103-Zimmer 1294

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Auf meinem bequemen Sitz, der aber immer unbequemer bei zwei Stunden Autofahrt wurde, drehe ich mich mit dem Kopf nach hinten, um die große Collage anzusehen, die sicher in dem Bilderrahmen hinten auf der Rückbank zwischen Kartons und einer Tasche verstaut liegt. Genaustens sehe ich mir die Bilder an, muss bei so vielen Lächeln oder mir die Tränen verdrücken, bis ich wieder nach vorne gerichtet sitze, schniefe und mit meinem Handrücken eine Träne auf meiner Wange wegwische.

Die Idee von Harry finde ich so schön.

Ich liebe sie. Ich liebe ihn!

Die Bilder wurden wegen mir zerstört, jedoch war er es, der sie repariert hat, Tage lang Zuhause abends saß und kleine Schnipsel zusammengeklebt hat. Und Fingerarbeit war noch nie so sein, was ich mitbekam, als er die kleinen Schrauben in der Kaffeemaschine meiner Mom mit seinen großen Fingern drehen wollte, was kein bisschen klappte.

Die Frau will sich aber auch einfach keine Neue kaufen, sondern hängt weiterhin fest an diesem Schrottteil, welches Harry zwei Mal in zwei Wochen reparieren durfte. Er macht es aber auch einfach, vielleicht um bei ihr immer noch gut dar zustehen.

Mom war nicht so begeistert, als sie hörte, wie lange Harry und ich schon zusammen waren, was wir hinter ihren Rücken taten und wie oft ich sie wegen ihm angelogen habe, dass es keine Arbeitskollegin gibt, mit der ich mich getroffen habe. Sie mochte ihn wahrscheinlich eine Weile lang nicht mehr, war enttäuscht von mir und dem Mann, der sich wirklich anstrengte, um wieder gut bei ihr dar zustehen.

Gleichzeitig mussten er und ich noch unsere eigenen Probleme klären, mit den wir vielleicht etwas zu kämpfen hatten. Es war nicht einfach, aber wir haben es geschafft und sind jetzt glücklich.

Ich zumindest, da ich feststellen muss, als ich nach rechts schaue, wo der Lockenkopf am Steuer sitzt, dass er sich fest auf die Innenseite seiner Wange beißt, grimmig nach vorne auf die Straße blickt und kein Wort sagt.

"Alles in Ordnung?", erkundige ich mich vorsichtig, traue mich jedoch nicht, meine Hand auf seine angespannte Schulter zu legen. Keine Antwort erhalte ich von ihm, weswegen ich sage: "Du siehst so... wütend aus."

Tief holt er Luft, schließt kurz seine Augen, die er nach einer Sekunde aber auch schon wieder öffnet, da wir mit siebzig über die Straßen fahren, schaut immer noch nicht zu mir, sondern biegt ab, wobei seine Hände sich um das Lenkrad etwas verfestigen, ich besorgt auf seine Hände schaue.

"Harry?"

"Denkst du ich finde es gut, wenn du mich jetzt gleich verlässt, nachdem wir uns quasi gerade erst wieder vertragen haben?", fragt er mich, hupt aggressiv, weil ein silberner Mercedes vor uns nicht sofort bei dem Grün der Ampel losfährt.

Uns trennen vielleicht noch fünfzehn Minuten von London und bei jeder Minute die vergeht, wird er gereizter.

Ich weiß, dass er die Idee, ich würde alleine nach London gehen, nie vollkommen unterstützte, jedoch hatte ich gehofft, dass er meine Entscheidung unterstützt, keine Szene machen wird, wenn wir uns voneinander verabschieden, jedoch spielt diese sich jetzt schon im Auto ab, weshalb ich eventuell etwas Angst vor dem Abschied in dem Studentenwohnheim habe, wo Harry mich bis in mein Zimmer mit den Kisten begleiten wird. Bis jetzt zumindest.

Vielleicht schmeißt er mich ja auch einfach raus, nachdem er all meine Kisten aus seinem Auto befördert hat.

Nein, für so jemanden halte ich ihn nicht, es ist nur, dass mein ängstlicher Kopf sich immer die schlimmsten Szenarien ausmalt, diese dann so real darstellt.

"Harry, bitte", beginne ich, klinge dabei flehend in meiner Stimme, damit er ruhig bleibt, und nicht wie vor einer Woche voller Wut gegen sein Lenkrad schlägt, gerade als wir abbiegen. Es ging um die Zeit, als ich mich im Krankenhaus befand, nachdem er Schluss gemacht hatte, und wie es uns beiden ging, bis Harry so wütend auf sich selbst wurde und einfach gegen das Lenkrad schlug.

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