9. Kapitel - Trauer

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Vor dem Haus der Millers stehen viele Autos und Menschen die ich nicht kenne und die schwarz tragen stehen im Vorgarten. Sie reden leise, Menschen werden in den Arm genommen und Taschentücher herum gereicht. Ich kenne niemanden von ihnen, also muss ich auch nicht anhalten und mit ihnen reden. Die Haustür ist offen und dieses leise Sprechen verstärkt sich, je näher ich dem Wohnzimmer komme. Doch das ist nicht mein Ziel. Ich biege vorher ab in die Küche und sehe wie James Mutter versucht eine Schüssel in den überfüllten Kühlschrank zu pressen. Sie sieht mich nicht und deswegen bekomme ich mit, wie sie flucht und die Tür zu schlägt, sodass eine Tasse runterfällt und auf dem Boden zerspringt. Sie kniet sich auf den Boden und versucht sie einzusammeln, aber ihre Hände zittern zu sehr. Ich knie mich zu ihr um ihre zu helfen und fange an die Scherben aufzulesen.

Grace sieht zu mir auf und sofort wird sie von einem erneuten Schluchzkrampf befallen. Vorsichtig nehme ich ihr die Scherben aus der Hand und legte sie zu dem Rest, dann legte ich meine Arme um sie. Haltsuchend greift sie in mein Hemd und der Schmerz in der Schulter kündigt sein Auftreten an, aber es in Ordnung. Das einzig wichtige in diesem Moment ist, dass wir beide um ihren toten Sohn, meinem Freund trauern. Demjenigen, der unser Leben um ein großes Stück reicher machte, nur weil es ihn gab. Der einen nur mit seiner Anwesenheit Halt geben konnte. Und seine Mutter hatten diesen Halt verloren.

„Er war doch noch ein Kind. Mein Baby.", schluchzt sie hemmungslos und zieht ihre Nase hoch.

Mir fällt nichts anderes ein, als sie zu halten. Keine Worte können einem in dem Moment helfen, dass weiß ich aus eigener Erfahrung.

„Mum?", fragt die Schwester von James und ich höre wie sie in die Küche kommt.

Als sie mich erkennt, schlägt sie sich die Hände vor dem Mund und ich merke wie sie versucht ihre Mauern hochzureißen, damit die Tränen keinen Weg dadurch finden. Ich bewundere sie dafür, ich könnte es nicht. Sie sieht die Scherben und läuft zu dem Waschbecken um ein Handfeger zu holen. Nach und nach verschwinden die Scherben und selbst als keine mehr da sind, fegt sie weiter. Bis ihre Mutter ihre Hand in ihre nimmt und sie nichts anderes machen kann, außer sich vehement die Tränen weg zu wischen.

„Ich würde Leann gerne den Ring umtun, den er für sie gekauft hatte.", sage ich irgendwann in die Stille, als wir auf dem kalten Boden der Küche sitzen, jeder in seinen Gedanken versunken. Verständnislose Blicke begegnen mir und wieder wird mir klar, dass ich der einzige war, der davon weiß.

„Er wollte ihr einen Antrag machen?", fragt sein Dad in die Stille des Raumes und ich nickte. Ich hatte nicht einmal mitbekommen, dass er hier war.

Adam Miller nickt mit mir. „Ja, ja das ist gut." Seine Stimme klingt brüchig. „So ein gutes Mädchen. Kluger Junge, wusste das die zeit kurz sein konnte." Dann vergräbt er sein Gesicht in seine Hände und seine Tochter eilt zu ihm um ihn in die Arme zu nehmen.

*

Die Schatulle in meiner Tasche wiegt schwer. Fast so schwer wie die Erinnerung an das Cello spielende Mädchen, was unsterblich in den Jungen ihrer Träume verliebt war.

Das Bild wie sich die beiden verliebt anschauen bei dem Meisterschaftsspiel von Taylor taucht in mir auf, während ich die Klingel drücke.

Mr. Smith öffnet mir die Tür und nichts in seinem Gesicht zeigt eine Art der Reaktion. Es ist eine steife, emotionslose Maske. Er lässt mich rein, aber ich merke dass ich nicht erwünscht bin. Für sie waren wir der schlechte Einfluss und es würde mich nicht wundern, wenn sie mir die Schuld an den Tod ihrer einzigen Tochter geben. Mrs. Smith sitzt steif auf einem Stuhl, makellos wie immer. Nur mit dem Unterschied, dass sie ihre Hände zusammenhält, weil sie zittern. Ansonsten lässt nichts in diesem haus darauf schließen, dass jemand so voller Leben gestorben ist. Das ganze Haus ist so kalt und ich frage mich, wie Leann trotzdem so viel Wärme in sich tragen konnte.

„Was möchtest du?", fragte mich ihr Vater und ich brauche einen Moment, um mich daran zu erinnern, warum ich da bin.

„Ihnen mein Beileid aussprechen. Leann war ein wundervolles..."

„Das wissen wir.", unterbricht er mich. „Sie war es, bis sie euch kennengelernt hat."

Ich atme ein um mich zu sammeln.

„Sie war es auch dann und Sie wissen, dass sie glücklich war mit uns." Meine Stimme klingt ruhiger als ich mich fühle. Ich möchte sie anschreien, ihnen sagen was sie verpasst haben aber wem würde das helfen? Leann brauchte niemanden, der für sie einstand, denn das wollte sie immer selbst tun.

„Sag was du möchtest und dann geh."

Ich ziehe die kleine Schachtel aus meiner Hosentasche und zum ersten Mal zeigt Mrs. Smith einen Hinweis auf Gefühle. Angst liegt in ihrem Blick, als sie die Schatulle mustert.

„James wollte Leann einen Antrag machen und ich weiß, dass sie ja gesagt hätte. Ich denke sie sollte ihn tragen wenn sie beerdigt wird." Ich sehe Mr. Smith fest in die Augen. „Ich hatte auf Ihre Zustimmung gehofft, aber ich werde ihn ihr so oder so anstecken, weil sie es so gewollt hätte."

Ein Geräusch von Mrs. Smith lässt mich zurück in ihre Richtung schauen. Sie ist aufgestanden und streckt ihre Hand nach der Schatulle aus. „Darf ich?" Ich nickte und gebe ihn ihr.

Wie einen Schatz sieht sie ihn an, dreht ihn in ihren Händen und drückt den schlichten goldenen Ring an ihr Herz.

„Sie wollte heiraten."

Dann beugt sie sich nach vorne, wie von Schmerzen geplagt und ihr Mann eilt an ihre Seite. „Sie wollte heiraten und ich habe es noch nicht einmal bemerkt." Es ist ein entsetzliches Bild, aber ich kann auch nicht weg sehen. Ihr Körper wiegt sich leicht vor und zurück und ihr Mann deutet mir zu gehe. Ich bin froh darüber, gleichzeitig fühle ich mich Leann gegenüber schuldig.

An der Tür werfe ich einen Blick zurück und sehe wie sie weiterhin zusammengekauert den Ring an sich drückt.

„Mein Baby.", flüstert sie mit tränenerstickter Stimme. „Mein wundervolles Baby." 

The AnarchistsWhere stories live. Discover now