2. Kapitel - Taylor

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Die Zimmertür öffnet sich und meine Mutter versucht unauffällig hineinzusehen. Sobald sie sieht, dass ich schon auf bin kommt sie in das Zimmer, während sie vorsichtig die Tür wieder zu macht. Sie bemüht sich leise zu sein und ich verstehe nicht warum. Komisch, irgendwie werden alle um mich herum leise.Wissen sie wie schlimm diese Stille ist? Je leiser es ist, desto lauter höre ich sie, die Schreie, die Schüsse. Haben sie Angst mich aufzuschrecken oder noch schlimmer, dass ich sie bemerken könnte? Sie bieten mir Gespräche an, obwohl sie nicht darüber reden wollen.  Denn dann bekommt diese Tragödie Farben, wird Real und verwandelt sich in das Grauen vor dem wir zu flüchten versuchen. Wenn ich die Wahl hätte, ich würde es genau so machen. Trotzdem, wie die Psychologin sagte: irgendwann werde ich mich damit auseinandersetzen müssen und allein der Gedanken daran bereitet mir Angst. Die einzigen die mir zuhören wollen sind Polizisten und Reporter, aber aus völlig anderen Beweggründen und ich bin nicht bereit über etwas zu sprechen, was ich noch nicht einmal im Ansatz angefangen habe zu begreifen.

„Schatz, die Coopers haben angerufen." Regungslos nehme ich die Information auf. „Sie sagte, würden gerne mit dir sprechen." Sie holt Luft, versucht die nächsten Worte zu beschönigen, dass merke ich. Wieder etwas, was jeder tut und es nervt mich. „Wegen der Beerdigung, sie wollen das nicht alleine entscheiden. Du kanntest ihn mit am besten." Stumm nicke ich und stehe auf. Das Bett zu verlassen ist Fluch und Segen zu gleich. Fluch, weil dann der Tag beginnt und ich dem Leben nicht mehr ausweichen kann. Segen, weil mich die Bilder nicht wach halten oder schreiend aufwachen lassen. Mum macht den Mund auf um noch etwas zu sagen, lässt es aber und geht stumm. Man wird als tickende Zeitbombe behandelt, welche Ironie. Taylor sagte immer man würde in einer Blase leben und schlimme Ereignisse brachten sie zum platzen. Deswegen hofft auch jeder auf eine Verschonung.

Nie hätte ich gedacht, dass der Gedanke an Taylor Cooper mir Schmerzen bereiten könnte.

Taylor und ich waren die ersten die sich angefreundet hatten. Es war im Kindergarten und Taylor hatte mich mit der Schüppe geschlagen, weswegen ich ihn mit Sand beworfen hatte. Das ganze Eskalierte schnell und uns wurde als Strafe der Kakao gestrichen. man konnte schon damals unsere rebellischen Züge finden, als wir uns dann durch das Fenster in die Küche schlichen um uns welchen zu klauen. Natürlich wurden wir erwischt und mussten im Sitzkreis auf dem Boden sitzen. Klingt lächerlich, war für uns 4 Jährige aber ein riesen Desaster, zumal wir uns vollkommen im Recht sahen. Unsere Eltern wurden natürlich über diesen Vorfall informiert, aber Dad fand es eher lustig als schlimm während Mum mich schon im Gefängnis sah. Ich erwartete das schlimmste am nächsten Tag. Stattdesssen steckte mir Taylor einen Kakao in meine Tasche. Hätten die Erzieherinnen gewusst was für ein Duo da zusammengebracht hatten, wir wären niemals bestraft worden. Aber es gab eben Dinge die man zusammen erlebte und durch die man unweigerlich zusammenfand. Das war so einer dieser Dinge und ab den Tag waren wir beste Freunde. Das Duo Infernale war geboren. Es wurde unsere erste Tradition, dem anderen einen Kakao zu besonderen Anlässen zu schenken. So bekam ich einen, weil ich erfolgreich Fahrrad fahren konnte und als er das erste Mal Liebeskummer hatte, tranken wir den Kakao während wir über die blöde Claire Summer herzogen.

Wir blieben während des Kindergartens, der Vorschule, der Elementry School und der Highschool unzertrennlich, auch wenn wir uns ganz unterschiedlich entwickelten.

Er wurde der begehrte Footballspieler, Kapitän der Mannschaft und bekam die Frauen. Einer derjenigen, mit denen jeder befreundet sein wollte. Ich interessierte mich mehr für Musik und Kunst, hatte zehn Kilo zu viel, bekam Pickel und war der Grund warum es nur noch festmoniterte Tafeln gab. Aber trotzdem blieben wir eine Einheit und irgendwann war die Pickelphase vorbei und ich wurde sozial anerkannter, sodass Tyler sich nicht mehr für mich Rechtfertigen musste. Er hatte es nie erzählt, aber ich wusste, dass er Drake McGallen die Nase gebrochen hatte, weil er sich über mich in der Pause lustig gemacht hatte. Ich erinnere mich gut daran wie Taylor mit geschwollenen Knöcheln zu mir kam und nicht mit der Wahrheit herausrücken wollte. Den Nachmittag tranken natürlich Kakao zusammen um seine erste Schlägerei angemessen zu zelebrieren. 

Über ihn in einer Vergangenheitsform zu denken ist unwirklich und letzte Woche hatte ich noch gescherzt, dass das College zum ersten Mal geschafft hätte, was unser Umfeld schon die ganze Zeit versucht hatte: uns zu trennen. Irgendwie denke ich die ganze Zeit er würde gleich reinkommen würde, in seiner Hand einen Kakao für uns beide, sich mit mir auf das Dach setzen und wir würden zusammen trauern, versuchen diese grässlichen Bilder zu verarbeiten.

Dass mich Taylor's Eltern sehen möchten, überrascht mich also nicht. Ich kann mir auch schon die Frage vorstellen, die sie als erstes stellen würden: Musste er leiden? Ich würde dasselbe fragen.

Taylor saß neben Susan und hörte ihr gespannt zu. Die beiden wären das perfekte Paar gewesen,  das war allen klar gewesen, außer den beiden nicht. Vielleicht wollten sie es auch nicht wahrhaben, oder sie trauten sich nicht aus Angst, dass die Freundschaft daran zerbrechen könnte. Keiner hatte jemals von möglichen Gefühlen gesagt, aber die Art wie sie sich hinterher sahen oder Susan sich an ihn lehnte wenn wir in der Aula saßen und versuchten wach zu bleiben, weil wir die halbe Nacht am See verbracht hatten, das war schon auffällig. Jetzt hatten sie keine Gelegenheit mehr jemals zu lieben. Er saß mit dem Rücken zum Eingang, wollte sie gerade etwas fragen, als der Schuss kam. Ich musste nicht suchen um heraus zu finden ob jemand getroffen wurde, denn ich sah wie die Kugel aus seiner Stirn trat und einen kreisrunden, roter Kreis hinterließ, aus dem Blut spritzte. Er fiel vorne rüber auf den Tisch und es wirkte absolut unwirklich, dass ich es im ersten Moment für einen Scherz hielt. Doch die Endgültigkeit, mit der er aufschlug ließ keinen Zweifel über seinen Tod zu.

Die Zeit vom Abdrücken der Pistole und dem Treffen seines Kopf betrug 0,06 Sekunden.

0,06 Sekunden war alles was es brauchte meinem besten Freund das Leben zu nehmen und mit ihm auch meins.

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