II

3.3K 168 32
                                    

»Ita diis placuit.«

»Wie es den Göttern gefiel!«

- Marcus Annaeus Lucanus, römischer Dichter


Ein weißer Boden mit einigen Verzierungen starrte mir entgegen. Meine braunen Haare berührten ihn beinahe. Ich schüttelte verwundert den Kopf, tastete den Boden ab. Lautes Gemurmel drang an meine Ohren und ich blickte auf. Männer in weißen Kleider artigen Gewändern, die mit goldenen Fassetten verziert waren, sahen mich mit offenen Mündern und ungläubig an. Ich erhob mich abrupt, wankte einige Schritte nach hinten – noch immer war die Kraft aus meinem zierlichen Körper gewichen.

Ein Mann mit dunklen Haaren und einem kantigen, finsteren Gesicht blickte verwirrter als die anderen zwischen mir und den anwesenden Männern. Seine Stirn war in Falten gezogen, seine Augenbrauen schienen sich beinahe zu berühren. Er öffnete den Mund und sprach zu mir – es war Latein, wie ich erkannte. Perplex stand ich da, verstand kein Wort von dem, was er sagte, und sah mich verzweifelt um. Er schwieg, wartete augenscheinlich auf eine Antwort und da ich nicht antwortete, sprach er weiter. Wieder endete er und sah mich durchdringend an, sein Gesicht ernster als zuvor.
»Ich weiß nicht, was das hier werden soll, aber wenn das ein Theaterstück oder so etwas Ähnliches ist, habt ihr gewonnen«, meinte ich. »Ihr habt mich vollkommen überzeugt. Rom ist echt ein wenig unheimlich, aber, ja, wenigstens gibt es keinen Streit darum, wer die besseren Kleider trägt.« Ich sah mich um und deutete zum Ausgang. »Ich werde jetzt gehen ... und meine Eltern suchen. Die geben euch sicher ein wenig Geld ... Auf Wiedersehen, Adieu, Au Revoir, oder so ...«
Bei jeder einzelnen Verabschiedung lief ich einen Schritt rückwärts, bis ich gegen jemanden stieß. Langsam blickte ich auf und sah in das Gesicht eines Mannes, der mich finster anstarrte.
Der andere Mann, der zuvor auf mich eingeredet hatte, trat hervor und sprach weiter. Die einzigen Wörter, die ich nun verstand, waren »Gaius Julius Caesar«.
»Ich kenne mich auf dem Gebiet wirklich nicht aus, aber ich weiß, dass Caesar ein Diktator war«, sagte ich.
»Latin?«, fragte mich der Mann.
»Ein bisschen.«
Ahnungslos zugleich blickte er mich an.
Ich hob meine Hand und hielt sie waagerecht in die Luft. »Ein-bisschen«, wiederholte ich langsamer.
Verwundert schaute er an mir vorbei, zu dem Mann hinter mir. Da ich mich nicht umdrehte, sah ich nicht seine Reaktion.
»Roman?«
»Kenn' ich nicht«, gab ich zurück.
Die Lage wurde immer merkwürdiger und mit der Zeit bekam ich das Gefühl, dass dies kein Spaß war. Erst jetzt fielen mir die Messer auf, die die Männer hinter dem Ernsten in der Hand hielten. Bevor ich jedoch nachfragen konnte, vollführte dieser eine Handbewegung und der Mann hinter mir ergriff mich an den Schultern. Grob zerrte er mich mit sich und ich schlug aus Reflex um mich, doch verstärkte der Mann nur seinen Griff, so dass es anfing, wehzutun.
Ich wurde durch Straßen gezogen, die meine Eltern und ich zuvor nicht passiert hatten. Generell sah das hier nicht aus wie das Rom aus dem 21. Jahrhundert. Das einzig Logische, was mir in den Sinn kam, war, dass man mich während des Leuchtens verschleppt und auf ein Filmset geschleppt hatte, auf welchem jetzt einer der skurrilsten Shows abgezogen wurde, die ich jemals erlebt hatte. Ich musste mich zu sehr auf die merkwürdigen Gefühle konzentriert haben als auf meine Umgebung – anders konnte ich meine Abwesenheit nicht erklären.
