Im Regen stehen gelassen

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„Wie war Mathe?", fragte mich Sascha am Montag, als wir beide uns nach der Mittagschule auf dem Nachhause befanden.

Ich sah irritiert zu ihr, für einen kurzen Moment waren meine Gedanken abgeschweift und ich hatte nicht mitbekommen, in welche Richtung unser Gespräch gegangen war.

„Warum fragst du?" Sie konnte sich doch denken, dass es nicht viel anders als normalerweise war. Einfach nur schrecklich. Da hatte ich mir gestern eingestanden, in Finnig verliebt zu sein und dann suchte er ausgerechnet heute das Gespräch mit mir. Hätte mich nicht der Gong erlöst, ich hätte nicht gewusst, wie ich auf seine Frage hätte reagieren sollen. Er war mir nahegetreten, ja, und es hatte mich nicht gestört, obwohl alles in mir sich gegen diesen Gedanken sträubte. Und das nicht nur, weil er um einiges älter als ich und mein Lehrer war.

„Na, die Arbeit! Konntest du wenigstens ein paar Aufgaben lösen?"

„Achso ..." Darum ging es also. Noch ein Grund warum das eindeutig nicht mein Tag war. „Ich habe versucht bei allem etwas hinzuschreiben, aber ich habe kein besonders gutes Gefühl dabei." Das stimmte sogar. Zwar hatte ich das ganze Wochenende über mit Lernen verbracht (zumindest bis zu dem Moment bis ich mein Tagebuch in die Hand genommen hatte), aber ich fürchtete, viel hatte es dennoch nicht gebracht.

„Das wird schon", sprach sie mir gut zu und plötzlich fühlte ich mich schuldig, wenn ich daran dachte, dass Sascha im Moment mit größeren Problemen zu kämpfen hatte als ich. Wobei ich anmerken musste, dass meine Freundin sich wirklich tapfer gab. Sie verhielt sich wie die Sascha, die ich kannte, was wohl daran lag, dass sie sich langsam an den Gedanken, Mutter zu werden, gewöhnte. Für sie war schnell klar gewesen, dass sie das Kind behalten würde; sie hatte mir zumindest kein einziges Mal zu verstehen gegeben, dass es nicht so sein könnte.

„Ich habe übrigens heute mit Herr Finnig gesprochen", wechselte sie überraschend das Thema, ohne vom vorherigen so richtig abzukommen.

„Warum das denn?" War das wirklich Nervosität und leichte Panik, die in meiner Stimme mitschwang?

„Bist du etwa eifersüchtig?" Sie sah zu mir, die Augenbrauen leicht erhoben und ein schiefes Grinsen auf ihren Lippen. „Jetzt sieh mich nicht so anklagend an. Das erträgt ja kein Mensch."

„Wie oft denn noch? Er ist nicht Mister X. Und warum sollte ich eifersüchtig sein?", seufzte ich, wusste aber, dass Sascha nicht so schnell von ihrer Meinung abrücken würde. Sie hatte immerhin recht. Die Chancen, dass er es war, standen sehr hoch.

„Du wirst schon wieder rot."

Ich ignorierte ihren Kommentar geflissentlich. In letzter Zeit hatte ich den Satz so oft gehört, dass ich ihm kaum noch Beachtung schenkte. „Über was habt ihr gesprochen. Oder ist das auch ein Geheimnis?" Okay, das war gemein, aber ich war neugierig.

Sascha war mir nicht böse, sie lachte sogar. Das erste Mal seit Wochen. Und egal wie überrascht ich darüber war, ich war froh ihr Lachen wieder einmal zu Ohren zu bekommen.

„Nein, sonst hätte ich es wohl kaum angesprochen." Sie schüttelte lächelnd den Kopf. „Ich wollte von ihm wissen woher er Andre kennt. Er meinte leider nur, ich solle meinen Bruder selbst fragen. Damit hätte ich eigentlich rechnen können. Übrigens ... danke dir. Wegen dir brauche ich nur Finnigs Namen zu erwähnen, wenn Andre mich mal wieder mit seinen dämlichen Sprüchen nervt, und er wird still wie ein Mäuschen." 

Wieder lachte sie und ich mit ihr, als Andres verängstigtes Gesicht vor meinem inneren Auge auftauchte. Saschas älterer Bruder zog, seit auch er von der Schwangerschaft wusste, sie ständig auf. Irgendwann hatte es mir gereicht und ich hatte mit einem Anflug von Mut ihm die Meinung gegeigt und ihm gedroht, ihm Finnig auf den Hals zu hetzen, wenn er sich nicht zurückhielt. Zwar wusste ich nicht was zwischen den beiden vorgefallen sein musste, aber dass etwas vorgefallen war, war so sicher wie das Amen in der Kirche.

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