20 | Ferne Nähe

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2.112 Worte

Am Samstagmorgen stehe ich früh auf und fange an, in der Küche allerlei Leckereien zuzubereiten. Den Entschluss habe ich heute Nacht gefasst, nachdem ich nicht schlafen konnte, weil mir die Bilder des vergangenen Schultages in Endlosschleife durch den Kopf spukten.

Nachdem ich kapiert habe, warum Addison mich nicht leiden kann, sind die ersten Schüler für die nächste Spanischstunde eingetroffen, weshalb ich ohne ein weiteres Wort zu sagen meine Sachen genommen habe und aus dem Raum geflohen bin.

Mag ja sein, dass Addison eifersüchtig auf mich ist, aber sie irrt sich, was Sammys Gefühle für mich anbelangt. Sie muss sich einfach irren. Andernfalls wüsste ich nicht, wie ich mich Sammy gegenüber verhalten soll.

Um nicht darüber nachdenken zu müssen, nutzte ich die Biologiestunde, um Reece zu beobachten, der mich jedoch nicht eines Blickes würdigte. In der Pause gesellte ich mich nicht zu Sammy und seinen Freunden, sondern wanderte ziellos über das Schulgelände, weil ich die Vorstellung, schon wieder zerstritten mit Sammy am Tisch zu sitzen, nicht ertragen konnte. Und noch weniger hätte ich Addison gegenübersitzen können - wieder und wieder ihre Worte im Sinn, während sie mich mit Blicken abgestochen hätte.

Nach der Pause hatte ich Englisch mit Ginger und ihre gute Laune schien sich dem Ende zuzuneigen, denn ich bekam zu spüren, dass ich wieder mehr in ihren Fokus rückte. Wie die letzten Male auch wartete ich auf den Moment, in dem sie den Raum betreten würde, um einzuschätzen, wie sie gelaunt ist. Dieses Mal war sie nicht in Begleitung von Reece, weshalb sich unsere Blicke sofort trafen, als sie den Raum betrat.

Fehler. Großer Fehler.

Sofort verengten sich ihre Augen zu Schlitzen. Gleichzeitig brach mir der Angstschweiß aus, ich senkte rasch den Blick auf die Tischplatte und zog in Erwartung des Sturms die Schultern an. Zu meinem Glück entpuppte sich der Sturm nur als Platzregen - kurz, aber heftig.

Ginger fauchte mich an, dass ich nicht so zu glotzen bräuchte und warf mir ein paar Beleidigungen an den Kopf. Dann setzte sie sich an ihren Platz.

Ich atmete erleichtert auf. Das war nichts im Vergleich zu ihren sonstigen Demütigungen, bei denen sie genüsslich jedes Wort in ihrem Mund zu einem spitzen Pfeil formte, um ihn dann auf mich abzufeuern und zu schauen, ob er auch ja mitten in mein Herz traf.

Nach Englisch hatte ich Literatur. Ebenfalls mit Ginger, aber auch mit Sammy. Ich hoffte, er hätte sich wieder etwas beruhigt, doch leider wurde ich enttäuscht. Mit einem unterkühlten Kopfnicken reagierte er auf mein zaghaftes Handheben und setzte sich auf den Platz neben mir, um sogleich ein Gespräch mit seinem rechten Nachbarn anzufangen.

Ein Stich, viel schmerzhafter als jeder Pfeil von Ginger es jemals sein könnte, fuhr durch meine Brust und ließ mir Tränen in die Augen schießen. Ich biss mir auf die Unterlippe und versuchte mich während der Doppelstunde auf meine Unterlagen zu konzentrieren.

Sammy jetzt anzusprechen, wäre sinnlos gewesen. Es hätte ihn nur zorniger gemacht. Mir fiel aber nicht ein, wann ich stattdessen mit ihm reden könnte. Die Eingebung kam erst heute Nacht.

»Oh wow, was hast du denn heute vor?«, fragt mein Vater verschlafen, als er die Küche betritt und sich durch die Haare reibt.

Ich lege zwei Spieße mit Käse und Trauben, ein leckeres Sandwich und drei Erdbeeren auf einen Teller und bringe ihn zum Tisch, wo Dad sich schon auf seinen Platz gesetzt hat.

»Hast du irgendetwas angestellt?«, fragt er misstrauisch, nimmt sich aber eine Erdbeere und beißt genüsslich hinein.

»Nein, das ist für Sammy und mich. Ich habe was echt Doofes gemacht und dafür muss ich mich entschuldigen.«

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