In guten Händen

6.8K 337 23
                                    

Bei besagtem Krankenzimmer handelte es sich um einen gewöhnlichen, kleinen Raum. Ein mit Büchern überfülltes Regal befand sich darin, daneben ein schmaler Schreibtisch. Auf der anderen Seite des Zimmers stand eine Liege, die zu meiner Erleichterung leer war, als wir dort ankamen.

„Legen Sie sie sich hin und ruhen Sie sich aus, Clara", ertönte neben mir Finnigs gut gemeinter Rat. Ich protestierte nicht, denn allein der Gedanke, meine Beine zu entlasten, glich einem echten Segen. ­­

„Soll ich vielleicht Ihren Bruder informieren?", fragte er mich. Der besorgte Unterton in seiner Stimme verwirrte mich noch immer, löste im selben Moment aber auch ein angenehmes Kribbeln in mir aus. Dass Finnig sich tatsächlich um mich sorgen sollte ... ich musste halluzinieren. Wegen dem Fieber, ganz sicher!

Meine ganze Aufmerksamkeit war draufgegangen, um die Art und Weise wie er sprach mitzubekommen. Der eigentliche Inhalt seiner Worte kam somit ein wenig verspätet bei mir an.

„Nein!", stieß ich deshalb aus und saß binnen Sekunden wieder gerade auf der Liege. Dem durch die schnelle Bewegung verursachten Schwindel verdankte ich es, dass ich ebenso schnell wieder lag. „Ich meinte, Sie brauchen Ihn nicht zu informieren", brachte ich dieses Mal leiser und ruhiger heraus und legte einen Arm über die Augen. Ich wollte Finnig nicht sehen. Das wäre zu viel im Moment gewesen. Weshalb? Die Antwort darauf wüsste ich auch gerne.

„Sind Sie sich sicher?"

Das war ich. Ben sollte sich nicht auch noch während seiner Arbeitszeit um mich kümmern. Mein Bruder würde aber gerade das ohne Wenn und Aber tun, sollte Herr Finnig ihn über die Lage informieren.

„Ja." Mir war noch immer so verdammt heiß. „Ich bleibe hier noch eine Weile liegen und dann gehe ich nach Hause." So heiß. „Wären Sie vielleicht so nett und würden mir einen Laufzettel unterschreiben?" Er als Klassenlehrer war dazu immerhin berechtigt.

„In einer halben Stunde könnte ich das. Wäre das in Ordnung?" Dieses Mal war es der Inhalt seiner Worte, der mich verwirrte. Warum ich erst eine halbe Stunde warten müsste war mir ein Rätsel. Aber okay, mir sollte es recht sein. Das sagte ich auch Finnig. Einen Moment später verließ er dann das Zimmer. Und augenblicklich wollte ich, dass er zurückkam. Seine Anwesenheit hatte mich auf andere Gedanken gebracht. Jetzt, da ich aber alleine war, blieb mir nichts Anderes übrig, als daran zu denken, wie schlecht ich mich fühlte. Das wiederum sorgte dafür, dass es mir noch schlechter ging. Welch Logik! Eine ausgesprochen Gute, um ehrlich zu sein.

Irgendwann kam Frau Kleiner, die Sekretärin, um nach mir zu sehen, ging aber wieder bereits nach wenigen Minuten. In der Sporthalle hatte es anscheinend einen Unfall beim Turnen gegeben, was im Moment wichtiger war als ich. Ohne es bemerkt zu haben, musste ich schließlich eingeschlafen sein.

„Clara?", war es eine mir nur allzu bekannte Stimme und ein leichter Druck auf meiner Stirn, der mich weckte.

Blinzelnd öffnete ich die Augen, total orientierungslos, und blickte direkt in zwei blaue Augen. Träumte ich etwa schon wieder? Der Druck auf meiner Stirn verschwand und mit ihm auch Finnig aus meinem Blickfeld.

„Sie glühen regelrecht. Es wird Zeit, dass ich Sie hier wegbringe. Am besten gleich zu einem Arzt."

