Kommst du im Mai mit zu Daniels Hochzeit?

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Ich winkte dem Taxi noch eine ganze Zeit hinterher, bis ich die Scheinwerfer des Mercedes' nicht mehr erkennen konnte. Mit den Händen in den Hosentaschen lief ich –trotz des Regens- einige Schritte über den hölzernen Steg. Es roch immer noch nach Silvester. Raketen. Knallfrösche. Chinaböller. Zum ersten Mal im neuen Jahr zückte ich mein Handy. Ich hatte weder meiner Mutter noch meinen Geschwistern und Freunde in Helsinki einen guten Rutsch, geschweige denn ein frohes und neues Jahr gewünscht. Schnell beantwortete ich einige der Nachrichten, meiner Mutter schickte ich ein Foto von dem Feuerwerk, welches Raul bereits in einem sozialen Netzwerk hochgeladen hatte. Daraufhin rief sie mich sofort an. Wir wechselten einige sporadische Floskeln, bevor sie mich fragte, wie es mir wirklich gehen würde. Ich hatte versucht zu lügen. Leider hörte sie an meiner Stimme, dass etwas nicht stimmte. Ich log und erzählte ihr, dass ich zu viel getrunken hatte und beendete dann zügig das Gespräch.
Auf einem der Leuchtquader sitzend scrollte ich durch meine Bildergalerie. Vor allem auf den letzten Fotos war mehr Emma zu sehen, als ich gerade vertragen konnte. Jeder einzelne Gedanke an sie jagte mir einen eiskalten und zugleich brennendheißen Schauer über den Rücken. Ich war verliebt in sie. Und ich wollte niemand anderen mehr. Ich hätte sie nie gehen lassen dürfen.


„Wat is mit dir?", wollte Gudrun wissen und kramte in ihrem Seitenfach nach einer Packung Taschentücher, „wat weinse denn so?"
Ich hatte den Kopf in meine Hände gelegt und schluchzte wie ein dreijähriges Mädchen, weil ihr Goldfisch am Morgen mit dem Bauch nach oben geschwommen war.
Gudrun hielt mir ein Taschentuch hin.
„Wat is denn? Red doch, Kind! Sonst kanni nix machn!"
Ich schnäuzte geräuschvoll hinein und gab es ihr zurück.
„Behalt dat ma. Zur Not bekommse 'n neuet Tuch."
„Danke", weinte ich.
„Warum heulse so? Et is Neujahr. Du solltes nich so ins neue Jahr startn."
Ohne zu antworten winkte ich ab und begann wieder fürchterlich zu schluchzen. Wütend fuhr Gudrun rechts ran und schaltete den Motor ab.
„Wat zum Kuckuck is los mit dir? Ich fahr scho ewich Taxi und ich hab schon viel gesehn, aba noch nie hab ich jemanden so oft hin und her gefahrn wie euch. Du wars noch nie so aufjelöst wie heute. Finne oder der Spanier?"
„Tomás ist Portugiese!"
„Is mir wumpe, wat der is. Dat, wat ich jehört hab, is auf jeden Fall nich positiv. Also?"
Ich hob meinen Kopf und blinzelte Gudrun an.
„Alta Schwede. Du siehs aus wie 'n Pandabär", merkte sie an und tippte mit ihren falschen Fingernägeln auf ihre Tränensäcke.
Ich grinste und fasste die Ereignisse des Abends für sie kurz zusammen.


„Jumalauta!", fluchte ich und trat gegen meine Sitzgelegenheit. Wieso war ich so blind gewesen und hatte mir Emma regelrecht verboten? Ich öffnete unser Nachrichtenfenster und las unser letztes Gespräch nach. Es ging um irgendwelche Groupies im Zug. Ich begann zu tippen:
"When I wake up, yeah I know I'm gonna be, I'm gonna be the man who wakes up next to you."
Und löschte es wieder.


„Und jetzte?", fragte Gudrun und startete erneut den Motor.
„Ich weiß nicht."
„Bisse verliebt?"
„Nicht so wie in Tomás."
„Der interessiert mi nich", winkte sie ab und schaltete die Heizung an, „ich will wissen, ob du in Blondie verliebt bis."
„Nicht so wie in Tomás", wiederholte ich und legte mein Handy auf das Armaturenbrett.
Gudrun rollte die Augen.
„Was fühlse, wenn du an Blondie denkst?"
Ich zuckte mit den Schulter.
„Mach Augen zu und denk ma an Blondie. Wenn du ihn dir so vorstells, wie er mit dir umgeht oder dich anguckt unso."
Ich schloss die Augen und ließ unseren Tanz heute Nacht Revue passieren; ich ließ die letzten Monate Revue passieren.
„Du grinst", merkte Gudrun an, „wat fühlse?"
„Geborgenheit, Wärme, Attraktivität, seine Augen, seine Lippen", tief sog ich Luft ein, „sein Geruch."
„Und wenne an den anderen Typen denks?", fragte sie schmunzelnd.
„Der andere Typ ist mein fester Freund, Gudrun", ermahnte ich sie, „rede nicht so abfällig von ihm."
„An wat du denks!", lenkte sie ab.
„Geborgenheit, Wärme, Attraktivität", antwortete ich sauer und sah aus dem Fenster auf die Landstraße. Wir mussten Düsseldorf schon längst hinter uns gelassen haben.
„Wo sind wir?"
„Landstraße."
„Wo fahren wir hin? Ich wollte zum Bahnhof."
„Blondie hat gesacht, du muss nach Hause. Also fahrn wir nach Hause."
„Was?", erschrocken sah ich sie an, „das sind über 50 Kilometer."
„Ja und?"
„Ich hab nicht so viel Bargeld dabei, Gudrun."
„Schätzeken. Dat hat der Finne allet schon jeklärt. Sieh endlich ein, dasse für den nich irgendwer bis."


Ich hatte meinen Blick nicht vom Handy abgewendet. Immer wieder waren mir Worte eingefallen, die ich Emma gerne hätte schreiben wollen. Aber ich wollte sie in ihrer Beziehung zu dem Portugiesen nicht verunsichern. Selbst wenn sie immer noch mehr als Freundschaft für mich übrig hatte; ich wollte und durfte diese Entscheidung nicht für sie treffen. Als ich mein Handy in der Hosentasche verschwinden lassen wollte, vibrierte es.
Emma.
„Du bist verrückt. Mir die Fahrt nach Hause zu spendieren ist definitiv nicht deine Aufgabe, Haber. Danke!"
Ein Grinsen huschte über mein Gesicht und ein Kribbeln durchfuhr meinen Körper. Einige Minuten überlegte ich krampfhaft, wie ich darauf reagieren sollte.
„Hör auf zu grinsen ;-) & antworte mir lieber. Wo bist du gerade? Geht es dir gut? Habe den Jungs & Tomás schon geschrieben. Ich komm aber wieder, bevor ihr Düsseldorf verlasst, ich schwöre! Deine Liebeserklärung ändert nichts an unserem guten Verhältnis zueinander :-)", schickte sie hinterher.
Ich war erleichtert. Und gleichzeitig unendlich froh, von ihr zu lesen.


Die ganze Zeit über schrieb ich mit Samu hin und her. Zwischendurch gab ich Gudrun einen Lagebericht.
„Du bis die ganze Zeit am Grinsen dran. Denkse nich, datt der Andere der Falsche is?"
„Nee, glaub ich nicht. Ich bin schon in Tomás verliebt."
Gudrun schielte mit hochgezogener Augenbraue zu mir.
„Wirklich", lachte ich, „es hätte bei Samu einfach nicht gereicht. Nur, weil ich mich jetzt zum ersten Mal mit Tomás gestritten habe, heißt das nicht, dass ich ihn weniger liebe."
„Hasse ihm das scho gesacht?"
„Was?"
„Datt du ihn liebs?"
„Tomás?"
„Kindchen. Du bis verwirrt. Natürlich dem Tommas."
„Nein, noch nicht."
„Warum nich?"
„Die Situation war noch nicht da."
„Hat er dat scho gesacht?"
„Ja, öfter schon."
„Wat hasse gemacht? Bisse über ihn herjefalln?"
„Ich hab ihn geküsst", antwortete ich unsicher und schnalzte mit der Zunge.
Gudrun lachte und schüttelte den Kopf.
„Ich ruf ihn an."
„Wen?"
„Den Portugiesen", sagte ich und scrollte durch das Telefonbuch.
Verschlafen ging Tomás an sein Handy.
„Möchtest du mich auf die Hochzeit meines Bruders begleiten?"
„Hm?", schmatzte er.
„Mein Bruder heiratet im Mai. Ich will mit dir dahin. Kannst du?", sagte ich erneut.
Sofort war er wach.
„Willst du dich versöhnen?"
„Ich will wissen, ob du mit zur Hochzeit kommst. Ja oder nein?"
„Nach heute Abend eigentlich eher nicht."
„Gut, dann schmoll. Ich hab mir nichts vorzuwerfen", meinte ich neutral und legte auf.


