Kapitel 11

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Ich zog mir die dicke Wollkleidung an, die mir bereitgelegt worden war. Ich hatte ein neues Schwert auf Maester Aemons Befehl bekommen, welches nun an meinem Gürtel in einer Scheide befestigt war. Ein Dolch hatte daneben Platz genommen. Über all dem legte ich meinen Mantel, welcher mit Fell am Kragen besetzt war. Die schweren Stiefel verursachten laute Schritte auf dem hölzernen Boden, als ich das Zimmer verließ.
»Habt Ihr Jon gesehen?«, fragte ich den nächsten Mann, der mir entgegenkam.
»Er hat auf der Mauer mit Sam Wachdienst, M'lady«, gab dieser zurück.
»Ich danke Euch.«
Ich schritt durch den Schnee herüber zum Fahrstuhl. Die Wölfe winselten und fiepten, als sie mich bemerkten - Ser Alliser Thorne hatte angeordnet, sie einsperren zu lassen. Ich fuhr hoch, die Fahrt schien gefühlte Stunden zu dauern. Es war bereits dunkel - heute Nacht, so hieß es, sollte Manke Rayder, der König-jenseits-der-Mauer, angreifen.
»Wie war sie so?«, hörte ich Sam Jon fragen, als ich mich den beiden näherte. Sie hatten mir den Rücken zugedreht und standen nah am Rand der Mauer.
»Sie ...« Jon überlegte. »Sie hatte rotes Haar.«
»Ach. Wie groß waren ihre Füße?« Der spöttische Unterton Sams war nicht zu überhören.
»Was soll ich denn sagen?«, fauchte Jon seinen Freund an.
»Ich will nur von dir wissen, wie es war, jemanden zu haben, mit jemanden zusammen zu sein, jemanden zu lieben und geliebt zu werden.«
»Und ich komme ausgerechnet dann zu euch, wenn ihr über Frauen redet«, sagte ich und die beiden wandten sich mir zu. »Wär' die Fahrt nicht so lang, würd' ich ja wieder gehen.« Ich trat näher. »Aber einmal dieser Anblick ...« Es war nur noch ein Hauchen, was über meine Lippen kam, als ich mich zwischen Jon und Sam stellte und hinab in die Tiefen blickte. Es war beinahe schwindelerregend, diese Höhe, diese Größe, die man hier verspürte.
»Ein wunderbares Gefühl, nicht wahr?«, fragte Sam.
Ich sah ihn an. Er trug ein Lächeln im Gesicht, jenes Lächeln, welches er immer trug, wenn er etwas mitteilte, wenn er sein Wissen mitteilte.
»Es macht mir Angst«, erklärte ich. »Ein falscher Schritt«, ich blickte wieder hinab, »und du fällst, lange. Die Zeit zwischen dem Fall und dem Aufprall ist wohl die schlimmste.«
»Du solltest wieder hineingehen«, meinte Jon. »Es ist kalt.«
Ich hob meinen Kopf und sah ihm in die dunklen, braunen Augen. »Ich war bereits nördlich der Mauer, da war es auch kalt. Das Blut der Ersten Menschen fließt durch meine Adern sowie durch deine. Wir halten mehr aus als andere.« Jon öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch ich kam ihm zuvor. »Ihr könnt gerne euer Gespräch fortsetzen.«
Sam zögerte und sah unsicher zu Jon, aber diese gab nichts zurück. »Wir sterben hier alle, viel früher als ich's vorhatte«, begann Sam schließlich. »Mehr als von dir werd' ich nie erfahren.«
»Dann haben du und Goldy nie ...?«
»Nein. Sie hat gerade erst das Baby gekriegt«, sagte Sam sofort. »Und sie hat's nie angeboten.«
»Aber du hättest«, meinte Jon. »Wenn sie hätte. Du hättest deinen Eid gebrochen.«
Ich blickte Sam mit einem Schmunzeln auffordernd an.
»Das Interessante ist ja, dass unser Eid intime Beziehungen zu Frauen nirgendwo ausdrücklich verbietet«, erklärte dieser.
»Was?«, fragte mein Bruder ungläubig.
»Ich will mir keine Frau nehmen - ja, haben wir geschworen, lässt sich nicht leugnen. Ich werde keine Kinder zeugen - ganz eindeutig. Aber wie es der Eid mit anderen ... Tätigkeiten hält, ist doch Interpretationssache.«
»Seht ihr?« Ich sah die beiden nacheinander an. »Du, Jon, hast streng genommen keinen Eid gebrochen, auch wenn du mit einer Wildlingsfrau geschlafen hast, und du, Sam, kannst mit Goldy eine Nacht verbringen - dann seid ihr beide wenigstens glücklich.«