Es dauerte einige Sekunden bis ich die bleierne Müdigkeit von mir weisen konnte. Dann verstand ich endlich was vor sich ging. Der leichte Druck auf meiner Stirn hatte ich Finnigs Hand darauf zu verdanken gehabt. Er hatte mich bisher noch nie angefasst, nicht einmal aus Versehen. Heute aber gleich zwei Mal. Okay, das erste Mal war dringend nötig gewesen, sonst wäre ich unsanfter als unsanft gefallen. Aber er hätte nicht unbedingt meine Stirn berühren müssen, um festzustellen, dass ich Fieber hatte. Das sah man mir sicher auch so an. Es fühlte sich zumindest stark danach an. Die Hitze war nämlich nicht ein bisschen weniger geworden.

„Ich brauche keinen Arzt", sagte ich, während ich meinen Körper langsam in die Senkrechte brachte.

„Natürlich brauchen Sie -."

Ich unterbrach ihn, damit ihm der Ernst meiner nächsten Worte deutlicher wurde. Mein Blick fixierte dabei das erste Mal bewusst den seinen.

„Ich will zu keinem Arzt." Der Gedanke allein verursachte bei mir Übelkeit. „Aber nach Hause bringen können Sie mich gerne." Seltsamerweise hatte ich keine Probleme damit. Vielleicht war ich auch einfach nur müde, um etwas dagegen einzuwenden. Bei klarem Verstand hätte ich nie und nimmer eingewilligt. Glaubte ich zumindest.

Finnig versuchte nicht, mich zu einem Arztbesuch zu überreden. Meine Abneigung gegenüber solchen musste er also verstanden haben.

Kurz darauf saß ich in einem schicken, schwarzen Auto. Auf meinem Schoss meine Schultasche. Finnig hatte sie netterweise nach Unterrichtsschluss mitgenommen. Die Fahrt selber verlief ruhig, gleichzeitig aber auch mit einer mir nicht nennbaren Spannung in der Luft. Umso erleichterter war ich, als er das Auto vor Isabells Haus zum Stehen brachte. Ich wollte im Moment nichts weiter, als in mein Bett. Bevor ich selbst die Tür öffnen konnte, hatte Finnig das für mich gemacht. Mir war nicht einmal aufgefallen, dass er bereits ausgestiegen war. Mit einem leisen „Danke" stieg auch ich dann, ein wenig unbeholfen allerdings, aus dem Wagen. Finnig begleitete mich noch bis zu meiner Haustür. Von Isabells Haustür zu meiner waren es gerade einmal fünf Meter.

„Geht es Ihnen denn schon besser?", vernahm ich hinter mir, während ich die Tür aufschloss. Ein schweres Unterfangen, da meine Hände nicht ruhig halten wollten.

„Ja, wird schon besser." Ich verstand nicht weshalb ich ihn anlog. Er zweifelte an meinen Worten, das verrieten mir seine Augen. Doch er sagte nichts und tat so als hätte er meine Lüge nicht erkannt.

„Wenn es Ihnen trotzdem schlechter gehen sollte, können Sie mich jederzeit anrufen, Clara", meinte er vollkommen ernst. Ich drehte mich zu ihm herum, mit einem Bein bereits im Haus.

„Ich habe Ihre Nummer nicht", entgegnete ich, versuchend genauso erst wie er zu klingen. Vergeblich natürlich.

„Die ist in Ihrem Hausaufgabenheft vermerkt." Seine Lippen formten sich zu einem kurzen, schiefen Lächeln. Dann verabschiedete er sich von mir. „Und wehe ich sehe Sie diese Woche in der Schule."

Kopfschüttelnd trat ich ins Haus. In meinem Zimmer ließ ich mich sofort auf mein Bett fallen. Doch anstatt endlich zu schlafen, wie ich die ganze Zeit gewollt hatte, konnte ich es nicht mehr. Meine Gedanken hinderten mich daran. Besorgte, blaue Augen hatten sie eingenommen.    





Hallo, ihr Lieben!

Ohne lange Rede: Ich möchte mich für alle bisherigen Kommentare und Votes bedanken. Ich freue mich über jedes einzelne davon :) und hoffe ihr habt weiterhin viel Spaß beim Lesen meiner Geschichte. :)

Liebe Grüße, Iskustwa

In deinen HändenHikayelerin yaşadığı yer. Şimdi keşfedin