Eigentlich hätte ich gehen sollen. Sofort

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Ich hatte mich bei allen wichtigen Leuten verabschiedet. Natürlich musste ich mich rechtfertigen. Ich würde auch nicht wollen, dass mein Zwilling meine Hochzeit verließ, bevor die Torte angeschnitten worden war. Aber er konnte verstehen, dass ich noch Zeit mit Samu verbringen wollte. Mit einem zwinkernden Auge versteht sich.
„Vergiss den Brunch nicht!", hatte er noch gerufen.
Richtig.
Der After-Hochzeit-Brunch.
Mit Tomás.
Nachdem ich Samu zum Flughafen gebracht hatte.
Meine finnische Begleitung startete den Motor des BMWs und schaltete das Licht an.
„Weißt du, was ich manchmal frage, wenn ich dich ansehen?", philosophierte ich und sah in den klaren Sternenhimmel.
„No", er fuhr die dunkle Straße entlang, „but you will tell me."
„Warum ich?"
„Wieso?"
„Du könntest überall auf der Welt mit irgendeinem Topmodel am Strand liegen und dir die Eier kraulen lassen. Stattdessen bist du in einer 300.000 Einwohnerstadt im tiefsten Ruhrgebiet und begleitest mich zu der Hochzeit meines Bruders."
„C'mon. Don't be so rude to yourself. Vielleicht weil ich lieber mag die natural beauty?", meinte er und setzte sein Lausbubengrinsen auf.
„Spinner."
„But you like me."
„Stimmt", lächelte ich und sah zu Samu herüber. Er hatte seinen Blick auf die Straße gerichtet und schielte mich nur aus dem Augenwinkel an.
„Guck nach vorne!", befahl ich lachend und griff in das Fach der Beifahrertür um auf mein Handy zu sehen.
Nichts.
Kein Anruf, keine SMS von Tomás.
„Nothing?", fragte Samu und sah zu mir herüber.
„Ach. Ist mir auch egal. Ich hatte einen wunderschönen Tag mit meiner Familie und einem tollen Finnen. Ab morgen mach ich mir vielleicht Gedanken über den Portugiesen", gab ich schnippisch zu und ließ das Smartphone wieder in der Beifahrertür verschwinden, „wann musst du morgen am Flughafen sein?"
„Meine Flugzeug geht um 11.50 Uhr in Dusseldorf."
„Dann fahr ich dich und bringe das Auto anschließend zurück zur Autovermietung."
„No way. Ich fahre!", lachte er selbstsicher.
„Aber ich bring es dann zur Autovermietung zurück. Deal?"
„Deal!", er ballte die Faust und streckte sie mir entgegen. Ich schlug ein.


Zu Hause angekommen kickte ich die Pumps in den Flur und strauchelte müde zur Couch.
„Meine Füße bringen mich um."
Samu suchte gedankenversunken nach irgendetwas in seinem Handy und stellte es dann in die Dockingstation auf dem Regal über dem Fernseher.
„Niemals", nuschelte ich müde, als er mir die Hand entgegenstreckte.
„You said, dass ich kann haben fast alles."
„Eben. Fast."
„Give me that last dance. The last dance for the next months."
Ich setzte mich auf, während Samu die Hängelampe aus und die Stehlampe neben der Couch einschaltete. Er legte sein Sakko über einen der Stühle und forderte mich erneut auf.
Leni hatte recht. Wenn ich ihn so ansah.
Die Haare durcheinander nach hinten gekämmt, das Hemd, die Fliege, seine Unterarme, das Tattoo.
Er war wahnsinnig heiß.
Wieder zog er mich dicht an sich ran, legte seine Hand auf meinen Rücken und umschloss mein rechtes Bein mit seinen.
„Ready?", wollte Samu wissen und wartete auf eine Reaktion meinerseits, um den Playbutton drücken zu können.
Ich nickte. Sofort schwang er seine Hüften. Ich hatte Probleme, mit seinem Tempo mitzuhalten.
„Warte mal", sagte ich und stockte, „du bist mir zu schnell."
Er ließ mich los.
„Start like this", sagte er, wich einen Schritt zurück und begann mit weit auseinanderstehenden Knie wellenartige Bewegungen zu machen. Ich tat es ihm gleich.
„Du musst fühlen, ok?", er zeigte auf meine Hüfte, „du bist meine mirror. Wenn ich gehe zurück, du musst auch."
„Alles klar", ich versuchte mich auf den Rhythmus des Liedes zu konzentrieren.
Samu ging um mich herum, legte seine rechte Hand von hinten auf meinem Bauch und umfasste meine linke Hand mit seiner.
