Chapter Thirteen: Gedankenchaos

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Ich verbrachte die ganze restliche Nacht in meinem Zimmer. Die Party ging draußen weiter bis in den frühen Morgen. Nach etwa einer Stunde versuchte noch einmal Jenny zu mir durch zu dringen, doch auch wenn ich mich wieder beruhigt hatte, konnte ich niemanden von ihnen ertragen. Sie gab es schließlich auch auf wie Cole und ich konnte mich ganz dem kleinen Wunderkästchen widmen. Ich hatte schon nach wenigen Sekunden aufgehört nach einem logischen Grund für die Projektion meiner Gedanken zu suchen – es gab keinen. Immer mehr kam ich in den Glauben, dass das hier so viel mehr war als reine Technik. Wie konnte man es erklären seine eigenen Erinnerungen zu sehen. Und dann nicht nur aus der Sicht von sich selbst, sondern wie in einem Film. Steuern zu können welchen Blickwinkel man bevorzugte, welche Szene, wann die nächste begann und wie nah oder fern ich dem Geschehen um mich herum sein wollte. Ich besuchte in dieser Nacht meine Großeltern auf ihrem Anwesen auf dem Land, außerhalb von London, die ich seit mehr als zwei Jahren nicht mehr gesehen hatte. Ging mit meinem Großvater ausreiten, redete mit meiner Oma über Bücher und verbrachte Weihnachten, das letzte vor drei Jahren, mit ihnen. Anschließend ging ich mit meiner Mutter einkaufen und meinem Vater auf eine Reise quer durch England. Stunden verbrachte ich damit einfach nur neben dem Esstisch zu stehen, während mein altes Ich sich mit ihnen über belanglose Alltagsdinge unterhielt. Nur eine Person ließ ich bewusst aus: Thomas. Ich konnte nicht noch mehr von ihm ertragen. Hatte ich es doch erflogreich geschafft die letzte Zeit kaum an ihn zu denken. Es schmerzte einfach zu sehr, als dass ich noch mehr Erinnerungen an ihn sehen wollte.

Aber auch meine Familie zu sehen tat mehr weh als erwartet. Anscheinend hatte ich das Heimweh nie wirklich realisiert und nun traf es mich mit einer Wucht, die mich schmerzlich daran erinnerte wie alleine ich doch wirklich war. Ich stellte mir die Frage wie weit meine Freunde hier wirklich wahre Freunde waren und kam zu dem Entschluss, dass ich sehr viel einsamer war, als ich es mir hatte eingestehen wollen. Die Mentalität der Kalifornier war mir so fremd wie noch nie. Ich passte einfach nicht hier her. Zu ihnen. Doch war ich schlau genug zu wissen, dass ich mich gerade in einem Tief befand, in dem ich mich einfach nur selbst bemitleidete. Ich konnte gar nicht anders als alles schlecht zu sehen. Es würde Zeit brauchen und ich würde bestimmt so einiges nicht mehr Schwarz sehen.

Als die ersten Sonnenstrahlen durch mein Fenster schienen, legte ich endlich die Schatulle beiseite, wenn auch nur wenige Zentimeter und versuchte etwas Schlaf zu finden.

Es war mir anscheinend gelungen, denn als ich das nächste Mal erwachte, zeigte mein Wecker 15 Uhr. Niemand hatte ich zu wecken versucht und als ich ins Bad lief, stellte ich fest, dass ich ganz alleine war. Die Zimmer standen offen, sie konnten so also nicht schlafen und im Haus war kein einziges Geräusch zu vernehmen. Der Garten war auch schon wieder aufgeräumt. Das musste man ihnen lassen. So sehr sie auch feierten und sich betranken, aufräumen konnten sie.

Ich hielt mein Gesicht unter kaltes Wasser und blickte in den Spiegel. Ich hatte tiefe Augenringe und geschwollene Lider erwartet, doch eigentlich sah ich recht gut aus. Erstaunlich gut für so eine Nacht.

Zurück in meinem Zimmer wanderte mein Blick sofort zu der Schatulle und mir kam ein neuer Gedanke, jetzt wo mein Kopf wieder einigermaßen klar war. Wenn ich nur meine Erinnerungen sehen konnte und ich hatte versucht andere Dinge zu sehen, es ging nicht, was zur Hölle war dann das gewesen, was Aidan uns gezeigt hatte.

Es konnten ja wohl kaum seine Gedanken und Erfahrungen sein. Es sei denn... Ach so ein Quatsch. Als ob er ein Gott war. Ich musste Grinsen. Wenn 'Mister Göttlich' wirklich ein Gott wäre... Ich wollte diese verrückte Idee gar nicht erst weiter spinnen. Die Schatulle musste einfach mehr können, als ich herausbekommen hatte, so einfach war das.