In meinem Zimmer angekommen wuschelte ich mir mit einem trockenen Handtuch durch meine nassen Haare. Ich weiß nicht, wie lange ich draußen gewesen war. Zu allem Überfluss war ich total durchgefroren und ließ mir deswegen Badewasser einlaufen. Morgens um 03.30 Uhr. Ich zog mich aus und schickte Emma ein Selfie mit Duckface.
„Ich hasse das. Warum tust du das immer wieder?", schrieb sie.
„Weil du es hasst ;-)", antwortete ich und stieg in die Wanne.
Ich genoss das heiße Wasser auf meiner erkalteten Haut und schreckte auf, als mein Handy mehrmals hintereinander vibrierte. Sofort tastete ich unbeholfen ans Waschbecken, schüttelte meine Hände so trocken wie es eben ging und las die Nachrichten von Emma:
„Kommst du im Mai mit zu Daniels Hochzeit?", erste SMS.
„Als meine Begleitung?", zweite SMS.
„Ohne singen, performen, entertainen?", dritte SMS.
Ich legte den Kopf schief.
Eigentlich hätte ich Emma gerne begleitet. Aber plötzlich zweifelte ich an ihrer ehrlichen Absicht. Hatte sie Tomás bereits gefragt? Wäre ich der Lückenfüller, weil er abgesagt hatte? Ich legte das Handy vorerst wieder zur Seite und tauchte mit dem Kopf unter.


„Wat hasse jetzte gemacht?", gähnte Gudrun.
„Ich hab Samu gefragt, ob er mit mir zu Daniels Hochzeit geht."
„Warum?"
„Warum nicht?"
„Tommas will nich und deswegn fragse Blondie? Würdse mitgehn, wenn er dich dat fragen würde?"
Ich antwortete nicht und starrte aus dem Fenster.
„Würdese?", Gudrun boxte mir auf das Bein, „würdse mitgehn oder nich?"
„Vermutlich nicht", antwortete ich und rieb mir den Oberschenkel.
„Ich au nich. Dat is voll unfair für den. Wat denkse, wie der sich jetzt fühlt? Du bis manchma wie die Axt im Walde."
Ich schwieg.
„Wieso hasse den Doofen überhaupt gefracht?"
„Samu?"
„Nich Blondie. Den Tommas!"
„Weil ich das klären wollte."
„Du wolls dat nich klärn. Du wills dir bloß wat beweisn."
„Achja?", fragte ich und zog die Augenbrauen ungläubig hoch.
„Sicha willse dat. Du wills deiner Umwelt beweisn, wie glücklich du mit dem Kerl bis. Dabei sieht jeder Blinde, datt deine Augn leuchten, wenn Blondie da is. Ich war zwei Ma verheiratet und ich sach dir: Wenn dir jemand in sonna Situation sacht, datt er dich liebt, dann kannse davon ausgehn, datt dat ehrlich gemeint is. Schreib Blondie endlich, datt du ihn auch gern has."
„Das ist nicht so einfach", offenbarte ich und blies meine Wange auf.
„Wat is daran nich einfach? Du liebs ihn, er liebt dich. Ich denk, datt dat ausreicht, oda?"


Friendzoned?Where stories live. Discover now