„Right, left, right, left", flüsterte er an meinem Ohr während er mein rechtes Bein erneut langsam umschloss, „up, down, up, right, left, vor, zuruck, vor, zuruck."
Ich schloss die Augen und folgte nur Samus melodischer Stimme, während die Musik im Hintergrund noch immer lief. Durch das gedämmte Licht machte sich eine erotische Stimmung breit, die mir die Luft zum Atmen zu nehmen schien.
„Ok, ich kanns", rettete ich mich selbst aus der Situation und drehte mich zu Samu um.
Er sah mich etwas verstört an, nickte dann aber und spulte das Lied zurück.
Wieder drückte er mich fest an sich, wieder legte er seine Hand auf meinen Rücken, wieder umschloss er mein rechtes Bein mit seinen. Wir begannen uns langsamer als es der Rhythmus eigentlich verlangt hätte zu bewegen und hielten intensiven Blickkontakt, während Samu sich fest in meiner rechte Hand verhakte. Aus der Unsicherheit heraus blinzelte ich einige Male und ließ meinen Blick durch die Wohnung schweifen, um mich nicht weiter in seinen Augen verlieren zu müssen. Sofort reagierte er.
„Alles ok?"
„Ich hab tierische Fußschmerzen", log ich.
Samu setzte sich auf die Couch und klopfte auf seine Beine.
„C'mon."
„Ich hasse Füße", sagte ich und ließ mich neben ihm nieder.
„You don't have to eat them. Let me take a look", meinte Samu und zog meine unteren Extremitäten auf seinen Schoß, „oh. You got a blister."
„Ist es schlimm, Doktor?", witzelte ich.
„Ich habe Wunderhände, I'll make it."
„Das glaub ich", sagte ich laut.
Entgeistert sah Samu mich an und begann zu prusten.
„So war das nicht gemeint!"
„Jaja", meinte er lachend, „hast du oil?"
„Wenn dann im Badezimmer."
Er nickte, stand auf und kam wenige Minuten später mit einem Orangenmassageöl zurück. Ich hatte mich währenddessen richtig auf die Couch gelegt und meine Füße mit Hilfe eines Kissens erhöht. Er legte das Kissen zur Seite, träufelte langsam einige Tropfen auf seine Hände und strich von der Ferse über die Innenseite meines Fußes sanft zu meinen Zehen. Ich schloss die Augen und genoss dieses wohlige Kribbeln an meinen Füßen und in meinem Bauch.
Nachdem Samu beiden Füßen genügend Aufmerksamkeit geschenkt hatte, legte er seine Hände auf meinen Fußrücken.
„Better?"
„Auf jeden Fall", grinste ich müde, „aber jetzt musst du mich ins Bett tragen. Sonst haben wir Flecken auf dem Laminat."
„Und manchmal bist du eine kleine princess."
„Man trage mich in mein Gemach!", formulierte ich hochgestochen.
Er lachte, griff mit einer Hand unter meine Kniekehlen, mit der anderen unter meinen Rücken und hob mich vom Sofa hoch. Ich schlang meine Hände um seinen Hals und drückte mich an ihn. In meinem Zimmer ließ er mich sanft auf das ungemachte Bett fallen.
„My lady", er zog seinen imaginären Hut und wollte rückwärts das Zimmer verlassen.
„Wohin willst du?"
„Couch?"
„Willst du vielleicht mit mir hier schlafen? In einem Bett? Nebeneinander? Nicht aufeinander?"
„I don't know", er verschränkte nachdenklich die trainierten Unterarme vor der Brust und lehnte sich an den Türrahmen.
„Ich fass dich auch nicht an, versprochen."
„I know but I don't trust myself."
„Aber ich vertrau dir", meinte ich ehrlich und klopfte auf die freie Stelle neben mich, „wir ziehen uns um und treffen uns dann in fünf Minuten hier, ok?"
„Ok", grinste er, verschwand sofort im Badezimmer und schloss die Tür hinter sich. Ich sprang panisch auf und durchwühlte auf den Außenseiten meiner Füße stehend meinen Kleiderschrank nach irgendeinem Kleidungsstück, auf dem keine alten Spaghettiflecken waren. Da ich nicht fündig wurde, sah ich in meinem Koffer nach, den ich bisher immer noch nicht komplett ausgepackt hatte. Mir sprang das Shirt einer chilenischen Coverband entgegen, ebenso wie das Album, welches ich erstanden hatte. Hastig pellte ich mich aus dem Chiffonkleid, entledigte mich des Schmucks und streifte das knielange Shirt über. Ganz lässig setzte ich mich erneut auf das Bett; als wäre ich nicht umhergerannt wie eine Irre.
