich meine Anziehsachen, die ich über 30 Stunden getragen hatte, ausgezogen hatte, beobachtete ich die Bikinistreifen an meinen Schultern im Badezimmerspiegel. Was hätte ich dafür gegeben, die Zeit zurückzudrehen und wieder dort zu sein. Und nicht früher zurückzufliegen um einen Typen zu überraschen.
„Schweinchen?", Leni klopfte zaghaft an die Tür, „willst du was essen?"
„Ich will nie wieder was essen", antwortete ich niedergeschlagen, stieg unter die Dusche und ließ das heiße Wasser auf mich herunterprasseln.


„Du siehst frischer aus", grinste Leni als ich das Badezimmer verließ, „ich hab dir einen Kakao gemacht. Steht auf dem Tisch."
Ich nickte bedankend und hinterließ im Wohnzimmer Fußabdrücke mit meinen nassen Füßen. Hier stand direkt neben dem Fernseher der Esstisch, auf dem auch mein Kakao stand. In einer Sunrise Avenue-Tasse.
„Was soll der Wink?"
„Welcher Wink?", sie lugte aus der Küche.
Ich hielt die Tasse in die Luft.
„Ich dachte, du würdest dich freuen, alle wiederzusehen."
Die Idee war süß. Und ich vermisste die Zeit bei Universal Music wirklich. War ich am Anfang noch der Brötchen- und Kaffeeholer gewesen, war ich relativ schnell zur Künstlerbetreuerin geworden. Mein Teamleiter Thorsten hatte viel Vertrauen in mich gesetzt und mich einige Tage nach dem Treffen mit dem Management kurzerhand Samu vorgestellt, der in der Zentrale in Berlin sein neues Handy abholen musste. Ich musste schmunzeln, weil er total normal war. Sofort hatte er mir seine Handynummer gegeben. Ich sollte ihn jederzeit anrufen, wenn ich Fragen hätte. Tatsächlich tat ich das auch ein einziges Mal. Ich musste Tourdaten neu bearbeiten. Hatte allerdings das interne Passwort vergessen. Da Robin noch immer im Krankenhaus lag, rief ich Samu selbst an. Der wusste es aber auch nicht mehr.
„Warum grinst du so?", fragte meine beste Freundin und setzte sich neben mich, „Samu?"
„Ja, ganz kurz", lächelte ich, „ich hab an unsere erste Begegnung bei Universal denken müssen."
„Das ist das erste Mal, dass ich dich grinsen sehe, seitdem ich dich vom Bahnhof abgeholt hab."
Ich schmunzelte wieder.
„Hast du ihm echt gesagt, dass das nichts wird?"
„Ja, hab ich. 'N paar Tage vor Abflug", an das Video denkend sprang ich auf und huschte durch den Flur zu meiner Handtasche.
„Was suchst du?"
„Gib mir 'ne Sekunde", kramte ich und löschte die Nachrichten von Tomás ungelesen, bevor ich Leni das Video von Samu vor die Nase legte. Ich beobachtete ihre Mimik. Die ganze Zeit über musste sie grinsen.
„Krass. Ich denke, dass du ihm danach gesagt hast, dass das nichts wird?"
Beschämt nickte ich.
„Entschuldige dich wenigstens dafür", sie ergriff Partei für Samu, „er war dir die ganze Zeit über treu. Und dann servierst du ihn ab."
„Warte mal... Jetzt soll ich mich dafür entschuldigen?"
„Warum nicht?"
„Du warst diejenige, die gesagt hat, dass ich nur auf sein Geld aus wäre? Du hast ihn schlecht gemacht?"
„Nein. Da musst du mich verwechseln", schmunzelte Leni peinlich berührt, „ich war neidisch, glaub ich."
„Glaubst du, ja?"
„Ganz sicher war ich neidisch", gab sie zu, „du hattest freie Wahl zwischen zwei total tollen Männern. Das hat mich gewurmt."
„Danke, dass ich mir Gedanken darüber machen musste."
„Sorry."
„Ey Leni", ich tippte mir mit dem Finger an den Kopf, „gehts?"
„Was ist denn?"
„Ich hab mich für den Affen und gegen Samu entschieden. Weil mir deine Meinung wichtig war."
„Ich habs doch nicht so gemeint."
„Doof, dass du mir das jetzt erst sagst. Man Leni."
