Kapitel 3

3.1K 152 4
                                    

Ich vernahm ein Rascheln und langsam setzte ich mich auf. Ich hatte die ganze Nacht nicht schlafen können. Wenn ich einschlief, träumte ich - und diese Träume waren grauenvoll.
Vereinzelte Sonnenstrahlen drangen durch das Laub und ich musste einige Male blinzeln, bis ich die Gestalt genauer erfasste. Es war Ylenia, die einige Meter von unserem Lager entfernt im Morgennebel stand. Abrupt erhob ich mich und rannte auf sie zu. Sie lief vor mir davon, immer tiefer in den Wald. Irgendwann blieb sie stehen, doch als ich sie erreicht hatte, war sie verschwunden. Ich sah mich verwundert um. Meine Augen huschten umher, aber mein Wolf war nirgends zu sehen.
»Es ist nur ein Traum«, erklang eine mir bekannte Stimme. Ich wusste, dass er in meinem Rücken stand.
»Wieso träume ich von dem hier?«, fragte ich.
Jojen trat neben mich, seinen Blick starr nach vorn gerichtet.
»Vielleicht, weil du es so willst«, meinte er.
»Ist das hier real? Ich meine, ist das hier ein normaler Traum oder ...«
»... ein grüner Traum?«, half Jojen mir auf die Sprünge.
»Ja.«
»Wer weiß.«
»Du sprichst viel in Rätseln«, bemerkte ich.
»Rätsel sind der Schlüssel zum Schloss. Ob es der richtige ist, liegt an dir. Welche Tür wirst du öffnen? Der Weg, der dich von da an führt, wird dir erst offenbart, wenn du eine Entscheidung getroffen hast.«
»Und wenn ich keine Tür wähle?«
»Dann bleibt dir das offene, weite Meer. Hast du den Willen, kannst du es überqueren, wenn nicht, wirst du untergehen.«
»Was wird mich erwarten?«, fragte ich.
»Ein Strand, so weit das Auge reicht. Aus Asche und Staub. Tote zu deinen Füßen, Rüstungen, Schwerter - der Krieg ist über ihn hergefallen.«
»Und wenn ich hier bleibe?«
»Dann werden die Toten dich holen und dich zerreißen.«
Ich schwieg und ließ den Kopf sinken.
»Du darfst nicht immer zurückblicken. Hab' keine Angst vor dem holprigen Weg zu deinen Füßen. Er wird dich führen, auch wenn einmal ein Stein vor dir liegt und du stolperst«, meinte Jojen und ich erwachte.
Schwer atmend sah ich mich um. Ich saß aufrecht auf den Fellen. Die, die mich gewärmt hatten, waren heruntergerutscht, als ich aufgeschreckt war.
Bran schlief an einem Baum gelehnt. Hodor, Rickon und die Wölfe waren verschwunden. Meera und Osha lagen um dem bereits erloschenen Feuer und schliefen ebenso. Mein Blick fiel auf Jojen, der an einem Baum lehnte und mich schweigend musterte. Er schien zu wissen, dass ich von ihm geträumt hatte, und das brachte mir ein ungutes Gefühl.

