Augen so schwarz wie die Nacht

17.6K 1.1K 105
                                    

Ich sah sie vor mir, so deutlich, als wäre es erst gestern gewesen. Meine Mum.

Wir waren in einer kleinen Höhle mit Unterwassereingang. Meine Mum und ich hielten uns über Wasser, während sie mein Gesicht in die Hände nahm und mit gehetzten Blicken auf mich einsprach.

„Emily hör mir jetzt gut zu! Schwimm so schnell du kannst! Schwimm in Richtung Australien, Irland ist zu weit weg , dort können sie dich nicht finden! Versprich mir dass du das tun wirst und niemals, unter gar keinen Umständen, darfst du zurückkehren, hörst du? Niemals! Hier." Meine Mum nahm ihre Kette ab. Es war ein goldenes Medaillon. Ich klappte es auf und blickte den blauen Augen meines Vaters entgegen. Meine Mutter saß als Sirene neben ihm und hielt mich, als ich nur wenige Monate alt war im Arm. „So kannst du dich erinnern.", sagte meine Mum mit einem liebevollen Lächeln und legte mir das Medaillon um.

Als ich mich zu ihr umdrehen wollte, war sie verschwunden. Panisch tauchte ich unter doch ich hätte es lieber lassen sollen.

Ich sah gerade noch, wie eine Gruppe von Sirenen um meine Mutter versammelt war während eine, vermutlich die Anführerin, ihre langen Fangzähne entblößte und meiner Mum den Kopf abriss. Die anderen stürzten sich auf den Rest ihres Körpers, wie eine Schaar Wölfe auf ein Kalb.

Ich sah nur noch das lange Schwarze Haar meiner Mutter und ihren Mund, der zu einem Stummen Schrei geöffnet war in die Tiefe des Meeres sinken.

Schweißgebadet wachte ich auf. „Ein Traum. Nur ein Traum.", versuchte ich mich selbst zu beruhigen. Ich zitterte und mir war eiskalt. Dabei kannte ich diesen Traum schon, den ich jede Nacht träumte. Doch jedes Mal wirkte er so real, wie wenn ich noch dort wäre. An der Küste von Irland zwischen den Klippen und Felsen unter dem Meer. Ich umfasste das Medaillon aus meinem Traum, das mir meine Mum an jenem Tag geschenkt hatte. Seitdem hatte ich es niemals abgenommen. Es war mein allerheiligster, mein Wertvollster Besitz. Vorsichtig nahm ich es ab und knibbelte, wie schon so oft, an dem kleinen Verschluss an der Seite, um es auf zu bekommen. Meine Eltern schauten mich an. Das Foto steckte immer noch in der Kette, auch wenn es schon recht ausgebleicht war, durch die vielen Jahre, die es hinter sich hatte. Ich klappte es wieder zu und legte es mir um, dann schaute ich auf die Uhr. Kurz vor ein Uhr morgens. Samstagmorgens.

Ich sollte vermutlich nochmal versuchen zu schlafen, aber ich wusste, dass ich das nicht konnte, also zog ich mir notdürftig etwas über und verließ meine Grotte.Ich hatte beschlossen einen kleinen Strandspaziergang zu machen. Die Nacht war immer noch warm, es kühlte allerdings langsam ab. Der Sand war weich und angenehm zwischen den Zehen und das Geräusch der Brandung beruhigte mich. Ich atmete dem Salzigen Duft des Meeres ein und spürte, wie er mich entspannte und die Schrecken des Traums aus meinem Körper verjagte.

Da sah ich einen Schemen. Einen Schemen auf einem treibenden Etwas. Ich schaute genauer hin und erkannte, dass es ein Mensch auf einem Surfboard war. Er paddelte aufs Meer hinaus und als die nächste große Welle kam, stand er auf und ritt auf ihr, als würde er das jeden Tag tun. Er hatte mich anscheinend nicht bemerkt.

Kein Wunder, ich meine, man konnte schon noch genug sehen um zu surfen oder spazieren zu gehen, aber so hell war es dann doch wieder nicht. Ich setzte mich auf den nächsten Baumstamm und betrachtete den Surfer. Ich war mir ziemlich sicher, dass es ein Junge war, denn kein Mädchen hatte so breite Schultern und muskulöse Arme (zumindest keines, das ich kannte). Nach einer Weile fiel mir auf, dass er gefährlich nah an den Klippen surfte und ohne es zu merken immer weiter darauf zutrieb. Mein Herz fing an schneller zu schlagen und mein Körper befand sich in Alarmbereitschaft. Wenn der Kerl nicht bald anfing sich der Strömung zu entziehen, hatte er ein ernsthaftes Problem.

Als ob die Situation schon nicht gefährlich genug gewesen wäre, verdunkelte sich der Himmel rapide und es fing an zu Donnern. Windböen wirbelten den Sand und die Wellen auf. Ein Sturm war im Anflug, und zwar kein Kleiner.

