6. Kapitel - Susan

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Mein Bruder legt mir eine dunkle Hose und ein graues Hemd raus. Wir sind uns nie wirklich nah gewesen was vermutlich auch an den Altersunterschied liegt. Oder weil wir beide so unterschiedlich sind. Also wird es zwischen uns keine sentimentale Momente geben, in denen ich ihm weinen in den Arm falle und endlich über das sprechen kann, was ich nicht vergessen kann. Wir beide wissen darum und die Differenz zwischen uns habe ich nie als so groß empfunden. Doch jetzt steht sie unüberwindbar zwischen uns und auch er beginnt zu verstehen, dass unweigerlich der Riss zwischen uns zu einem Bruch geworden ist. Vielleicht ist es zu früh Entscheidungen zu treffen, aber für mich ist klar, dass ich nicht mehr zurück an die Schule kehren werde. Im Gegenteil, wenn das alles vorbei ist werde ich mir vielleicht ein Motorrad oder so besorgen und diesen Ort hier verlassen. Um alles hinter mir zulassen. Susan meinte immer, dass wir erst zu Ruhe kommen werden wenn wir an dem Ort angekommen sind, wo wir bleiben werden und hier war nicht mein Ort, das spüre ich.

Susan Kennedy hatte ihren Ort gefunden und auch wenn sie für das College wegziehen würde, sie würde wiederkehren. Sie war die Art von Mensch, die wusste was sie wollte und alles daran setzte um ihre Pläne zu verwirklichen. Unser Schulhof wurde auf ihr bestreben hin neu gestaltet und es gab ein Schüler helfen Schüler Programm, in dem Leistungsstarke und Leistungsschwache zusammen lernten. Taylor brachte sie in unsere kleine Gruppe und ich glaube sie hatte einen kleinen Kulturschock erlebt, als sie uns kennenlernte. Sie war die letzte die zu uns stieß und das zweite Mädchen was dazu führte, dass wir uns in der Bowlingbahn treffen mussten.  Leann hatte sich mit ihr verbündet, weswegen James Garage weg fiel. Wir trauerten nicht lange darum, vielemhr um die Videospiele die wir wegen ihnen nicht mehr spielen konnten. Komisch eigentlich, dass Susan und Leann sich so gut verstanden wo sie früher eher in einem Konkurrenzverhältnis zueinander standen. Aber wer war ich, dass ich Frauen verstanden hätte.

Susan hatte sich oft darüber aufgeregt, dass an unserer Schule wenig Jugendliche mit anderer Hautfarbe oder aus den Slums unterrichtet wurden. Irgendwann hatte Lion sie genervt darauf hingewiesen, dass noch nicht einmal die Hälfte regelmäßig eine Schule besuchten und weniger als ein viertel  einen Abschluss machte. Vermutlich hatte ihr das ein wenig die Augen geöffnet, denn ab da wollte sie etwas zu verändern. Was sie geschafft hätte, daran habe ich keinen Zweifel. Das Politik Studium wäre für sie kein Hindernis gewesen. Nur würde sie nicht mehr die Gelegenheit dazu haben.  Susan war es, die Lion und Josh vor den Lehrern und den Schülern schützte, wo bei sie manchmal wie eine Löwen kämpfte um Gleichheit für sie zu erreichen. Denn Taylor, James und ich hatten unseren Ruf, wobei ich noch schlimmer dran war, weil die anderen beiden auf ihren Gebieten glänzten und man mich als schlechten Einfluss sah. Also machte ich es meist schlimmer für die beiden statt ihnen zu helfen. Aber ich erinnere mich gut daran, als Cole Devon verlangte, dass Lion seine Tasche leeren sollte weil er angeblich etwas von ihm geklaut haben sollte. Josh hielt mich zurück, denn ich hatte bereits einen Verweis und stand unter Beobachtung, meine Fäuste aber andere Pläne hatte. Niemand hätte mit Susan Kennedy der Schülersprecherin gerechnet. Ihr blondes Haar umwehte sie wie eine Kriegsgöttin. Sie verwies Cole dermaßen in seine Schranken, dass niemand mehr ein Wort sprach und ab den Tag beschuldigte niemand mehr Lion wegen Lächerlichkeiten wodurch sein Leben um vieles einfacher wurde.

Eigentlich gehörte Susan zur Oberschicht, zu der Elite. Stattdessen aber war sie lieber bei uns. Das sie und Taylor kein Paar geworden wurden ist genauso Unsinnig wie ihr Tod es ist. Taylor brachte ihr ständig ihren Lieblingsmuffin mit und ich wusste, dass er dafür extra einen Umweg fuhr. Doch ihr erzählte er immer, seine Mum hätte ihn dem mitgebracht und er habe keinen Hunger. Und sie hatte das Schüler helfen Schüler Projekt nur für ihn ins Leben gerufen, damit er sich nicht so alleine fühlte, weil er Nachhilfe benötigte und wir nicht. Wer eins und eins zusammenzählen konnte, erkannte zwischen dem Versetzungsproblem und dem Anfang von Schülern helfen Schülern den Zusammenhang, aber Taylor war zu dumm um es zu verstehen.Es gab so viele Anzeichen und Hinweise, aber die beiden haben sie aus Angst übersehen. Warum hatten sie beide diese beschissene Angst? Diese Angst vor dem verletzt werden, Angst vor dem ungewissen, Angst vor Zurückweisung, Angst vor sich selbst? Was hatte es ihnen gebracht? Vielleicht wurde ihnen nicht das Herz gebrochen, dafür schlug es jetzt nicht mehr. Warum hatten sie nicht jede Gelegenheit auf Glück genutzt? Wie konnten sie verdammt noch mal ihrem eigenen Glück im Weg stehen? Damit sie in ihrem letzten Moment bereuen? Dass sie daran denken was sie verpasst haben? So ein Schwachsinn. Wo war da die Gerechtigkeit, dass zwei der besten Menschen die es gab so etwas banales wie Liebe finden konnten, obwohl es direkt vor ihren Augen lag? Das Bild in meinem Kopf wie es hätte sein können, wie es hätte sein müssen, frisst mich auf, bohrt sich wie Gift in mich und ich hätte den beiden in den Arsch treten sollen, sie anschreien wie idiotisch sie sich verhalten, statt nur zuzusehen.

Ich denke an den letzten Augenblick, wo Taylor sie ansah wie eine Erscheinung und sie ihn anlächelte, weil er Interesse an ihr zeigte und sie diese spezielle Art der Aufmerksamkeit genoss. Ich versuche dieses glückliche Bild zu behalten, versuche zu verdrängen wie sie schrie vor Entsetzen, wie sie schrie vor Angst, wie sie schrie weil der Junge in den sie verliebt war nicht mehr lebte. Und wie schrie sie vor Schmerzen, als die Kugeln sie trafen.

Ich versuche es,

aber es gelingt mir nicht.

The AnarchistsWhere stories live. Discover now