Hodor und Osha bauten das Zelt auf. Wir hatten auf einer hügligen Ebene Halt gemacht. Einige Steine um uns herum zeigten, dass hier mal ein Haus stand. Rickon schlief in meinem Arm, während Jojen etwas entfernt mit Bran sprach. Die Wölfe waren unterwegs und Meera kam gerade von einer Jagd zurück.
»Was faselt der schon wieder?«, fragte Osha mit einem Blick auf Jojen.
»Es ist keine Sünde, dass er mit Bran spricht«, meinte ich.
»Wenn du wüsstest, worüber er mit ihm spricht, kleine Lady«, erwiderte Osha. »Warum darf er immer sitzen und quasseln, während wir arbeiten?«
Sie erhob sich und Hodor sagte nur: »Hodor.« Augenblicklich lief die Wildlingsfrau zu den beiden herüber, und ich wusste, dass sie sich gleich wieder streiten würde.
»Was erzählst du ihm?«, verlangte sie zu wissen.
»Ist schon gut, Osha«, versuchte Bran sie zu beruhigen.
»Ist es nicht. Denkst du, ich hör's nicht, wie du ihn jeden Tag die Ohren mit schwarzer Magie vollstopfst? Ihm von Visionen erzählst, von Dreiäugigen Raben und schlimmeren Dingen?«
»Lass ihn in Ruhe«, sagte Meera.
»Er kann auch selbst sprechen.«
»Ich stopf' ihm die Ohren mit gar nichts voll«, entgegnete Jojen ruhig.
»Wovon erzählst du ihm dann?«
»Was mit ihm passiert und was es bedeutet.«
»Nur zu. Dann erzähl uns, was es bedeutet.« Auffordernd verschränkte Osha die Arme vor der Brust.
»So funktioniert das nicht. Ich wünschte, ich könnte ihm alle Antworten geben - das würde vieles vereinfachen.«
»Was erklären?«, fragte ich. »Wovon sprecht ihr?«
»Hat er es Euch nicht erzählt?«, gab Osha zurück.
»Was erzählt?« Ich blickte zu Bran.
»Sienna, jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt«, meinte mein Bruder.
»Er ist es«, erwiderte ich. »Was hast du mir verschwiegen, Bran?«
»Ich sagte, jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt!«, wiederholte Bran mit ernster, harter Stimme. Ich zuckte bei seinen Worten zusammen. Noch nie hatte er so mit mir gesprochen. Was war nur aus ihm geworden? Ich war immerhin seine ältere Schwester.
»Du wirst nicht mehr mit ihm sprechen, bis wir deinen Bruder in der schwarzen Festung erreichen«, ordnete Osha in diesem Moment an.
»Wir gehen nicht zur Schwarzen Festung«, meinte Jojen.
»Was hast du gesagt?«
»Ich hab' es dir schon erklärt. Jon Schnee ist nicht dort. Bran muss den Raben jenseits der Mauer suchen.«
»Und wann, dachtet ihr, wolltet ihr diese Nachricht mit mir teilen?«, fragte ich aufgebracht. Ich ließ Rickon vorsichtig los und erhob mich. »Nur weil Jon nicht dort ist, wie deine Träume es dir mitgeteilt haben, heißt das nicht, dass wir nördlich der Mauer irgendetwas aufsuchen, was wir nie zuvor gesehen haben.«
»Es ist wichtig, dass Bran -«, begann Jojen, doch unterbrach ich ihn.
»Es ist mir egal. Wir werden zur Schwarzen Festung gehen, nicht weiter. Wer versucht, mich davon abzuhalten, kann gehen.«
»Dann gehe ich«, sagte Bran. »Ich werde mit Jojen nördlich der Mauer nach dem Raben suchen.«
»Oh, nein, da geh ich nicht wieder hin«, entgegnete Osha. »Dein Bruder ist in der Schwarzen Festung - und genau dort gehen wir hin.« Die Frau hockte sich neben Bran. »Sieh mich an.«
»Der Rabe sucht mich auf, seit ich damals von diesem Turm gefallen bin. Er will, dass ich ihn finde«, erwiderte der Junge. »Ich habe meine Beine nicht mehr. Das ist, was ich jetzt habe.«
»Du hast eine Familie. Du musst jetzt erst mal zur Schwarzen Festung, damit du zu ihnen zurückkommst, wo du hingehörst.«
»Was ist, wenn ich nach Norden gehöre? Was ist, wenn ... es für meinen Sturz von dem Turm einen Grund gab?«
»Ist es das, was er dir erzählt? Dass alles aus einem Grund geschieht? All diese schlimmen Dinge sind dir passiert, weil die Götter Pläne mit dir haben?«, meinte Osha hämisch. »Ich wünschte, das wäre wahr, kleiner Lord, aber die Götter haben nicht mal kalte Rattenscheiße für dich übrig, oder für mich oder sonst -«
»Du verstehst das nicht!«, rief Bran. »Du weißt nichts!«
Osha erhob sich. »Du weißt nichts. Keiner von euch weiß was. Keiner von euch ist dort oben gewesen!« Die Frau beruhigte sich ein wenig. »Ich hatte mal einen Mann, einen guten Mann. Brune hieß er. Ich war sein und er war mein. Doch eines Nachts verschwand Brune. Sie sagten, er hätte mich verlassen, aber ich kannte ihn. Er hätte mich nie verlassen. Niemals.« Osha hockte sich hin. Sie zog die Knie an den Körper und legte die Arme darum. »Ich wusste, er würde wiederkommen - und das tat er. Er trat von hinten in die Hütte ein. Nur war das nicht Brune, nicht wirklich.
Seine Haut war ... blass - wie die von einem Toten. Seine Augen blauer als der klare Himmel. Er kam auf mich zu, packte mich am Hals und drückte so fest zu, dass ich spürte, wie das Leben aus mir floss.
Ich weiß nicht, wie ich an das Messer kam, aber als ich es hatte, stieß ich es tief in sein Herz ... und er schien es kaum zu bemerken. Ich musste unsere Hütte abbrennen, mit ihm darin. Ich fragte die Götter nicht, was das bedeutete. Das war nicht nötig - ich wusste es schon. Es bedeutete, der Norden ist kein Platz für Menschen, nicht mehr.« Abrupt erhob Osha sich und wischte sich die einzelnen Tränen aus den Augen. »Ich versprach deinem Maester, dich zur Schwarzen Festung zu bringen - und nicht weiter.«
Ich schluckte schwer. Dies waren nur Worte gewesen. Das, was uns erwartete, war die Hölle selbst. Ich würde niemals zulassen, dass Bran und Rickon nördlich der Mauer gehen - auch wenn ich sie mit Gewalt davon abhalten müsste.

1310 Wörter

Was sagt ihr zu Siennas Traum?

Valar Morghulis || Game of Thrones Staffel 3-4Donde viven las historias. Descúbrelo ahora