5. Kapitel - Josh

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„Ich suche dir was raus." Die Stimme meines Bruders klingt hohl und er drückt mich sachte, bemüht meine verletzte Seite nicht zu berühren, zurück auf das Bett. Ich bin dankbar für seine Hilfe kann es aber nicht sagen, weil ich Angst habe dass er dann reden will. Und das kann ich nicht. Er kramt in meinem Schrank, zieht ein zwei Oberteile hervor, nur um sie wieder wegzulegen. Dabei zieht er an einem Shirt und das Trikot darunter fällt heraus. Stumm sehe ich es mir an, während der stechende Schmerz in meiner Brust fast unerträglich wird. Langsam hebt er es auf und als ihm klar wird, was das für ein Trikot ist, packt er es schnell zurück in den Schrank. Doch ich es gesehen. Es ist von den Bulls mit der Nummer 23. Josh hatte es mir vor 2 Jahren geschenkt als ich erzählte, dass ich gerne eins von Micheal Jordan besitzen würde, meine Eltern mir aber keins kaufen wollten. Er brachte es am nächsten Tag mit in die Schule und schenkte es mir. Sprachlos hatte ich ihn angesehen, doch er winkte ab und meinte, er habe viele von denen. Das Trikot trug ich fast eine Woche lang, bis Mum ein Machtwort sprach. Ab da dürfte ich es nie länger als zwei Tage am Stück tragen und leider wuchs ich in dem Sommer zu viel. Ich trug es trotzdem, weil es von Josh kam.

Josh Mayer. Ein weißer Name, sagte er immer. Dann beschwerte er sich über seine Eltern, weil sie ihm einen weißen Namen gegeben hätten, aber wir wussten es besser. Dieser Name garantierte ihn mehr Chancengleichheit und die brauchte er in einer Welt wie dieser, dass wusste er genau so gut wie ich.Um ihn zu sein hieß, dass man selbst ein Hauch seines Wesens aufnahm, dass man ein Teil war und ich würde vieles dafür geben ihn in dieser Zeit hier zu haben.

Als jüngster in der Familie von vier Kindern und zwei wunderbaren Eltern wechselte er als erster auf unsere Schule. An einer Schule, wo fast nur Weiße waren und dementsprechend konnte man sich vorstellen, wie es für ihn war gegen all diese Vorurteile anzukommen zu müssen. Seine Familie war so stolz auf ihn gewesen, hatten sie dabei das Problem einfach ignoriert? Niemand sprach mit ihm aus Angst, er würde sie zusammenschlagen, was Unsinn war, denn er war der friedlichste Mensch den ich kannte. Trotzdem hatte er es auch bei den Lehrern schwerer. An jenem Tag wo wir das erste Mal in Kontakt kamen, schrie Martha Burns Josh hätte sie bedroht. Schwachsinn, denn ich war die ganze Zeit dabei und er hatte sie nur um einen Stift gebeten, weil er sein Etui vergessen hatte. Doch unsere Lehrerin stand auf Marthas Seite, putzte ihn runter und ließ ihn Nachsitzen. Mein Versuch ihr zu erklären wie es wirklich war und dass es Rassistisch von Martha gewesen war, ihm zu sagen, dass er auf einer Plantage arbeiten gehen soll, weil er dort hin gehöre, schlug fehl. Mrs. Beaufort hörte nicht, sondern ließ mich ebenfalls Nachsitzen. So saßen wir beide da, sprachen nicht ein Wort miteinander. Einfach weil es nichts gab, worüber wir uns hätten unterhalten sollen, schließlich kannten wir uns nicht einmal. Es war die gleiche Nachmittag, an dem Leann mit ihrer Mutter stritt nebenbei. Am nächsten Tag setzte er sich zu uns in der Pause und ab dem Tag blieb er. Wir akzeptierten ihn bedingungslos und es dauerte nicht lange, bis sein fröhliches Wesen seinen festen Platz zwischen uns fand. Und wir einen in seiner Familie. Irgendein Nachmittag brachte er mir bei ihnen Zuhause Basketball bei und ich weiß noch, wie seine Mutter ihn zwang mit in die Kirche zu gehen. Es gab ein riesen Theater in dem er immer wieder sagte, dass er Besuch habe, er also nicht mitkönne.. Ich weiß nicht wie, aber später saßen wir zusammengepresst zwischen seinen drei Brüdern und den Rest der Familie auf einer Kirchenbank und sangen Hallelujah. Nur Mütter konnten so etwas.

Mit seinen Eltern werde ich auch sprechen, nicht aus Verpflichtung sondern weil ich es so will. Vielleicht können sie mir helfen mit einem Teil der Gefühle in mir fertig zu werden oder zu verstehen was da in mir vorgeht. Vielleicht lag ihr Umgang mit dem Tod an ihrer Religiösen Einstellung, aber ich hatte bei der Beerdigung seines Großvaters den Eindruck, dass für sie der Tod nicht so schlimm war wie für andere.

