Kapitel 9

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Er kroch mit zitternden Händen über den Boden. Bolzen steckten in seinem Körper, und obwohl der Schmerz unerträglich war, hielt er nicht inne. Er erreichte die Frau, die in ihrem eigenen Blut lag. Das Leben verließ sie bereits, sie gab nur noch letzte gurgelnde Geräusche von sich. Robb berührte Talisas Bauch, ebenso voller Blut wie der Boden unter ihr. Sie erstarrte. Ihre Augen verloren ihre Farben, waren glasig.
Catelyn Stark flehte Walder Frey an, ihren Sohn gehenzulassen, doch der alte Mann lachte nur. Mit letzter Kraft kämpfte Robb sich auf die Beine. Seine Mutter schrie ihn an, er solle fliehen. Doch er rührte sich nicht. In diesem Moment trat ein Mann hinter Robb und erdolchte ihn. Wenig später wurde Catelyn Stark die Kehle aufgeschnitten und röchelnd stürzte sie zu Boden.
Ich schreckte auf. Mein ganzer Körper zitterte, mein Herz hämmerte gegen meinen Brustkorb, so dass ich das Gefühl, es würde diesen zersprengen. Ich vernahm ein Hecheln neben mir und wandte meinen Kopf. Zwei blutrote Augen starrten mir entgegen und der Wolf setzte sich auf.
»Geist«, sagte ich und streckte meine Hand nach dem Tier aus. Geist ließ sich von mir berühren und ich streichelte sein Fell.
Da wurde die Tür aufgerissen und vor Schreck zuckte ich zurück. Schwere Schritte erklangen auf dem hölzernen Boden. Der Mann in dem schwarzen Mantel sah mich an und ich lächelte.
»Es war also kein Traum«, sagte ich.
»Nein.« Jon setzte auf die Bettkante neben mich. »Maester Aemon hat dir Mohnblumensaft gegeben. Das sollte die Schmerzen lindern. Deine Wunde wurde gereinigt und verbunden. Was tust du nördlich der Mauer?«
Ich schwieg. Bran, Jojen, Meera und Hodor waren fort - sie hatten mich zurückgelassen, mein Bruder hatte mich zurückgelassen. Doch ich konnte Jon nicht die Wahrheit erzählen. Merkwürdigerweise vertraute mein Inneres darauf, dass Bran es schaffen würde, und wenn ich Jon erzählen würde, dass sie mich begleitet hatten, würde er ihnen wahrscheinlich hinterherreiten - und das würde Brans Mission zerstören.
»Ich wollte zu dir«, erklärte ich. »Ich hatte gehört, dass du nicht in der Schwarzen Festung bist und so hab' ich den Tunnel unter der Nachtfeste genommen und bin nach Norden gegangen, wo ich zufällig auf dich gestoßen bin. Einer der Deserteure hat mich verwundet.«
Jon nickte langsam - er schien mir zu glauben. »Es ist nördlich der Mauer zu gefährlich. Du hättest in der Schwarzen Festung auf mich warten sollen.«
»Mir ist ja nichts passiert«, meinte ich.
»Dein Bein sah nicht nach Nichts aus«, erwiderte Jon mit einem leichten Lächeln.
Ich blickte zu meinem Verband, erwiderte aber nichts.
»Du hast Nymeria und Lady. Wieso? Was ist geschehen?«
Ich erzählte Jon von allem. Von dem Tag an, als wir Winterfell verließen, bis zu meiner Flucht aus Robbs Lager. Ich erzählte ihm von dem Tag, an dem unser Vater auf Joffreys Befehl hin geköpft wurde. Ich erzählte, wie ich vor den Lennister-Rittern geflohen bin und mich die Wölfe gefunden hatten - meine Geschwister, bis auf Robb, ließ ich aus.
»Und du?«, fragte ich, nachdem ich geendet hatte.
»Ich war auf der anderen Seite der Mauer gewesen - eine lange Zeit«, sagte Jon.