Ich wollte versuchen dem Surfer etwas zuzurufen, aber dann kam, was kommen musste. Eine große Welle erwischte ihn und warf ihm vom Board.

Die Welle schlug gegen die Klippen, doch von dem Mann gab es keine Spur. Nur sein Surfboard, welches von anderen Wellen mitgerissen wurde, trieb noch auf der Wasseroberfläche. Ohne länger darüber nachzudenken, sprang ich ins Wasser und nahm meine Sirenengestalt an.

Meine Hose zerriss und mein Sweatshirt wurde vollkommen durchweicht, aber das war jetzt egal.

Das Einzige, was ich wusste war, dass ich nicht zulassen konnte, dass das Meer noch ein Leben vor meinen Augen nahm. Ich schwamm so schnell ich konnte in Richtung Klippen.

In meiner Sirenengestalt hatte ich geschärfte Sinne. Ich konnte besser sehen, hören, riechen, schmecken und auch fühlen. Dazu nahmen auch meine Kraft und Schnelligkeit um ein Vielfaches zu.

Trotz meiner gestärkten Sinne sah ich kein Lebenszeichen von dem Surfer. Ich strengte mich an.

Da! Da war ein kurzer Lichtschimmer gewesen. Ich schwamm zu der Stelle. Verdammt! Nur ein blöder Fisch! Da sah ich einen großen Körper, der leblos in die Tiefe sank. Das musste der Surfer sein!

Ich schwamm dem sinkenden Körper hinterher und packte ihn am Arm. Keine Frage. Das war ein Mensch. Ein bewusstloser Mensch. Ich schwamm in Richtung Strand unter den Wellen hindurch, sodass sie mich nicht mitreißen konnten.

Als ich aus der Gefahrenzone raus war, schwamm ich an die Oberfläche und schleppte den Kerl an den Strand. Ich verwandelte mich zurück und war ziemlich außer Atem, als ich ihn in den Sand legte und nach Lebenszeichen suchte. Er atmete kaum und sein Puls ging ganz schwach, aber er lebte.

Ich versuchte ihn wiederzubeleben und versuchte ihm das Wasser aus den Lungen zu pressen, abwechselnd legte ich dann auch noch meine Lippen auf seinen Mund und beatmete ihn.

Nach kurzer Zeit fing er wieder selbstständig an zu atmen, wachte aber immer noch nicht auf.

Da ich nicht mehr wusste, was ich tun sollte, scheuerte ich ihm eine, in der Hoffnung, dass er von dem Schmerz aufwachen würde und zu meiner Überraschung funktionierte es sogar. Er setzte sich ruckartig auf, hustete und spuckte Wasser, wie ein Wasserfall.

Als das meiste Wasser wohl seine Lungen verlassen hatte und er aufgehört hatte zu husten, drehte er sich zu mir um. Selbst in der Dunkelheit konnte ich seine Augen erkennen, Augen so schwarz, wie die Nacht.

Das konnte doch jetzt nicht wahr sein! „Ethan?", fragte ich verwirrt.

„Wie kommst du... was machst du...?", stotterte ich, doch dann wurde ich sauer. Sauer auf die Leichtsinnigkeit dieses Jungen. Er hätte sterben können verdammt! Ich war selbst sauer wegen meiner zerrissenen Jeans, die momentan gerade nur noch so das Nötigste bedeckte.

„Was zum Teufel hast du die dabei gedacht?! Du hättest sterben können du Idiot! Wenn ich nicht da gewesen wäre, wärst du ertrunken! Wie kommt man auf die hirnrissige Idee, bei Nacht direkt neben den Klippen zu surfen, wenn gerade ein Sturm aufzieht?!" Ich war fuchsteufelswild. Zu allem Überfluss öffnete der Himmel nun auch noch seine Schleusen und Regen ergoss sich über uns. Der Erste seit langem! „Ich w-wusste ja nicht, dass ein S-sturm aufziehen würde. In Sydney g-gab es auch keine K-Klippen.", stotterte Ethan mit klappernden Zähnen.

Na gut. Dann musste ich mich eben um ihn kümmern, ob ich nun wollte, oder nicht. Ich hatte ihn gerettet. Jetzt musste ich auch die Folgen für mein Handeln tragen. Ach verdammt, ich hätte einfach meinen Drang die Heldin zu spielen unterdrücken sollen und ihn absaufen lassen.

„Also schön. Wohnst du hier in der Nähe?", fragte ich ernst. „Eigentlich n-nicht. Aber ich b-bin mit dem Auto d-da." Ich seufzte.

„Naja in der Verfassung kannst du definitiv nicht fahren. Ich hab keine Führerschein also... muss ich dich wohl oder übel zu mir bringen." Ich schluckte. Na das würde ja heiter werden.



The Beauty of a MermaidWo Geschichten leben. Entdecke jetzt