Sam lächelte schüchtern. »Ja, schon, aber ...«
Abwartend hob ich eine Augenbraue.
»Wahrscheinlich werden wir heute Nacht sowieso alle sterben, und dass Goldy am Leben ist -«
»- ist nicht unmöglich«, sagte ich sofort.
»Ich denke, Ser Alliser hat nicht viel übrig für Interpretationen«, meinte Jon und wandte sich zum Gehen. Sam und ich folgten ihm.
»Auch egal. Da gibt's nichts für ihn zu interpretieren«, sagte Sam. »Da war nichts.«
Wir stiegen die Stufen hinunter.
»Wie ist es denn nun?«, verlangte Jons Freund zu wissen.
»Es ... Da ist jemand, 'ne ganz andere Person, und du bist mit ihr verschlungen und sie ist mit dir verschlungen und ... du ... für eine kurze Zeit bist du mehr als nur du ... und du ... Was weiß ich? Ich bin kein verdammter Dichter!«
»Nein, bist du wirklich nicht«, stimmte Sam zu.
Ich lachte. »Ihr beide habt euch gesucht und gefunden, oder?«
»Ja, lach nur«, murrte Jon. »Wie viele Männer hast du auf deiner Reise getroffen?«
»Zuallererst war das keine Reise, wie die nach Königsmund, seelenruhig, zu Pferd oder in einer Kutsche. Außerdem bin ich noch Jungfrau und ich gedenke auch nicht, in nächster Zeit mit einem Mann das Bett zu teilen, falls es dich interessiert, großer Bruder«, stichelte ich amüsiert über seine Stimmung.
»Wie alt seid Ihr, M'lady, wenn ich fragen darf?«, wollte Sam wissen.
»Hör auf, mich »M'lady« zu nennen«, sagte ich. »Titel haben keine Bedeutung, sie tragen kein Gewicht mehr. Nenn' mich Sienna.«
»Und wie alt bist du, Sienna?«, fragte Sam mit einem Lächeln.
»Achtzehn.«
Wir erreichten den Fahrstuhl und Sam trat ein.
»Sienna?« Auffordernd sah er mich an.
»Nein. Geh nur. Ich bleib noch ein wenig bei Jon.«
Mein Bruder wollte protestieren, doch da ließ ich den Fahrstuhl schon hinunterfahren.
»Du solltest nicht hier oben sein«, meinte Jon.
»Ich sollte überhaupt nicht hier sein«, murmelte ich – meine Gedanken waren zu meinen Geschwistern gewandert, die ich zurückgelassen hatte – und wandte mich ab.
»Wie meinst du das?« Mein Bruder folgte mir.
»Ist unwichtig.«
Eine Eule ließ sich neben mir auf einem Holzbalken nieder, doch ich lief nur achtlos an ihr vorbei.
»Ich finde nicht, dass das unwichtig ist«, erwiderte Jon.
»Findest du nicht auch, dass rumsitzen oder stehen falsch ist?«, fragte ich.
»Was sollen wir denn sonst machen? Wir können schlecht uns auf freiem Feld den Wildlingen stellen.«
»Das mein' ich nicht.« Ich zog den Umhang enger um meinen Körper - es wurde immer kälter. »Unser Vater wurde getötet, unser Bruder, meine Mutter. Du weißt, wer dahintersteckt. Wir sollten uns rächen.«
»Und wie?«, gab Jon zurück. »Wir haben keine Soldaten, nicht die Kräfte, die gegen die Lennisters notwendig sind. Ich bin ein Bruder der Nachtwache und du ... du bist nur -«
»- eine Frau«, endete ich. Mein Blick war ernst und langsam trat ich einen Schritt auf ihn zu. »Ja, ich bin eine Frau, und ich danke den Göttern, dass ich noch meine Ehre und meine Jungfräulichkeit habe - das ist zu dieser Zeit ein Segen. Aber nur weil ich eine Frau bin, heißt das nicht, dass ich nicht fähig bin, zu kämpfen. Ich bin eine Stark, ich werde immer eine Stark sein - egal, wie oft sie Winterfell niederbrennen, wie viele sie von uns töten. In meinen Adern fließt das Blut der Ersten Menschen, und ich bin es leid, zu warten, ich bin es leid, zuzusehen. Ich werde kämpfen, und wenn die Götter mich aufhalten wollen, sollen sie's versuchen - ich werde bereit sein.«
In diesem Moment erklang ein tiefes Horn. Zweimal wurde es geblasen.
»Ich denke, du wirst jetzt schon bereit sein müssen«, sagte Jon und eilte los.

1164 Wörter

Es kommen nur noch wenige Kapitel, dann ist das Buch beendet. Ich hoffe, es hat euch bis hierher gefallen :)

Valar Morghulis || Game of Thrones Staffel 3-4Where stories live. Discover now