3. Kapitel - James

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Ich meide die Nachrichten und soziale Netzwerke, weil ich mir nicht zutraue die Gesichter meiner Freunde zu sehen oder Texte von trauernden Menschen dazu zu lesen. Der Grund ist einfach: ich finde nicht, dass sie meine Freunde so kannten wie ich, also ist ihr Leid nicht so schlimm wie meines und ich hasse mich dafür, dass ich so denke. Aber wenn ich lese wie Claire Summer um Taylor trauert, denjenigen, den sie damals, bevor er plötzlich begehrt wurde, hat sitzen lassen um mit Cole Devon zu gehen, dann könnte ich durchdrehen. Ich habe dann so eine Wut in mir von der mir beinahe schlecht wird und ich kann damit nicht umgehen. Also meide ich es, verkrieche mich in meinem Zimmer, schotte mich ab. Aber nicht heute, denn wenn Taylors Eltern mit mir sprechen wollen, dann hatten sie schon alleine um ihrem Sohnes Willen das Recht mit mir zu sprechen. Nach allem was Taylor für mich getan hatte, ist es das mindeste was ich ihnen schulde, schließlich waren wir nicht nur das Dou Infernale sondern auch Brüder. Das macht es aber nicht einfacher und als ich vor dem Badezimmerspiegel stehe, mache ich mir Gedanken ob es gerecht ist, dass ich Lebe und ihr Sohn nicht mehr. Werden sie mir die selben Vorwürfe wie ich mir? Die Tür ist abgeschlossen, deswegen höre ich wie mein Bruder dagegen rennt. Wütend haut er mit der Hand dagegen und verlangt das Dad die Tür aufmacht, während ich stumm die Person mir gegenüber im Spiegel ansehe. Mum schreit von unten, dass ich es wäre und mein Bruder entschuldigt sich leise bevor er geht. Wie ich bereits sagte, alles wird still um einen.

Die Wärme des Wassers in der Dusche erreicht mein Herz nicht. Ich fühle mich trotzdem kalt. Wenigstens färbt sich das Wasser dieses Mal nicht rot von dem Blut meiner Freunde, fließt dabei nicht den Abfluss hinunter und spült mich frei von ihnen.  Der Verband an meinem linken Schlüsselbein zeigt sich völlig unbeeindruckt dessen und ich habe das Gefühl, dass die Medikamente nicht nur die Schmerzen betäuben, sondern auch mich. Dabei würde ich ihn, auf eine verdrehte, masochistische Art, begrüßen, aber Mum achtet strikt darauf, dass ich die Tabletten einnehme. Komisch wie ich mich weigere das Ganze zu nennen wie es ist: ein Amoklauf, eine Hinrichtung, das sinnlose töten. Stattdessen nutze ich Beschönigungen wie Vorfall, was mich ärgert, denn es wird dem ganzen nicht gerecht. Es wird meinen Freunden nicht gerecht. Tränen die ich vehement versuche zu unterdrücken, bahnen sich ihren Weg durch meine Augen, vermischen sich mit dem Wasser und der Seife zu einer merkwürdigen Einheit. Ich halte die Packung in den Händen, doch wegen den Tränen in meinen Augen kann ich die Schrift nicht mehr lesen. Aber das muss ich auch nicht, denn ich wusste was dort oben in schwarzen Edding stand: For my Bestmen. James hatte sie mir vor einem Monat geschenkt und es war eine Anspielung auf unsere erste Begegnung.

James Miller, unser Nerd.

Das war kurz nach dem wir auf die Elementry School gewechselt hatten, Taylor und ich waren das erste Mal getrennt worden, weil er Gynastik hatte, während ich im Musikunterricht saß. Es war schwierig für mich Menschen anzusprechen oder auf sie zuzugehen, denn bis dahin war das immer Taylors Part gewesen. Mum hatte mir um mich aufzumuntern ausgerechnet an meinem ersten Schultag ein Schulbrot mit Zwiebeln und Knoblauch gemacht, weil ich das so gerne aß. Das tat ich auch, aber leider hatte es unerwünschte Nebenwirkungen wie meinen Mundgeruch. Musik war die erste Stunde nach der Pause und ich wunderte mich, warum die anderen Kinder nicht in meine Nähe kamen. Ich begann mich schnell als Außenseiter fühlen. James war der einzige, der mit mir sprechen wollte. Mit dieser lächerlichen Brille und in seiner Cordhose, die zu kurz war kam er auf mich zu, schon damals mit diesem kritischen Blick.

„Du stinkst, hast du nicht geduscht?", waren seine ersten Worte an mich und ich, wissend woher der Geruch kam, schüttelte nur stumm den Kopf. „Nun", fuhr er fort. „nächstes Mal solltest du Seife nehmen, das könnte helfen. Ich bin James." Er reichte mir die Hand, was ich schon als Kind merkwürdig für ein Kind fand, aber er sprach mit mir, also tat ich es ihm nach, froh darum endlich jemanden zum sprechen zu haben. Irgendwann aber musste ich ihm meinen Namen sagen und sobald ich den Mund geöffnet hatte  wusste James woran es lag. Er gab mir ein Pfefferminz Bon Bon, was scheußlich schmeckte, trotzdem half. Wir setzten uns in Musik nebeneinander und später stellte ich ihn Taylor vor. Die beiden verstanden sich zunächst nicht so gut und ich glaube dass Taylor ein wenig Eifersüchtig war auf James, weil ich nicht mehr auf ihn angewiesen war. Aber die Dinge änderten sich und James Verstand war unserem weit überlegen. Später, als er Taylor bei den Hausaufgaben half, fing auch er an ihn zu mögen. DAS Duo wurde ein Trio. Zu Dritt machten wir die Schule unsicher, wurden zum Schrecken der Lehrer. Es ging soweit, dass wenn jemand Nachsitzen musste (was meistens ich war, weil ich zum flüchten zu langsam war) die anderen beiden auch Unsinn machten um denjenigen Gesellschaft zu leisten.

Doch wir wurden älter und verstanden, dass es wenig Sinn machte Feuerwerke in den Tischen zu verstecken oder Juckpulver auf die Kreide zu verteilen. Also legten wir mit dem Wechsel auf die Highschool unsere Durchtriebenheit ab und bemühten uns vernünftig zu werden.  Taylor und James schafften es, ich nur bedingt. James war intelligent, aber seine sozialen Kompetenzen waren erstaunlich schlecht. Umso mehr wunderte es Taylor und mich als er Leann Smith kennenlernte. Die beiden waren das erste feste Paar in unserer kleinen Runde und sie das erste Mädchen mit dem wir mehr sprechen mussten. Leann wurde unter Vorbehalt toleriert, denn eine Beziehung unterstrich das Ende unserer Kindheit. Etwas, was Taylor und ich bis dato noch nicht begriffen hatten. Sie kannten sich aus dem Informatikkurs und ich erinnere mich gut daran wie aufgeregt James vor dem ersten Date war. Taylor und ich saßen entspannt auf dem Sofa in seinem kleinen Zimmer, tranken einen Kakao, während wir belustigt beobachteten James wie er die Nerven verlor. An jenem Nachmittag wechselte er sieben Mal das Outfit und fragte uns ständig wie man mit Mädchen umging. Meine Erfahrungen waren beschränkt und sie mit Sand abzuwerfen, wäre sicher nicht gut gewesen. Taylor konnte noch nicht wirklich was mit Mädchen anfangen sondern war vollkommen auf Football oder Videospiele fixiert. James, der mit den schlechtesten sozialen Fähigkeiten war der erste, der ein Date hatte und wir als seine besten Freunde waren keine Hilfe.

Sie gingen bowlen in der Bowlingbahn, die später unser Stammplatz werden würde und als James am nächsten Tag in die Schule kam, kam er aus dem schwärmen nicht raus. Leann wurde uns vorgestellt und ab da verschwand sie auch nicht mehr. James sagte immer, sie sei die eine für ihn. Ich beneidete ihn darum, denn er strahlte so eine Zufriedenheit aus wenn sie zusammen waren oder er über sie sprach, dass wir neidisch waren. 

Es war kurz nach meinem Geburtstag, als er zu mir nach Hause kam um etwas zu besprechen.
Ich weiß noch, wir saßen in meinem Zimmer und er konnte nicht Recht raus mit der Sprache. Immer wieder druckste er herum was für ihn total untypisch war und ich machte mir schon Sorgen, dass etwas Schlimmes passiert wäre bis er schließlich doch den Mut fand. Wenn sie nach dem Abschluss in den Urlaub fuhren, wollte er Leann einen Antrag machen, sagte er. Er habe die Frau für sein Leben gefunden und warum sinnlos Zeit verschwenden? Ich war sprachlos, aber nicht unbedingt überrascht denn jeder der Augen im Kopf hatte sah was die beiden für einander empfanden. Er ließ mir nicht wirklich zeit überhaupt eine Gefühlsregung zu zeigen weil er mich bat sein Trauzeuge zu werden. Ich sagte ja. 

Vermutlich sprachen sie gerade über den Urlaub, als sie in der Pause miteinander tuschelten. James Brille blendete mich mit der Sonne aber das machte mir nichts aus. Der zweite Schuss fiel unmittelbar nach dem ersten und wir hatten gar nicht die Zeit gehabt zu realisieren, was da gerade passierte, als James aufschrie. Es war nicht der einzige Schrei, der über den Hof ertönte, denn es waren instinktive Reaktion. Das richtige Schreien kam erst später. Ich bekam nicht mit wie James auf den Boden fiel, da ich Taylor ansah. Doch ich erinnere mich gut an seinen Blick, später, als ich auf den Boden lag und versuchte mich unter der Bank in Sicherheit brachte.Er war noch nicht tot, aber kurz davor. In seinen Augen waren sammelten sich Tränen, die langsam über sein Gesicht flossen. Sein Blick streifte meinen, ehe er ein letztes Mal Leann ansah, die neben mir lag und nach Luft röchelte. Dann verschwand das Leben aus seinen Augen, er hauchte seinen letzten Atem aus und sein Herz spielte den letzten Takt.

Die Seifenreste verschwinden in dem Abfluss, genau wie sein Blut es getan hatte. Ich schalte das Wasser ab und nehme mir ein frischem Handtuch, während ich versuche dieses Bild von seinen leeren Augen, gerichtet auf seine sterbende Freundin zu verdrängen. Ich habe nie an ein Leben danach geglaubt, doch für die beiden wünschte ich es mir.

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