Man hatte mir einen Sack über den Kopf gezogen – es brachte nichts, sich zu wehren, denn der Griff des Mannes war zu stark.
Er brachte mich in ein Haus, wo er mir den Sack herunterzog, mich in einen Raum auf einen Stuhl, der vor einem Schreibtisch stand, setzte und mich alleine ließ. Ich sah mich schweigend um. Überall standen Pflanzen in großen Vasen. Bücher und Schriftrollen lagen auf dem Schreibtisch und dem Boden. Leichte Vorhänge wehten im sanften Wind, welcher mir in dieser Hitze wenigstens ein bisschen Abkühlung schenkte. Es gab keine Fenster, stattdessen weite Bögen, die auf eine Terrasse führten.
Plötzlich öffnete sich die Tür in meinem Rücken und der Mann mit dem strengen Gesicht trat herein – gefolgt von einem älteren. Der Dunkelhaarige ließ sich auf dem Stuhl auf der anderen Seite des Schreibtisches nieder, begann auf Papier mit einer Feder zu schreiben, ohne mir Beachtung zu schenken.
Verunsichert blickte ich zu dem Begleiter, welcher rechts von mir vor der Wand stand, die Hände ineinander verschlossen und vor dem Bauch haltend. Der Mann lächelte mir freundlich zu und in diesem Moment legte der Dunkelhaarige vor mir die Feder beiseite und sah mich an.
»... Gaius Julius Caesar«, erklärte dieser noch einmal. Nur diesen Namen verstand ich und somit musste es wohl sein eigener sein, wie ich mir dachte.
Seltsam. Wer heißt denn heutzutage noch Gaius Julius Caesar? War das nicht irgendein Römer gewesen?
Ich blickte noch einmal zu dem Mann zu meiner Rechten, dann wieder zu dem vor mir. »Ich bin Elizabeth Victoria Meyer«, sagte ich auf Deutsch.
Nun wechselte der vermeintliche Caesar einen Blick mit seinem Begleiter. Er sprach etwas zu mir, was ich nicht verstand, und ich sah ihn nur mit großen Augen an.
Er nahm ein Blatt und eine Feder und zeichnete etwas darauf, was ich jedoch aufgrund der vielen Bücher vor mir nicht sehen konnte. Schließlich reichte er es mir und ich musterte die Zeichnung. Zu sehen waren betende Menschen, die um einer Frau versammelt waren. Sie erinnerte mich an eine der Göttinnen aus den vielen Tempeln, die meine Eltern und ich bereits in Griechenland und Italien besucht hatten.
Ich lachte leise auf und schüttelte den Kopf. »Nein, ich bin keine Göttin.«
Wieder blickte Caesar zu seinem Begleiter und sprach nun zu diesem. Dann vollführte er eine Handbewegung und ich wurde von dem Mann zu meiner Rechten auf die Beine gezogen. Er führte mich durch das Haus – viel sanfter als der andere Mann.
»... Lucan«, erklärte er.
Ich nickte. »Freut mich.«
Ich wurde in einen Raum gebracht. Er war ebenso luftig und offen wie der andere zuvor. Ein Himmelbett stand mittig des Raumes. Seidene Vorhänge versperrten die Sicht auf das wahrscheinlich reingewaschene Bettzeug. Ich hob eine Augenbrauen.
Wo, zur Hölle, war ich?
Ich wandte mich dem netten Mann zu. »Entschuldigen Sie. Ich finde es wirklich schön hier und ich würde auch wirklich gerne bleiben, doch suchen meine Eltern sicher schon nach mir, und ich kann Ihnen sagen, dass sie ausrasten werden, weil ich ohne ein Wort verschwunden bin. Natürlich habe ich nichts damit zu tun, aber, na ja, das werden sie mir nicht glauben. Also bitte ich Sie, mich wieder -«