»Wieso?«
»Wir brachen zu einer Expedition nach Norden auf, um nach Onkel Benjen zu suchen und nach Antworten zur Rückkehr der weißen Wanderer und deren Wiedergänger.«
Mein Gesicht erblasste. »Onkel Benjen ist verschwunden?«
»Ja. Er ist nach Norden geritten und nie wieder zurückgekommen«, erklärte Jon.
»Was ist noch passiert?«, fragte ich.
»Als wir die Faust der Ersten Menschen erreicht hatten, trafen wir auf Qhorin Halbhand und seinen Trupp vom Schattenturm. Wir teilten uns auf, ich schloss mich ihnen an. Wir entdeckten Wildlinge. Wir töteten alle, bis auf eine Frau - Ygritte. Ich wollte, dass wir sie ausfragten, doch Qhorin wollte, dass ich sie selbst töte. Ich schaffte es nicht und wurde stattdessen von Wildlingen gefangengenommen.«
Ich runzelte die Stirn. »Aber du lebst«, sagte ich verwundert. »Die Wildlinge und die Brüder der Nachtwache sind nicht für ihre Freundschaft bekannt. Wie kann es sein, dass sie dich gehen gelassen haben?«
»Ich ... ich sollte Qhorin auf seinen Befehl hin töten und die Wildlinge ausspionieren.«
»Aber ... das ist Verrat an der Nachtwache, oder? Der Lord Kommandant wird das doch nicht so einfach hingenommen haben?«
»Der Lord Kommandant ist tot, aber ja, Ser Alliser Thorne hat mich des Eidbruchs bezichtigt - er konnte mich noch nie leiden.«
»Und nun? Wirst du als Deserteur hingerichtet?«, fragte ich mit Angst in der Stimme.
»Glücklicherweise trägt Maester Aemons Stimme viel Gewicht hier, also nein.« Jon lächelte leicht. »Hast du Hunger?«
»Ja, sehr sogar.«
Jon half mir auf. Er nahm seinen Mantel ab und legte ihn mir um.
»Gib's zu«, sagte ich, während ich den schwarzen, schweren Stoff enger um meinen Körper zog. »Ygritte, die Wildlingsfrau, sie ist der wahre Grund des Eidbruches.« Ich grinste ihn wissend an.
»Ja«, gestand Jon leise.
Ich erwiderte nichts, sondern wollte gehen, doch mein Bruder hielt die Tür zu. Verwundert sah ich ihn an.
»Eines noch: Als ich vor den Wildlingen geflohen bin, hab' ich nicht nur deine, sondern auch Brans und Rickons Wölfe gesehen. Du hast sie nicht einmal erwähnt, aber hast du sie gesehen?«
Ich schluckte. »Nein. Davon weiß ich nichts«, meinte ich schließlich. »Ylenia, Nymeria und Lady waren oft jagen. Vielleicht sind sie auf Sommer und Struppel gestoßen.«
Jon musterte mich eine Weile, dann nickte er. Zusammen gingen wir zum Versammlungsraum, wo die Brüder der Nachtwache immer aßen. Zielstrebig lief Jon auf einen Tisch zu. Vier Männer saßen an diesem. Sofort erkannte ich Sam, der genau zu mir blickte, als ich den Raum betrat. Augenblicklich ließ er den Blick sinken und ich runzelte verwundert die Stirn.
»Das ist meine Schwester Sienna«, stellte Jon mich ihnen vor. »Sienna, das sind Grenn, -«
Ein Mann mit einem rot-braunen Bart und kurzen, etwas wuscheligen Haaren hob die Hand.
»- Pyp, -«
Pyp war ein schlanker, hochgewachsener Mann mit einem schmalen Gesicht. Er trug einen leichten Bart und seine Haare kurz.
»- Edd -«
»M'lady«, sagte der Mann mit einem Nicken. Er hatte längeres braunes Haar, welches er nach hinten gekämmt hatte. In seinem kantigen Gesicht trug er einen Bart, nicht so stark wie der von Grenn, aber auch nicht so leicht wie der von Pyp.
»- und Sam«, endete Jon.