Josh wollte Medizin studieren und er war so glücklich gewesen, als er die Zusage für einen Platz erhalten hatte, dass er vorschlug uns am Abend in der Bowlingbahn treffen um zu feiern. Stolz berichtete er wie aufgeregt seine Familie gewesen war und dass seine Großtante Muriel schon anfing Geld in der Gemeinde zu sammeln um ihm eine Wohnung zu finanzieren. Es versetzte mir ein Stich, wenn ich überlegte wie wenig Möglichkeiten seine Familie hatte und er ohne deren Hilfe nicht studieren gehen könnte. Ich erzählte es ihm von meinen Gedanken und er legte mir einen Arm um die Schultern. Noch nie hatte ich ihn so Ernst sprechen gehört. „Hätte ich eine andere Hautfarbe, dann wäre das anders. Aber ich bin Schwarz." Reflexartig wollte ich zunächst protestieren, sagen dass es so nicht stimmte, weil die Welt kein Rassismus kannte. Doch dann überlegte ich und erinnerte mich an die vielen Gegebenheiten in denen Lehrer ihn schlechter bewerteten obwohl er besser war als die meisten anderen in dem Kurs. Nicht besser als Josh oder Leann, weil keiner das war, aber eben über den Durchschnitt. Oder wie in Kaufhäusern ein Security Mann immer in Sichtweite war wenn er mit uns mit war. Und obwohl ich es nicht wollte, musste ich mir eingestehen, dass wir niemals unter den selben Vorraussetzungen leben würden. Die Bewunderung für seinen Frohsinn und die Leichtigkeit die er ausstrahlte konnte nicht größer sein. Josh bekam von meinen trübsinnigen Gedanken nichts mit, denn er rief uns zusammen um ein Foto zu machen. Damals war ich genervt deswegen, heute dankbar. Widerwillig quetschten wir uns zusammen und Susan schlug vor es als Hintergrund auf unseren Handys zu speichern. Er postete das Bild auch auf Facebook und ein Sender hatte anscheinend die Rechte dafür gekauft, denn ein Tag später sah ich es auf dem Titelblatt einer Zeitung die mein Vater versuchte schnell zu verstecken.

Es gab viele Bilder mit uns allen zusammen. Auf einem saßen wir draußen an dem selben Tisch wie bei dem Amoklauf und es war ein ähnlich schöner Tag gewesen. Bis Claire Summers Susan gefragt hatte ob sie denn keine Angst hätte bei einem Schwarzen zu sitzen und sie eh aufpassen müsste mit wem sie sich abgebe. So etwas würde nachhaltig dem Ruf schaden. Josh hatte es gehört, wir alle hatten es gehört. Aber wir hörten auch wie Susan ihr eine knallte, sie anschrie und verriet was keiner wissen sollte: Sie schlief mit dem besten Freund ihres Freundes. Es herrschte eine Totenstille, keiner wagte etwas zu sagen als Susan sich wutentbrannt umdrehte und zu uns stampfte. Niemand rührte sich außer Josh, der aufstand und sie in den Arm nahm. Um ein Zeichen zusetzen entschlossen wir uns alle das Bild als Profilbild zu nehmen. Josh meinte, dass wir das System sprengen würden und wir uns The Anarchists nennen sollten, damit jeder Bescheid wüsste. Und dann lachte, ähnlich wie an dem Tag als er starb.

Da lachte er, weil Lion von seiner kleinen Schwester erzählte die seine Tattoo übergemalt hatte und sie mit kleinen Herzen verziert hatte. Nach den ersten Schüssen verstummte das Lachen schlagartig. Josh saß neben Susans anderen Seite. Er schien gewusst zu haben was vor sich ging noch bevor ich es wusste, denn er zog Susan runter und beugte sich über sie um sie zu beschützen, in seiner Hand das Kreuz um seine Kette. Vielleicht hatte er gebetet, zu dem Gott den er so liebte. Vielleicht dachte er aber auch an seine Eltern und seine drei Brüder. Und vielleicht hatte er nur gehofft dass er das hier überleben könnte, mit welcher Macht auch immer. Bei den beiden weiß ich nicht wer zu erst getroffen wurde, denn Lion zog mich von der Bank. Aber dafür hörte ich mehrere Schüsse in rascher Folge und das Aufschreien von Josh, als die Kugeln ihn getroffen hatten.

„Ist es falsch dass ich überlebt habe?" Meine ersten Worte und mein Bruder zuckt zusammen. Er dreht sich zu mir und sieht mich mit einem Blick an, den ich nicht einordnen kann. Es ist schade, dass wir kein gutes Verhältnis zueinander haben, in diesem Augenblick könnte ich einen Bruder wirklich brauchen. „Ich denke nicht. Ich denke es ist die Schuld der Überlebenden die du fühlst.", sagt er vorsichtig. Ich sehe auf den Boden, dann sage ich die Worte vor denen meine Familie am meisten Angst hat. „Ich wünschte ich wäre kein Überlebender." Und verachte mich für diesen Gedanken.

The AnarchistsWhere stories live. Discover now