Begegnung wider Willen

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Die Hand fest am Träger meiner schwarzen Umhängetasche, drängte ich mich am Tag darauf durch die Menschenmenge, entweder großen Gepäckstücken oder Kindern ausweichend. Es gab keine bessere Stolperfalle als diese beiden Dinge. Doch kaum hatte ich es aus der Menschenmenge heraus geschafft, rauschte irgendjemand an mir vorbei, ein Mann - Anzugträger und mit einer Aktentasche unter dem Arm geklemmt - und riss mich fast von den Füßen. Es gelang mir glücklicherweise das Gleichgewicht zu halten, was mich allerdings nicht davon abhielt, einen leisen Fluch auszustoßen.

Laut stieß ich die Luft aus, als ich endlich vom Bahnsteig wegkam. Mir war mal wieder vor Augen geführt worden, warum ich das Zugfahren verabscheute. Zu viele Menschen auf viel zu engem Raum. Im Zug selbst als auch außerhalb. Mein Blick wanderte gen Himmel. Blauer Himmel und Sonnenschein; nicht eine einzige Wolke war zu sehen. Und wieder fragte ich mich, ob es nicht erst Mai anstatt Mitte November war. Ob es dieses Jahr überhaupt noch schneien würde? Ich hoffte es sehr.

Da es vom Bahnhof bis zur Innenstadt kein langer Weg und das Wetter angenehm war, nahm ich anstelle des Buses meinen eigenen Beine, um vorwärts zu kommen. Keine viertel Stunde später war ich dort angekommen. Die Innenstadt war ebenso überfüllt wie der Bahnsteig, dennoch war das erträglicher für mich. Hier gab es wenigstens mehr Fluchtmöglichkeiten. Ich müsste nur um eine Ecke biegen, um in eine weniger belebte Straße zu gelangen. Der Gedanke war beruhigend, garadezu erleichternd.

Mein Weg führte mich schließlich in einen Buchladen, der einzige Grund warum ich die Zugfahrt überhaupt auf mich genommen hatte. Alle Büchereien, die ich abgesucht hatte, hatten das gewünschte Buch nicht parat gehabt und einen Buchladen gab es zu meinem Leidwesen in meiner Stadt nicht.
Über eine Stunde dauerte es schlussendlich bis ich den Buchladen mit dem gesuchtem Buch und zwei uneingeplanten wieder verließ. Nachdem ich die Cover gesehen hatte, hatte ich die Bücher nicht nicht kaufen können. Das wäre einem Verbrechen gleichgekommen!

Ich hätte wieder nach Hause fahren können, da ich erledigt hatte, wofür ich hierher gekommen war, stattdessen entschied ich mich, ein wenig durch die Straßen zu schlendern. Hier und da einen neugierigen Blick ins Schaufenster zu werfen. Als ich eine Weile später am New Yorker vorbeikam, entschied ich spontan, hineinzugehen. Vielleicht würde ich sogar etwas finden, was mir gefiel und ich anziehen könnte.
Tatsächlich fand ich nach nur wenigen Minuten einen Kapuzenpullover, der meine Interesse weckte. Er war in einem warmen Mintgrün gehalten und etwas dicker als die gewöhnlichen. Perfekt für den Winter.

Einen Winter, der vielleicht gar nicht einbricht, dachte ich mir leicht geknickt.

"Warum ausgerechnet ein Kapuzenpullover?"

Mir fiel beinahe der Pulli aus der Hand, als ich die nur allzu vertraute Stimme hinter mir vernahm. Was tat er hier? Dumme Frage. Wobei ... sie war durchaus berechtigt. Da ging ich einmal aus - und dann noch alleine - und begegnete ihm. Diese Art Zufall gefiel mir ganz und gar nicht. Das war mit dem Babysitten schon der zweite.

Ich holte tief Luft, ehe ich mich herumdrehte. Zu meiner Verwunderung und Verwirrung waren es aber keine hellblauen Augen - passend zum heutigen Himmel -, die fragend auf mich hinabblickten. Da waren gar keine Augen, nur die Rückenansicht eines Mannes keine zwei Meter von mir entfernt. Innerlich schlug ich mir mit der flachen Hand gegen die Stirn. Warum nur hatte ich angenommen, Herr Finnig hätte zu mir gesprochen? Womöglich war es nicht einmal seine Stimme gewesen, die ich gehört hatte.
Meine damit verbundene Hoffnung löste sich in Luft auf, als ich eine weitere Stimme vernahm. Nicht Finnigs, aber eine ebenso vertraute. Isabells. Ihre dünne Gestalt wurde fast vollständig von Finnigs verdeckt, weshalb ich sie nicht sofort entdeckt hatte.

"Mit irgendetwas werde ich meine Glatze kaschieren müssen, Kilian. "
Jemand seufzte. Finnig.

"Was spricht den gegen die alten, guten Kopftücher? Oder eine Perücke?" Seine Worte nahm ich nur am Rande wahr, da ich unauffällig mit jeder Sekunde mehr Abstand zwischen uns brachte. Weder er noch Isabell hatten mich bemerkt, da erschien es mir als die beste Idee, zu verschwinden, bevor sie es taten. Eigentlich hätte ich keinen Grund, sie zu meiden, aber ich fühlte mich wohler, müsste ich Finnig nicht gegenüber treten. Der Traum mit ihm hatte sich tief in mir verankert und somit wohl auch mein Fluchtinstinkt vor ihm.
Wieder draußen, atmete ich tief ein. Die frische Luft machte mir erst deutlich wie stickig es im Laden gewesen war.

In deinen HändenWhere stories live. Discover now