„Coole Shirt", grinste Samu und kam in Boxershorts aus dem Bad.
„Coole Short", gab ich zurück und zeigte auf die leere Seite neben mir.
Samu legte sich ins Bett, zog sich die Decke bis zum Bauchnabel. Ich wandte mich ihm zu.
„Sehen wir uns nach Chile?", fragte er und stemmte den Kopf auf seine linken Handfläche.
„Natürlich."
„Du musst versprechen."
„Ich versprechs", grinste ich, „ich hab dir dein Geburtstagsgeschenk noch gar nicht gegeben."
„I don't want anything!", sagte er fast böse.
„Nun warte doch mal", versuchte ich ihn zu beruhigen und ging zu meinem Koffer. Samu setzte sich auf und beobachtete mich.
„Ich weiß ja, dass du auf Bon Jovi stehst", begann ich, „und in Chile gibt es 'ne Coverband", ich zeigte auf mein Shirt, „die Songs von dem covern. Als ich die gesehen hab musste ich an dich denken und hab dir die CD mitgebracht. Ich wollte nicht schon wieder Wein mitbringen. Hinterher sind wir nur noch befreundet, weil ich immer zusammen betrunken sind."
„Der Wein!", Samu sprang auf und verließ fluchtartig das Zimmer, „ich habe die Barolo still in meine Tasche."
Ich hörte Gläser in der Küche klirren und setzte mich vorerst seufzend wieder auf das Bett. Als Samu zurückkam, hatte er zwei Rotweingläser, einen Flaschenöffner und die Flasche Barolo, die ich bei unserem Kofferraumdinner gekauft hatte, in der Hand. Ich verzog das Gesicht.
„Eine Glas", sagte er bestimmt, hebelte den Kroker mit angespannten Oberarmen heraus und goss nacheinander die Gläser halbvoll.
„Ich hätte nicht gedacht, dass du daran denkst."
„Why bist du immer surprised, if I remember something?", fragte er und reichte mir eines der Gläser.
„Weil du zertreut bist", grinste ich und schwenkte den Wein.
Samu streckte mir die Zunge heraus, ging um das Bett herum und setzte sich wieder neben mich, „auf eine gute Nacht und eine schöne Morgen mit scrambled eggs à la Emma."
„Das war ein Wink", stellte ich fest.
„Wenn du mal bist in Helsinki, du musst das machen für die dudes. They will love it", er zog das „love" unendlich in die Länge.
„Gerne", grinste ich und stieß mit ihm an, bevor ich den 120 Euro-Barolo widerwillig herunterkippte. Ich hatte nichts gegen Rotwein. Aber trockener Wein war überhaupt nicht mein Fall.
Samu beugte sich über mich, um das Weinglas auf den Nachttisch zu stellen.
„It's from 2005", merkte er an, als er auf die Flasche starrte, „you said it was from 2012 and wasn't expensive."
„War er auch nicht", log ich und stellte mein Glas ebenfalls ab.
„Don't mess with me", grinste er diabolisch.
„Will ich nicht. Aber der war wirklich nicht teuer."
„You lie", meinte er und stürzte sich auf mich, um mich zu kitzeln.
„Nein nein nein, lass!", bettelte ich und konnte das Glas gerade eben noch auf die Nachtkonsole stellen.
„How much?"
„Der war billig"
„How much?", fragte er eindringlich.
„Samu, hör auf, bitte", quiekte ich panisch und windete mich unter seinen großen Musikerhänden. Ich hatte keine Chance.
„Emma!"
„Billig!"
„Don't lie!"
„Tu ich nicht", kreischte ich.
„Wie teuer?", er piekste mir zwischen jeden einzelne Rippe.
„Nicht teuer!", schrie ich, als er mich an sich heranzog und die Arme um mich schlang. Er umklammerte mich fest, so dass ich mich nicht mehr krümmen konnte.
„Wie viel?", flüsterte er außer Atem in mein Ohr.
„120 Euro", keuchte ich.
„You'll get it back", versprach er, kniete sich auf die Matratze und fuhr sich durch die Haare.
„Ich will kein Geld von dir", japste ich und drückte mich ins Kissen, „du hast mir wunderschöne Monate bei Universal geschenkt. Das sollte reichen."
„You'll get it back", wiederholte er.
„Halt die Klappe jetzt. Ich kann dich für die Monate nie wieder entschädigen", atmete ich schwer und boxte in seinen Bauch. Er hatte kein Sixpack, konnte sich aber durchaus sehen lassen.
