Silvester

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Am Silverstermorgen fielen das erste Mal in diesem Jahr dicke Schneeflocken vom Himmel und gegen Mittag war die ganze Landschaft mit einer handbreiten, reinweißen Schneeschicht bedeckt. Es war wundervoll! Egal, wo man hinsah, über all war Schnee, dessen Oberfläche sich im Schein der Sonne reflektierte und somit wie tausend kleine Diamanten funkelte. Ein kleines, unberührtes Winterwonderland. Jedenfalls so lange bis die Ersten in ihre Autos stiegen und den Schnee in eine graue, matschige Masse verwandelten.

Sascha, Ben und ich hatten dennoch unseren Spaß damit, einen überdimensionalen Schneemann in unserem Garten zu bauen, der über unser aller Köpfe hinausragte. Zwar sah er zum Ende hin eher wie ein Bär mit Schweinenase aus, aber das kümmerte uns nur wenig.

Den ganzen Morgen und Mittag verbrachten wir draußen, bis wir uns am späten Nachmittag wieder ins Haus zurückzogen, um uns aufzuwärmen. Sascha hatte die grandiose Idee gehabt, wir könnten Silvester auswärts verbringen. Ben war dafür, was mich doch etwas überraschte, da er nicht der Typ war, der gerne ausging. Ich vermutete daher, dass er einfach ein Auge auf Sascha werfen wollte, damit sie keine Dummheiten anstellte. Er und sie hatten sich vor ein paar Tagen ausgesprochen und wie ich gesagt hatte, Ben war es schlichtweg egal, ob sie schwanger war, von wem oder unter welchen Umständen es passiert war. Die Stimmung zwischen den Beiden war deshalb wie zuvor, nun fast, etwas schien sich dennoch verändert zu haben. Ich wusste nur noch nicht, ob in die positive oder negative Richtung.

„Nein, der nicht. Ich glaub der hellbraune Pullover war doch besser", kam die gefühlt hundertste Bemerkung seitens meiner besten Freundin, als wir uns für den Abend zurecht machten. Wir hatten es uns in meinem Zimmer gemütlich gemacht. Sascha saß auf dem mittlerweile mit Kleidungsstücken überfülltem Bett, während ich vor meinem Schrank stand und ein Kleidungsstück nach dem anderen hervorholte.

Es Sascha recht zu machen war wirklich schwer, aber es machte Spaß sich gemeinsam das perfekte Outfit herauszusuchen und währenddessen zu quatschen und zu lachen. Letzten Endes waren wir beide dennoch zwei gewöhnliche Mädchen wie jedes andere auch.

Eine geschlagene Stunde benötigten wir, bis wird endlich ausgehbereit waren. Ich hatte mich mich schließlich für eine enge, schwarze Jeans entschieden, Stiefel in derselben Farbe und einen hellbraunen Pullover mit einem lockeren Strickmuster. Meine braunen Haare fielen mir dank Saschas Hilfe in sanften Wellen über die Schulter. Die Brille blieb Zuhause.

Meine beste Freundin hingegen hatte deutlich mehr Energie in ihr Äußeres gesteckt. Sie trug einen bordoxroten High-Waist-Rock, dazu eine schwarze Bluse und über dieser einen Strick Cardigan in einem beigen Farbton. Die dunklen Overknee-Strümpfe und Halbstiefel rundeten das Outfit ab. Auch sie trug ihr langes Haar offen, aber sie waren deutlich stärker gelockt als meine. Im Großen und Ganzen: Sie sah toll aus! Von einem Schwangerschaftsbauch sah man noch nichts. Man konnte es erahnen, wenn man davon wusste, aber ein Fremder würde das niemals auffallen.

„Wie sieht's aus? Seid ihr beide endlich fertig?" Ben steckte den Kopf zur Tür hinein und sah erst zu mir, dann zu Sascha. Mir fiel auf, dass sein Blick auf ihr ein wenig länger liegen blieb, als es normalerweise der Fall war.

„Wie wäre es mit Klopfen, Ben? Wir hätten hier halb nackt stehen können!", keifte Sascha meinen großen Bruder an.

„Nicht so frech, Alexandra, sonst muss ich mir noch ein mal durch den Kopf gehen lassen, ob es eine gute Idee ist, dass du mich duzen darfst." Ein kleines Grinsen schlich sich auf seine Lippen, dann verschwand er wieder hinter der Tür. Als ich zu meiner besten Freundin herüber sah, lag auch auf ihren Lippen ein glückliches Grinsen.

„Euch beide werde ich echt nie verstehen", meinte ich den Kopf schüttelnd, musste dann aber auch lächeln.

Keine zehn Minuten später befanden wir uns auf dem Weg zu einem kleinen Bistro in der Stadt. Wir waren uns alle einig gewesen, dass es Blödsinn war, das Auto zu nehmen, wenn es zu Fuß keine zwanzig Minuten dauerte, dorthin zu kommen. Besagter Ort befand sich Mitten im Zentrum der Stadt, die heute Nacht aus allen Ecken leuchtete. Wir hatten Silvester; die meisten Bars und Restaurants hatten geöffnet und erfreuten sich großer Besucherschaft.
So auch das Bistro Löwe, das uns mit einer warmen Atmosphäre empfing. Im Hintergrund lief leise, angenehme Musik. Ich kannte das Lied nicht, aber es hörte sich wie Weihnachtslied an. Ben navigierte uns zu einer der vielen Nischen, wo wir uns schließlich nieder ließen. Von ihr aus hatten wir einen recht guten Ausblick auf den gesamten Raum. Über all standen runde Tische. Auf der rechten Seite des Bistros war die Bar, auf der linken eine freie Fläche, die nach Lust und Laune zum Tanzen benutzt werden konnte. Wir waren nicht das erste Mal hier und jedes Mal, wenn wir herkamen, spürte ich, wie ich mich mit jeder Minute wohler fühlte.

In deinen HändenWhere stories live. Discover now