»M'lady«, sagte Sam leise mit gesenktem Kopf - es schien, als ob er Jon nichts von unserem Treffen erzählt hatte.
Ich nickte den Männern zu. »Freut mich, Bekanntschaft mit euch zu machen.«
»Setz dich doch.«
Jon deutete auf den Platz zwischen Pyp und Edd, und ich setzte mich. Mein Bruder holte uns Suppe und reichte mir schließlich eine Schüssel.
»Was geschieht nun mit mir?«, fragte ich, als Jon sich mir gegenüber gesetzt hatte.
»Du wirst hierbleiben«, sagte mein Bruder.
»Aber ist es denn sicher für sie?«, wollte Sam wissen. »Ich meine, ein Wildlingsheer marschiert auf die Mauer zu. Wär' sie in Mulwarft nicht besser aufgehoben?«
»Der König ist tot, die Königin nicht«, meinte Jon. »Es gibt nirgends einen sicheren Ort, und hier ist sie wenigstens bei mir.«
»Joffrey ist tot?«, fragte ich hoffnungsvoll.
»Ja, seit geraumer Zeit«, sagte Edd und lachte.
Grenn stellte seinen Humpen Bier auf den Tisch. »Vergiftet auf seiner eigenen Hochzeit, angeblich vom Gnom.«
»Tyrion Lennister?« Ich hob ungläubig eine Augenbraue. »Warum ausgerechnet er?«
Grenn zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung. Ist auch egal. Der Bastard ist tot - das ist alles, was zählt.«
»Und dafür sitzt sein Bruder auf dem Thron«, meinte Pyp und trank einen Schluck von seinem Bier. »Noch ein Bastard.«
Die Brüder wandte sich wieder ihrem Essen zu – das Gespräch schien beendet.
»Hast du was von Robb und meiner Mutter gehört?«, fragte ich meinen Bruder. Ich bemerkte die knappen Blicke, die Jon und Sam daraufhin tauschten. Ich ließ den Löffel los und straffte meine Haltung. »Was ist?«
»Sienna ... deine Mutter und Robb ... sie sind tot.« Jons Worte trafen mich wie ein Schlag ins Gesicht. Der Traum war kein Traum gewesen - er war die Realität. Ich hatte von dem Tod meines Bruders und meiner Mutter geträumt und hatte dem nicht Glauben geschenkt. Doch nun war es die Wahrheit, die pure Wahrheit.
»W-Wie ...?«, fragte ich mit zittriger Stimme. Einzelne Tränen stiegen in meine Augen und ich blinzelte einige Male.
»Verraten von Roose Bolton auf der Hochzeit von deinem Onkel Edmure und einer Frey auf den Zwillingen«, erklärte Jon. »Beinahe Robbs gesamtes Heer wurde vernichtet.«
Fassungslos starrte ich ihn an. Mein Körper erschlaffte.
»Es tut mir leid«, sagte mein Bruder leise.
Ich nickte und fuhr mir mit dem Handrücken über die Augen. »Entschuldigt mich«, sagte ich und erhob mich. Ich zog Jons Umhang enger um meinen Körper und verließ die Halle. Meine Beine schwankten. Zitternd krallte ich mich in den hölzernen Pfeiler, der das Vordach auf der Etage hielt. Ich wusste, dass die schwarzen Brüder unten zu mir aufsahen, doch das war mir gleichgültig.
Ich schrie meinen Schmerz aus der Seele. Meine Mutter und mein Bruder waren tot; ich hatte sie zurückgelassen, und wahrscheinlich hätte ich sie retten können. Sie waren tot - allein diese Worte weigerten sich in meinen Gedanken zu sein. Ich würde sie nie wieder im Arm halten können, nie wieder ihre Stimmen hören. Sie waren nur noch eine Erinnerung, die immer mehr und mehr verblassen würde. Und wieder schoss mir durch den Kopf, dass alle Menschen sterben könnten.

1516 Wörter

Nun hat Sienna die Bestätigung. Glaubt ihr, sie wird sich rächen?

Valar Morghulis || Game of Thrones Staffel 3-4Where stories live. Discover now