Ich wurde von dem Mann unterbrochen und auch dieses Mal verstand ich nichts. Er wirkte jedoch ein wenig genervt, wie ich an seiner Tonlage erkannte.
Fragend sah ich ihn an, doch schien es ihn nicht zu interessieren, ob ich ihn verstand oder nicht, und so ging er einfach und ließ mich allein in dem Raum zurück. Ich seufzte und sah mich unschlüssig um.
Ich könnte versuchen, den Weg zurück zum Theater des Pompeius zu finden. Vielleicht würde ich es sogar schaffen, doch da kannte ich meinen Orientierungssinn besser, und abgesehen davon, dass mich niemand hier zu verstehen schien, würde ich nicht einmal jemanden nach dem Weg fragen können.
Nach einer Weile kam ein junges Mädchen herein. Ich machte mir nicht die Mühe, mit ihr zu sprechen. Stattdessen beobachtete ich, wie sie mir eine weiße Decke auf das Bett legte. Ein weiteres Mädchen kam und brachte eine Schüssel Wasser. Abwartend sahen mich die beiden an. Ich runzelte verwundert die Stirn und trat auf das Bett zu, um mir die Decke ansehen zu können. Erst jetzt erkannte ich, dass es sich hier um zwei rechteckige Wolltücher handelte. Neben ihnen lag ein rot-brauner Gürtel.
Ich blickte auf und sah die beiden Mädchen an. »Ich soll das anziehen?«, fragte ich und deutete auf die Tücher. Die beiden antworteten nicht, starrten mich nur weiterhin abwartend an. Mit einem Seufzen hob ich die Sachen vom Bett und hielt sie vor meinen Körper. »An-ziehen«, versuchte ich ihnen mit einer Geste deutlich zu machen.
Nun nickte die eine, die dann auf mich zukam und mir beim Anziehen helfen wollte.
»Hey, woah!« Augenblicklich sprang ich zurück. »Ich kann das allein. Ich brauch' eure Hilfe nicht. Danke.«
Doch das Mädchen ließ nicht locker, und so wurde ich von den beiden umgezogen – gegen meinen Willen. Aber was blieb mir anderes übrig? Herausrennen und nach meiner Mutter schreien? Keine Ahnung, was das hier für ein irrer Saftladen war, aber ich kam hier nicht heraus; und das war offensichtlich.
Als ich endlich dieses Wollding an mir trug, im Nachhinein sah es aus wie ein Kleid – die Wolltücher waren zu einem Oberteil zusammengebunden und mit dem Gürtel festgehalten worden, ein weiteres Tuch diente als eine Art bis über die Knöchel reichenden Rock -, kam der nette Mann namens Lucan zurück. Mit einer knappen Handbewegung bedeutete er mir ihm zu folgen, und er führte mich durch das Haus, hinaus auf die Straße, wo ich mich in einen offenen Kasten hineinsetzen musste, der von vier Männern getragen wurde.
Da ich nicht in der Hocke sitzen konnte, musste ich mich auf die Kissen und Decken zurücklehnen. Verkrampft versuchte ich mich nicht komplett darin reinfallen zu lassen.
Diese ganze Situation wurde von Sekunde zu Sekunde seltsamer.
Während alle mich sehen und beobachten konnten, wurde ich durch die Stadt getragen. Ich hatte das Gefühl, dass der Zug immer größer wurde, doch drehte ich mich auch nicht um, um nachzusehen; ich traute dem Ding nicht, in welchem im saß.
Wir erreichten einen großen Platz. Riesige Säulen standen hier, und eine Menschenmenge hatte sich vor einem hölzernen Podest versammelt, worauf der vermeintliche Julius Caesar stand. Hinter ihm saßen unter einem Baldachin zwei Frauen und ein Mann, der derjenige war, in dem ich im Theater des Pompeius hineingelaufen war.