Länger konnte ich mich glücklicherweise auch nicht mehr in diese verwirrenden Überlegungen verstricken, denn die anderen kamen nach Hause. Ich wollte ihnen nicht mehr aus dem Weg gehen, denn so längerich das Ganze hinzog, umso schwieriger wurde es eine Erklärung zufinden, bei der in nicht meine ganze Geschichte erzählen musste.

"Hey hallo ihr", sagte ich also während ich die Treppe hinunter lief. "Hi", kam eine etwas verwirrte, gedehnte Antwort von Jenny zurück. "Alles klar bei dir?" Ich war auf dem Weg zur Spüle gewesen und drehte mich nun um. "Hmm, ja alles gut. Hab gestern wohl etwas zu viel getrunken", versuchte ich die Sache runter zuspielen. Alles auf den Alkohol zu schieben war immer eine gute Lösung. Zwar trank ich nicht viel, aber so konnten sie auch ruhig denken, dass das ausflippen darauf meine normale Reaktion bei zu viel Promille war.

Liams Blick war zweifelnd. Also setzte ich noch einen nach:" wirklich Leute. Es ist alles wieder in Ordnung. Die Cocktails waren stärker als gedacht und als mich die Jungs am Schießstand geärgert hatten, habe ich wohl etwas übertrieben reagiert. Sorry für die Aufregung. Ich brauchte etwas Zeit alleine, doch jetzt ist alles wieder vergessen." Ich zwang mir ein Lächeln ab und schien so endlich mein Ziel zu erreichen. Die fragenden Blicke verschwanden, die Stimmung lockerte sich.

Jen lief zu einem Küchenschrank und schnappte sich eine Tüte Popkorn: "ja wenn das so ist, können wir ja zusammen einen Film ansehen."Ich war erleichtert und liebend gerne dabei. Das versprach Ablenkung und so saßen wir den restlichen Sonntag vor dem Fernseher und zogen uns einen nach dem anderen Actionfilm rein. Wir lachten und alberten herum. Liam erzählte noch eine witzige Story des Vorabends, die mir doch tatsächlich einen Lachflash verpasste. Ich sah Hoffnung für mich und Kalifornien. All die trüben Gedanken schienen total bescheuert jetzt aus der Ferne. Natürlich waren sie meine Freunde. Sie sorgten sich um mich und wir konnten zusammen so viel Spaß haben. Sie mochten zwar andere Ansichten auf das Leben haben, doch eigentlich war es doch ganz gut, dass ich sie mich bei diesem Lebensabschnitt begleiteten. Jenny verlor sogar kein einziges Wort mehr über die Sache mit Aidan, wofür ich ihr echt dankbar war. Anscheinend hatte sie begriffen wie wenig ich das ab konnte.

Erst spät am Abend, als ich frisch geduscht in mein Zimmer lief, musste ich wieder daran denken, dass morgen eine nächste Vorlesung bei Aidan anstand. Und somit war auch schon eine Woche vorüber. Es kam mir so viel länger vor. Ich musste mir wohl oder übel Gedanken machen, wie es mit uns weiter gehen sollte. Wollte ich mich auf die ganze Sache einlassen, mit der Gefahr hin, dass ich Ärger bekam oder verletzt wurde oder sollte ich total abblocken und nicht mehr mit ihm reden?

Das wäre wohl das Einfachste. Ich musste ihm nur die Schatulle wiedergeben. Wären da nicht all die ganzen Fragen, die in meinem Kopf spukten, die nur er beantworten konnte.

Als ich später im Bett lag, hatte ich eine Entscheidung gefällt. Ich würde nichts tun. Gar nichts. Den Dingen einfach freien Lauf lassen. Schließlich war doch gar nichts passiert. Nur die albernen Sprüche von Olive und Victoria hatten mich dazu gebracht mehr darin zu sehen. Vielleicht war er einfach nur ein Spieler, der gerne Scherze mit seinen Schülern trieb und allgemein freundlich zu jedem, der ihn nicht behandelte, als wären er und sein Vorlesungsthema total bescheuert. Ich würde einen Scheiß auf die Sprüche der anderen geben. Mich interessierte das Thema 'nordische Mythologie' immer mehr und wenn ich dadurch mit ihm reden musste, sollte das halt so sein. Es war bescheuert mehr hinein zu interpretieren, als da wirklich war und sich kindisch zu verhalten. Es war überhaupt total albern sich überhaupt so viele Gedanken über ihn zu machen, hatte ich doch die letzte Woche fast nichts anderes in meinem Kopf gehabt. Das sollte jetzt endlich vorbei sein. Zufrieden mit mir selbst, kuschelte ich mich in die Kissen und fand endlich erholsamen Schlaf ohne viele Gedanken oder aufwühlende Träume.

Ragnarök - Frühlingssonne✔Where stories live. Discover now