Heiß - so heiß

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Der nächste Morgen erwies sich als eine kleine Herausforderung. Ein dumpfer Schmerz pochte in meinem Kopf und es fiel mir schwer, mich auf meinen Beinen zu halten. Und doch schaffte ich es, kurz nachdem mein Wecker klingelte, mich aus meinem Bett – die Anziehungskraft für dieses hatte heute gewaltige Ausmaße angenommen! – zu quälen, mich herzurichten und schlussendlich in die Küche zu schleppen, wo ich mir einen Tee gönnte. Alles Essbare wäre nämlich eine Zumutung. Irgendwann jedoch musste ich für einen kurzen Moment weggedriftet sein, die Arme hatte ich verschränkt auf dem Küchentresen liegen und der Kopf war darauf gebetet. Das wurde mir bewusst, als ich einen leichten Druck auf meinen Schultern spürte und aufschreckte. Ich bereute die schnelle Bewegung zutiefst, denn ein anhaltendes Schwindelgefühl war die Folge.

„Guten Morgen, Clara." Der Druck auf meinen Schultern, den Bens Hände auslöste, verschwand. „Hast du schlecht geschlafen?", fragte mein Bruder ohne Umschweife, während er sich auf den Stuhl neben mich niederließ. Seine grünen Augen musterten mich mit dem gewohnt besorgten Ausdruck darin. Auch wenn ich die dunklen Ringe unter meinen ebenfalls grünen Augen mit Make Up verdeckt hatte, so war ich mir sicher, Ben wusste von ihnen. Er hatte ein Gespür dafür, wenn es mir nicht gut ging. 

„Ich habe ein Buch gelesen und vollkommen die Zeit vergessen, weshalb ich ein wenig müde bin", meinte ich ausweichend, ohne ihn anzusehen. Es war nicht meine Absicht gewesen, zu flunkern, aber ich konnte meinem Bruder doch nicht erzählen, ich hätte Stunden damit verbracht, über meinen gestrigen Fauxpas bei einem seiner Arbeitskollegen nachzudenken. Herr Finnig auf Isabell anzusprechen ... ich hätte es eigentlich besser wissen müssen! Und so ungern ich es zugab, ich hätte wohl nicht viel anders reagiert als er. Es gab nun einmal Dinge, die brauchte nicht jeder zu wissen.

„Ein wenig?" Ben hob die Augenbrauen; er glaubte mir natürlich nicht. „Ich habe dich vorhin ins Bad gehen sehen. Du bist wackliger auf den Beinen als ich es an meinen schlechtesten Tagen bin, Clara." Ohne es bewusst zu wollen, suchte ich einen Hauch von Verbitterung in seiner Stimme. Ich fand ihn nicht. Das allerdings war nicht immer der Fall gewesen.

„Mir geht es gut – ehrlich!" Als müsste ich ihm etwas beweisen, erhob ich mich von meinem Stuhl. Es kostete mich eine Menge Kraftaufwand, aber schlussendlich stand ich sicher auf den Beinen.

„Siehst du?", setzte ich eine Spur trotzig an und stemmte eine Hand in die Seite. Ich war achtzehn, erwachsen. Ich musste mich nicht mehr behaupten und doch tat ich es, weil Ben jedes Recht hatte, mich zu bevormunden.

„Komm mal her", forderte er mich überraschender Weise auf.

„Warum?" Wollte er etwa meine Lüge strafen, indem er meinen sicheren Stand zu Nichte machte?

„Komm einfach."

Mit einem müden Seufzen kam ich seiner Aufforderung nach und ehe ich noch einmal nach dem Grund fragen konnte, lag seine flache Hand auf meiner Stirn.

„Fieber scheinst du keines zu haben", stellte erleichtert fest, löste den Körperkontakt und meinte dann um einiges ernster: „Mir wäre es trotzdem lieber, du würdest heute Zuhause bleiben. So wie du aussiehst, würde es mich nicht wundern, wenn du dir irgendeinen grippalen Infekt eingefangen hast."

Ich blies die Wangen auf. Was sollte das heißen: So wie du aussiehst? Wäre ich nicht derart erschöpft, ich hätte dem Ärger ohne Bedenken freien Lauf gelasen.

„Ach was!", winkte ich ab. „In ein paar Stunden geht es mir wieder super."

Und tatsächlich. Nach den ersten zwei Schulstunden fühlte ich mich schon um einiges besser. Der Schwindel verschwand und ich musste nicht mehr ständig befürchten, dass meine Beine unter mir nachgaben. Das Einzige, was blieb, waren die Kopfschmerzen. Aber für die schien eher die nächste Doppelstunde verantwortlich zu sein. Oder genauer gesagt, der leitende Lehrer dieser. Ich war nicht bereit, Finnig gegenüber zu treten. Es verwirrte mich selbst ungemein, warum ich mir derart viele Gedanken darüber machte; warum ich mir über ihn so viele Gedanken machte.

In deinen HändenWhere stories live. Discover now