Ich hoffte, zu träumen.
Ich hoffte, dass alles ein schlechter Scherz sei und ich wieder aufwachen würde.
In meinem Klappbett in Chile.
Sie war mitunter für dieses Dilemma verantwortlich.
Sie war diejenige, die mir Samu madig geredet hatte.
Und mein Kopf.
Aber sie hatte dazu beigetragen!
„Hast du dich entschuldigt?", fragte sie erneut nach.
„Weiß ich nicht. Ich war betrunken."
„Dann tus jetzt und schreib ihm. Was soll jetzt schon noch passieren, hm?"
„Wie gut du mir zusprichst, Schweinchen", meinte ich trocken und schloss das Video um das Nachrichtenfenster zu öffnen um im gleichen Moment die Tasten zu sperren.
„Ich kann ihm doch nicht einfach schreiben."
„Warum nicht?"
„Weil das verzweifelt wirkt und wir uns echt gefetzt haben."
„Warum?"
„Weil ich eifersüchtig auf 'ne alte Schulfreundin von ihm war. Hat er ja auch gesagt. Diese Miriam."
„Mirja", Leni korrigierte mich, „sie heißt Mirja."
„Schön, dass du dir den Namen gemerkt hast."
„Gern geschehen."
„Leni."
„Ja sorry. Kann ich wissen, dass du so sehr in Samu verknallt bist, dass du dich zu deinem eigenen Schutz für Tomás entscheidest, weil du Angst vor Nähe hast?", meinte Leni trocken.
Wieder öffnete ich das Nachrichtenfenster.
„Und doch willst du ihn in deinem Leben", sie grinste.
„Weils mit ihm schöner ist, klar."
„Und du verknallt bist."
„Leni. Mein Freund hat mich gerade betrogen, verstehst du das? Das Letzte, was ich will, ist 'ne Beziehung."
„Ja klar", blaffte sie und verdrehte die Augen, „ich will auch nur mit Andreas Gabalier befreundet sein."
„Du bist 'n Groupie", lachte ich, „Samu ist was Besonderes."
„Weil du verknallt bist."
„Jetzt hör auf damit. Ich hab das geklärt. Wir hatten weniger miteinander zu tun, als ich in Chile war. Da konnte ich meine Gedanken ordnen."
„Und was hast du da geordnet?", sie klopfte fragend mit dem Zeigefinger an meine Stirn.
„Ich hab mich voll und ganz für Tomás entschieden. Weil da einfach mehr Gefühl war."
„Und damit bist du jetzt auf die Fresse gefallen."
„Das ist dann eben so", ich warf das Handy auf den Tisch und verschränkte die Arme vor der Brust, „ich werde Samu jetzt nicht schreiben, dass ich wieder Single bin. Das hat er nicht verdient. Ich will ihn als Freund zurückhaben. Nicht mehr und nicht weniger."
„Wie reflektierend du sein kannst, wenn du nicht verliebt bist."
Ich rollte die Augen.
„Das ist nicht fair und gut ist. Du würdest das auch nicht wollen."
„Schreib wenigstens, dass du dich freuen würdest, irgendwann wieder etwas von ihm zu hören."
Ich begann zu tippen. Leni wollte mich immer wieder unterbrechen, aber ich hob den Zeigefinger in die Luft um ihr zu signalisieren, dass ich noch nicht fertig war.
„„Hey"", las ich vor, „„pls call me if you're able." Geht das so?"
„Du bist so 'n Klotz."
„Warum? Das ist doch voll nett?"
„Spinnst du? Er fühlt sich vermutlich so wie du momentan. Überfahren, ungeliebt und alleingelassen."
Ich grübelte und löschte den getippten Text.
„Mehr Gefühl, Schweinchen", zwinkerte Leni und stellte unsere Tassen in die Spüle um anschließend eine Zigarette auf dem Balkon zu rauchen.
Ich atmete tief ein und schloss einen Moment die Augen. Er war mein bester Freund. Ich konnte verstehen, wenn er mich gehasst hatte.
Und dennoch.
Dennoch tippte ich erneut:
„Hyvää iltaa paras ystäväni (hope that are the right words for best buddy). I finally arrived in Germany. Hope you're doing ok. Would be nice if you're able to call me. Not in a week but maybe in a month or two or three. Or next year. You're important for me and my life would suck if you aren't a part of it anymore. Yours, E."

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