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Der Drei-Finger-Salut. Nur für uns. Für Jimmy und mich. Ich sehe, wie Katniss es ihnen allen nach tut. Ich glaube, sie bereut es jetzt. Wenn sie wüsste, dass ihr Stylist Cinna unser Onkel war, würde sie es noch mehr bereuen. Er hat uns einmal von ihr erzählt, er war total hingerissen. Kann ich verstehen, seine Kostüme standen ihr echt super und ich glaube auch, dass sie sonst ganz okay ist. Aber sie ist an dem schuld, was uns eben passiert ist. Und niemand kann es ändern. Jetzt nicht mehr. Es ist, als würde ein Meteorit auf die Erde zukommen. Nur, dass er nur auf Jimmy und mich zukommt. Aber das ist fast noch schlimmer, weil jemand übrig bleiben wird. Jemand, der uns vermissen wird. Der um uns trauern wird. Und vielleicht wird auch einer von uns dazugehören. Aber es kann nur einer sein. Wir können nicht zusammen zurückkommen.
Ein paar junge Männer mit Helmen führen mich in das Rathaus von Distrikt 5. Sie setzen mich in einen Raum, in dem nur ein Samtsofa steht. Der Raum ist gut geheizt, aber auch das kann meine innere Kälte nicht verschwinden lassen. Ich will mich jetzt nicht von allen verabschieden. Ich will jetzt nicht meine Freunde und Familie das letzte Mal gesehen haben, ich will sie wiedersehen können, jederzeit, wann ich will, mein ganzes, langes Leben lang. Aber damit das geschieht, muss Jimmy sterben. Und das könnte ich nicht aushalten. Ich könnte nie glücklich werden. Nicht ohne Jimmy.
Als erstes kommt nicht meine Familie. Meine Freundin aus Kapitolzeiten kommt durch die Tür.
Im Kapitol hatten wir kaum Zeit zu spielen, wir sind nämlich zur Privatschule gegangen, obwohl man im Kapitol nicht zur Schule gehen musste. Um sieben Uhr morgens sind wir aufgestanden, dann, wo manche Kapitolaner ins Bett gehen. Wir sind morgens um halb acht zur Schule gelaufen, Harry, Jimmy, Mary, Sally, Natasha und ich. Um acht fing die Schule erst an, aber der Weg zum Gebäude dauerte eine Viertelstunde und wir waren gern schon etwas früher da. Weil nicht viele Kapitolkinder zur Schule gingen, hatten wir alle in einer Klasse Unterricht. Insgesamt waren wir vielleicht 25 Kinder. Um 11.30 Uhr begann die einzige Pause des Tages, es gab Mittagessen und man konnte sich insgesamt eine Stunde lang vergnügen. Dann ging es wieder zum Unterricht, bis 16 Uhr, dann war Schulschluss. Wir kamen ungefähr um halb fünf nach Hause und machten Hausaufgaben bis 17.30 Uhr. Wir hatten im Kapitol viele verschiedene Fächer, Englisch und Latein, Ethik und Philosophie, Geschichte des Kapitols und der Distrikte, die Hungerspiele, Naturwissenschaften und und und. Obwohl unser Alltag ziemlich anstrengend war und wir auch am Samstag zur Schule mussten, waren wir glücklich. Wir kannten es nicht anders. Und es hat uns oft Spaß gemacht, wir konnten uns gegenseitig helfen und uns Witze erzählen und Quatsch machen. Unser Lehrer war auch nie böse auf uns, jedenfalls nie richtig.
Aber sonntags... sonntags gingen wir mit den anderen Kindern aus dem Kapitol spielen. Wir spielten Hungerspiele oder Ritter und vieles mehr.
Und beim Spielen habe ich auch Martoria kennengelernt. Sie ist die einzige, die mit mir in Distrikt 5 gepackt wurde. Seitdem halten wir zusammen, fester als je zuvor. Früher haben wir uns vielleicht ganz gut verstanden, aber jetzt sind wir das einzige, was wir wirklich hier kennen.
Martoria setzt sich neben mich auf das Sofa und legt einen Arm um mich.
"Du bist es also geworden", flüstert sie. "Ja, ich bin es geworden", murmele ich. "Du darfst dich nicht aufgeben, Lilly. Du bist stark, du kannst das. Du darfst dich nicht für ihn opfern. Ich will dich nicht verlieren. Und ich sehe es nicht ein, dass du dich aufgibst." Ich nicke gedankenverloren. "Hmm..." "Ich meine es ernst, Lilly. Bitte, versuch es. Versuch es für mich." Ich nicke. Und bin erleichtert, als Martoria gehen muss. Zum Abschied umarmen wir uns noch einmal. Sie weiß, tief in ihrem Inneren muss sie es wissen, dass ich ihr Versprechen nicht halten kann.
Als nächstes kommt Quintus rein. "Lilly, ich mache es kurz. Ich mach Schluss. Ich habe das Gefühl, dass ich dir in der Arena nur eine Last sein werde. Und das will ich nicht. Du sollst nicht bei allem, was du da draußen tust, an mich denken müssen." "Okay, Quintus. Okay." Irgendwie hatte ich das geahnt. In letzter Zeit haben wir uns kaum gesehen, wahrscheinlich will er mit mir im Reinen sein. Ich bin ihm dankbar. Er setzt sich neben mich, drückt mich an sich. "Du schaffst das", flüstert er in mein Ohr,"du hast so viel geschafft, du schaffst das." Dann schweigen wir, bis auch er den Raum und mich für immer verlassen muss.

Die Tribute von Panem: Tödliche Entscheidung Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt