1 | Reingelegt

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2.516 Worte

Bestimmt 30 Augenpaare sind auf mich gerichtet. Im Garten herrscht für einen kurzen Moment Stille und in diesem kurzen Moment begreife ich, dass man mich reingelegt hat. Oder nicht man, sondern dass Ginger mich reingelegt hat. Ginger und ihre Freunde.

Eben diese fängt nun lauthals an zu lachen, während sie sich gleichzeitig die Hand vor den Mund schlägt, um so zu tun, als wolle sie mich gar nicht auslachen. »O mein Gott Giovanna, was hast du denn da bitte an?«

Ich presse die Lippen aufeinander und balle meine Hände zu Fäusten. Bloß nicht weinen. Nicht jetzt, nicht hier!

»Da bekommt der Ausdruck Giowanne ja nochmal eine ganz andere Bedeutung.«

Hat die versammelte Mannschaft bis jetzt nur leise gekichert und gemurmelt, prustet sie nun los. Stumme Tränen laufen mir über die Wangen und ich lasse die Demütigung über mich ergehen. Sie würden mich sowieso nicht weglaufen lassen, wenn ich es versuchen würde.

Genüsslich kommt Ginger mit ihren langen, sauber epilierten Beinen, die in einem schwarzen enganliegenden, in der Mitte der Oberschenkel endenden Cocktailkleid stecken, auf mich zustolziert. Mit einem falschen Grinsen beugt sie sich ein Stück zu mir herunter und flüstert mir ins Ohr. »Schätzchen, hast du wirklich gedacht, wir würden dich plötzlich mögen, bloß weil du vielleicht 500 Gramm abgenommen hast?«

In diesem Moment kann ich mein Schluchzen nicht mehr zurückhalten. Deutlicher hätte sie mir nicht sagen können, dass man nicht einmal annähernd sieht, dass ich bereits dreieinhalb Kilo verloren habe.

»Mäuschen«, die Schwarzhaarige richtet sich auf und befeuchtet kurz ihre Lippen, ehe sie mir heuchlerisch die Hand auf die Schulter legt und einmal einfühlsam über meinen Rücken streicht, »wein doch nicht. Du wirst niemals zu uns gehören. Und schon gar nicht in diesem Tütü. Das musst du einfach einsehen.«

Aus dem Augenwinkel bekomme ich mit, wie sich ein Junge aus der Gruppe löst und im Gegensatz zu all den anderen Schülern, die aus dem Haus laufen, hineingeht.

Wieder gluckst Ginger kurz und hält sich ganz mädchenhaft die Hand vor den Mund. Und in dem Moment kocht etwas in mir über.

In einer Sekunde habe ich ihre Hand von meiner Schulter geschlagen, mich zu ihr gedreht und ehe ich mich versehe, halte ich ihre Haare in meiner Hand. Erschrocken kreischt Ginger auf.

»Ich will auch gar nicht zu euch gehören. So falsch wie du möchte ich niemals sein«, schreie ich ihr ins Ohr und ziehe noch fester an ihrer schwarzen Mähne.

Wild schlägt sie nach mir. »Lass mich los, du fettes Miststück!« Bald muss sie jedoch jeglichen Widerstand gegen mich einstellen, wenn sie nicht Gefahr laufen will, dass ich einen Büschel ihrer tollen Haare mit nach Hause nehme und dort Voodoo mit ihm betreibe.

Die versammelte Mannschaft ist so perplex von meiner Reaktion, dass sich nicht einer regt. Erst als ich mit einem kräftigen Ruck, der Ginger nochmal in ihrer besten Manier aufkreischen lässt, ihre Haare freigebe und mich rennend davon mache, bewegen einige der Schüler sich vom Fleck, um mir Platz zu machen. Jetzt will sich keiner mehr mit mir anlegen.

»Kein Junge liebt fette, hässliche Mädchen wie dich. Du wirst einsam, verlassen und ungevögelt sterben«, schreit sie mir hinterher und ich spüre, wie mir erneut die Tränen in die Augen schießen.

Zum Glück habe ich mir Dads Auto ausgeliehen und nicht Sammy gebeten mich herzufahren.

Heulend laufe ich zwei Straßen weiter zu meinem Auto, da vor dem Haus bereits alles zugeparkt war, reiße die Tür auf und lasse mich hinters Lenkrad plumpsen. Nichts wie weg! Ich will nicht eine Sekunde länger hier bleiben.

More than meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt