Kapitel 1

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»Meine Mutter bittet mich, Lord Stark das Schwarz anlegen zu lassen, und Lady Sansa hat mich um Gnade für ihren Vater angefleht. Doch haben sie alle das weiche Herz der Frauen. Solange ich euer König bin, soll Verrat nie ungestraft bleiben. Ser Ilyn, bringt mir seinen Kopf!«


Das Aufblitzen der Klinge, das Sirren, der stumpfe Schlag auf Widerstand.


Ich erwachte. Die Sonne schien mir ins Gesicht, ich musste einige Male blinzeln, bis ich die Umgebung erfassen konnte. Eine Wiese, mit einem einzelnen Baum neben mir. Mein Blick fiel auf die Gestalt, die unter einem selbst gebauten Zelt lag. Abrupt setzte ich mich auf und starrte den Jungen an. Auch er blickte zu mir und ein Lächeln huschte über seine Lippen.


»Bran ...«, flüsterte ich, und kaum hatte ich seinen Namen ausgesprochen, erhob ich mich und fiel ihm um den Hals.


»Bran«, sagte ich noch einmal und ein Schluchzen verließ meine Kehle. »Du lebst.«


»Ja«, meinte mein Bruder leise.


Ich löste mich von ihm und musterte ihn von oben bis unten. Er hatte längere Haare, dennoch war er so dünn wie zuvor. Sein Gesicht war härter - er wirkte kaum noch wie ein Kind.


»Rickon ...?«


»Er ist mit Struppel und den anderen Wölfen unterwegs«, erklärte Bran. »Du hast Lady und Nymeria. Wieso?«


»Das ist eine viel zu lange Geschichte«, meinte ich.


»Hast du Hunger?«, erklang auf einmal eine mir unbekannte Stimme.


Ich wandte mich um. Ein Mädchen mit dunklen lockigen Haaren hatte zu mir gesprochen. Sie hob ein gehäutetes Kaninchen hoch und lächelte mich an.


Verwundert runzelte ich die Stirn. »Wer bist du?«, fragte ich.


»Ich bin Meera und das ist mein Bruder Jojen«, erklärte sie und deutete auf den Jungen neben sich. Er hatte blonde zerzauste Haare und trug so viele Felle, dass man nur erahnen konnte, wie kräftig er war.


»Sie sind die Kinder von Howland Reet«, sagte Bran in meinem Rücken. Ich wandte mich ihm zu. »Das da«, mein Bruder deutete auf eine Frau, die etwas abseits hockte, »ist Osha. Sie kommt von nördlich der Mauer.«


Ich lachte leise. »Und ich habe mir Sorgen um euch gemacht.«


Ich sah zu Jojen, der mir zunickte. Mein Blick wanderte herüber zu Hodor. Er war ein riesiger Mann, der seitdem ich ihn kannte, nur seinen Namen sagen konnte - und niemand wusste, wieso.


»Hodor«, sagte er und lächelte.


»Wie viele konnten fliehen?«, fragte ich und wandte mich Bran zu. Er schwieg. »Bran?«


»Alle sind tot. Die Eisenmänner haben jeden abgeschlachtet und Winterfell niedergebrannt.«


»Und Maester Luwin ...?«


Mein kleiner Bruder ließ den Kopf sinken. Ich atmete tief durch, um die kommenden Tränen zu unterdrücken. Ich hatte diesen Mann seit meiner Geburt gekannt und nun war er tot. Alle in Winterfell, die ich gekannt und geliebt hatte, waren tot.


Ich vernahm Kinderlachen. Kurz darauf kam Rickon herüber zu dem Lager gerannt, und kaum hatte er es erreicht, fiel ich ihm um den Hals.


»Du lebst«, sagte er mit seiner süßen, kindlichen Stimme.


»Ja, Rickon«, flüsterte ich und dieses Mal hielt ich die Tränen nicht auf.


»Vater ist tot.«


»Ich weiß.« Ich löste mich von ihm. »Aber Arya und Sansa leben.«


»Wo sind sie?«, fragte Rickon, während ich ihn weiterhin an den Schultern hielt.


Ich schluckte schwer. Sansa war in Königsmund, sie hatte nicht mit uns fliehen können, und Arya hatte ich verlassen. Ich hatte sie bei einem Angriff von Lennister-Vasallen zurückgelassen. Ich hatte sie im Stich gelassen. Ich konnte nur ahnen, dass meine beiden Schwestern lebten, ich konnte es nicht wissen.


»M'lady?«, erklang auf einmal Oshas Stimme. »Ihr solltet etwas essen. Ihr seid schwach.«


Ich nickte. »Ja, du hast recht.«


Zusammen mit den anderen aßen wir etwas von dem Kaninchen - und es war köstlich. Beinahe hätte ich vergessen, wie Fleisch schmeckte, wie es war, wenn man nicht hungrig war.


»Wo wollt ihr hin?«, fragte ich.


»Zur Mauer«, erklärte Bran.


»Zu Jon.« Ich nickte. »Da werden wir sicher sein.«


»Wir sollten aufbrechen«, meinte Osha. »Unser Weg ist weit, und es ist kein einfacher Weg.«


Wir packten unsere Sachen zusammen, und ich hob Rickon auf mein Pferd und führte es neben mir her, während Bran im Karren von Hodor gezogen wurde. Ich wusste, dass er nicht mehr laufen konnte - er war kurz vor dem Aufbruch nach Königsmund beim Klettern von einem Turm gestürzt und hatte sich seine Beine gebrochen.


»Du warst in Königsmund«, bemerkte Jojen, der neben mich getreten war. »Du hast gesehen, wie dein Vater starb.«


»Geköpft«, meinte ich trocken. »Er wurde geköpft, auf Befehl des Königs.«


»Und du konntest fliehen.«


»Ja.«


Ich bemerkte den Blick, den der Junge mir zuwarf. Er schien etwas zu wissen.


»Reet also. Euer Vater war ein guter Freund meines Vaters.«


»Ja«, sagte nun Jojen.


»Wieso seid ihr hier?«


»Wir beschützen deine Brüder.«


»Danke.« Ich nickte. »Wirklich.«


Wir betraten einen Wald. Osha lief an der Spitze, eskortiert von den Wölfen.


»Wirst du dich an Theon rächen?«, fragte Rickon mich.


»Das werden wir sehen. Zunächst will ich, dass ihr in Sicherheit seid.«


Stille erfüllte die Gruppe, niemand sprach ein Wort. Meine Gedanken schweiften ab, herüber zu Robb. Ich hatte seinen Befehl missachtet, war davongelaufen. In den ersten Tagen hatte mich die Angst, verfolgt zu werden, geplagt. Und tatsächlich wurde ich irgendwann entdeckt - doch nicht von Robbs Leuten, sondern von Lennister-Vasallen. Die Wölfe waren jagen gewesen und ich war allein. Es waren zwei, glücklicherweise, doch selbst das hatte sich als schwierig herausgestellt.


Ich war keine Kriegerin. Ich konnte ein Schwert schwingen, doch hatte ich sonst gegen Männer gekämpft, die immer darauf geachtet hatten, mich nicht zu verletzen, oder jene in Königsmund, die ich überrumpelt hatte, so dass sie mir gegenüber wehrlos gewesen waren.


Ich wusste nicht mehr, wie ich den ersten umgebracht hatte, aber an den zweiten konnte ich mich genaustens erinnern. Es war ein langer, anstrengender Kampf gewesen. Ich wurde verletzt und ich hatte ihn mehr durch Zufall getroffen als durch Technik. Beinahe hätte mein Kopf auf der staubigen Erde gelegen, doch ein innerer Reflex hatte mir geholfen und ich hatte mich aus dem Griff befreien können.


Als das Schwert Stoff und Haut durchbohrte, war ich wie in Trance gewesen. Ich sah, wie das Leben aus den Augen des Mannes schwand. Das Blut quoll aus der Wunde, tränkte meine Hände und meine Kleidung. Und in diesem Moment hatte ich gewusst - alle Menschen können sterben.

1009 Wörter

Valar Morghulis!

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Valar Morghulis || Game of Thrones Staffel 3-4Where stories live. Discover now