Vor dem Podest war eine etwas niedrigere Erhebung aufgebaut worden, auf welchen einige Männer standen. Vor ihnen lag ein Block, und als ich genauer hinsah, bemerkte ich, dass etwas Rotes darauf haftete.
Mein Magen drehte sich um. Ich ahnte nur, was das war.
Der Kasten, in welchem ich saß, hielt. Julius Caesar kam zu mir und hielt mir die Hand entgegen. Ich stieg aus, ohne sie anzunehmen, was sich letztendlich als Fehler erwies, denn mein Kleid wickelte sich um meine Beine und ich stolperte. Glücklicherweise fand ich schnell mein Gleichgewicht wieder, so dass ich nicht vor Augen aller den Boden küsste.
Der Mann neben mir musterte mich mit einem ausdruckslosen Gesicht, ergriff dann, ohne zu fragen, meine Hand und stieg mit mir das Podest hinauf. Er sagte etwas an die Menge gewandt und riss dann meinen Arm hoch. Die Menschen jubelten begeistert. Ich fühlte mich sichtlich unwohl.
Es waren so viele anwesend, dass die hinteren Reihen nur noch wie eine zusammengeschmolzene Masse schienen. Immer mehr und mehr machte ich mir Gedanken darüber, dass das hier nicht mehr das 21. Jahrhundert war, denn immerhin trugen alle diese merkwürdigen Kleider, und die Gebäude um mir herum, standen noch wie zur Zeit der Römer – und Julius Caesars.
Der Mann ließ mich los und bedeutete mir, mich auf den freien Stuhl neben eine der Frauen niederzulassen. Etwas zögernd ging ich der Aufforderung nach. Ich versuchte die Leute neben mir nicht anzusehen, sondern blickte starr nach vorn.
Caesar trat auf den Rand des Podests zu und blickten herab zu den Verurteilten. Es waren die Männer, die ihn hatten umbringen wollen.
Ich konnte mich von einer langweiligen Stunde Geschichtsunterricht daran erinnern, dass einer der Verräter ein Freund Caesars gewesen war. Er hieß so ähnlich wie ein Hund. Bello oder so.
»Marcus Junius Brutus Caepio«, hörte ich in diesem Moment den Ausrufer sagen.
Okay, Bello oder so stimmte schon.
»Gaius!«, brüllte Brutus und ich sah, dass seine Augen vor Angst aufgerissen waren. Er sagte noch etwas, was ich jedoch nicht verstand. Verzweifelt riss er die Hände hoch. Er wirkte, als würde um Vergebung flehen.
Caesar jedoch sah den Mann mit regungsloser Miene an. Er hob knapp die Hand und einer der Soldaten, die dort standen, packte Brutus und drückte ihn auf den Block. Der Scharfrichter hob sein Beil hoch und ließ es kurz in der Luft verharren. Ich hielt den Atem an, und im nächsten Moment sauste die Klinge hinab und durchtrennte Haut, Sehnen und Knochen. Das Geräusch, was es dabei verursachte, würde nie wieder aus meinem Gedächtnis verschwinden, ebenso wenig wie die Bilder.
Ich sah weg und unterdrückte das aufkommende Gefühl der Übelkeit.
Weitere Namen erklangen und nach und nach wurden auch die anderen Verräter auf den Block gedrückt.
Die Menge jubelte bei jedem Kopf, der rollte.
Ich hatte solche Hinrichtungen schon oft in Filmen und in Serien gesehen und nie hatte es mich gestört. Nun, jetzt musste ich wegsehen, denn in diesem Moment wusste ich.
Das war die Realität. Und das Schlimmste war: Ich hatte mit meinem Auftreten die ganze Geschichte verändert.

Die Taschenuhr - Ave Caesar! [Band 1]Dove le storie prendono vita. Scoprilo ora