Er nickte und schluckte hörbar, bevor er sich neben mir fallen ließ um mir die Haare aus dem Gesicht zu streichen.
„Max, you know?", fing er an und ließ seine Finger weiter über mein Gesicht gleiten, „ist er die Max, die schlecht ist in die Bett?"
„Allerdings", antwortete ich mit geschlossenen Augen.
Die Luft knisterte nicht mehr; sie brannte. Jede einzelne Berührung von Samu auf meinem Körper jagte mir einen Blitz durch die Adern und brachte mein Blut in Wallung.
„War er immer so?", hakte er nach.
„Nee, nicht immer. Früher war er mal Rocker. Mit längeren Haaren und Bart."
Samu stoppte seine Streicheleinheit und legte seine Hand auf meinem Bauch ab.
Intuitiv öffnete ich die Augen und sah in sein immer noch errötetes Gesicht.
„Really?"
„Musiker halt, ja", ich stemmte mich auf meine Unterarme.
„I thought you really like this kind of guys", Samu und stütze sich ebenfalls auf seinen linken Unterarm, „Schmierlappen."
„Oh bitte, nein! ", ich warf den Kopf in den Nacken.
„You like den Musikerstyle, ja?", zwinkerte er und zuckte sexy mit den Augenbrauen.
„Joa schon."
„Maybe you forgot", er drückte sich an mein rechtes Ohr, „but ich bin ein Musiker."
„Sogar 'n guter, wenn ich das mal so sagen darf", ich zog meinen Kopf von ihm weg und änderte meine Stimmlage, „wir dürfen das nicht, Samu."
Rational zu denken war mir noch nie schwerer gefallen.
„I know", meinte er genervt und drehte sich auf den Bauch, „can I ask you something?"
„Everything", antwortete ich und legte mich auf die linke Seite um ihn direkt ansehen zu können.
„Kannst du sagen, dass du nicht in love bist mit mir?"
„Ja", sagte ich und vergrub meinen Kopf in dem Kissen.
„Kannst du sagen and looking me in the eyes?", er stützte seinen Kopf auf den linken Ellenbogen und hob mit seiner rechten Hand mein Kinn an. Unweigerlich sah ich in seine ozeanblauen Augen und lächelte.
„Kannst du?", fragte er wieder, „please be honest."
Ich war übelst verknallt.
Die Schwärmerei für Tomás war nichts dagegen.
Gar nichts.
Zu lange hatte ich versucht gegen dieses Bauchkribbeln anzukämpfen.
Und als Dank dafür blieb es jetzt konstant.
„Nein", gab ich ehrlich zu, „aber ich kann nicht sagen, dass ich für den Rezeptionisten nichts empfinde."
Wenn ich mich schon offenbarte, wollte ich Samu gegenüber wenigstens fair sein. Es war nicht gelogen, dass Tomás trotzdem etwas in mir auslöste.
Samu grinste triumphierend.
„That's sounds good. But maybe du bist durcheinander, weil du hast die portugalboy lange nicht gesehen?"
„Das bedeutete ja nicht, dass ich dich trotzdem gern haben kann, oder?"
„Sorry, I just wanted to be prepared."
„Ich hab dich echt gern, Samu. Sehr gern", lächelte ich, küsste seine Hand und rutschte auf meine Seite des Bettes, „schlaf schön, Lieblingsfinne", ich zog meine Decke bis zur Brust.
„Du auch", flüsterte er, rutschte an mich heran und legte seinen rechten Arm um mich, „can I say something nice?"
„Hm?", fragte ich und hob den Kopf.
Samu legte sich nah an mein Ohr.
„Ich liebe dich", flüsterte er, „I never felt it that way before. It's anders. Und ich sage nicht, weil ich habe getrunken Salmiakki."
Ich seufzte.
„Ich kann das so nicht erw..."
„Du sollst nicht. Want you to know, dass ich tue das immer noch."
Eigentlich hätte ich gehen sollen
Sofort.
Um kalt duschen zu gehen, meine Gedanken zu ordnen und ihm deutlich zu sagen, dass ich einen Freund hatte.
Aber das tat ich nicht.
Stattdessen hob ich meine Decke an und drückte mich sanft mit dem Rücken an Samus nackte Brust. Seine Hand legte ich behutsam auf meinen Bauch.
„Du bist einzigartig", wisperte ich, bevor mich Samus regelmäßiger Atem ganz vorsichtig und sanft in die Traumwelt beförderte.

Friendzoned?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt