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»Docendo discimus.«

»Durch Lehren lernen wir.«

- unbekannter Verfasser

»Domina?«, fragte Lucan mich

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»Domina?«, fragte Lucan mich. Ich fand es immer noch merkwürdig, dass er mich so nannte.
Domina.
Herrin.
Bis ich endlich verstanden gehabt hatte, was das wirklich bedeutete, hatte ich eine Weile gebraucht.
Lucan sah mich weiterhin fragend an und da erst nickte ich. »Ja, ich bin soweit.«
Ich ließ meinen Blick wieder auf die Notizen vor mir sinken – altes Pergament, das seltsam roch. Bereits jetzt war es gelb gefärbt, obwohl es noch nicht einmal annähernd so alt war, wie es in unserer Zeit war. Bis auf, dass keine Löcher darin waren und nichts zerrissen war, unterschied es sich kein bisschen von den Rollen, die wir uns mal mit der Schulklasse in einem Museum angesehen hatten, wie ich fand.
Caesar hatte mit seinem Versprechen Recht behalten. Seit dem Vorfall zwischen Atia und mir wurde ich jeden Tag von Lucan unterrichtet. Er unterschied sich von den anderen Sklaven. Er schien weitaus höher zu stehen als die anderen. Er war gebildet und der lateinischen Sprache mächtig, die er mir mithilfe von Bildern und Gegenständen beibrachte.
Ich sah, dass es ihm immer mehr Mühe bereitete, mir kompliziertere Sätze zu lehren. Und es nagte auch allmählich an meiner Kraft, dem Ganzen zu folgen, weswegen ich des Öfteren abschweifte. Doch das war nicht der einzige Grund. Ich wusste, dass ich in meine Zeit zurückkehren musste, jedoch wusste ich nicht, wie ich das anstellen sollte.
Zudem – je länger ich hier blieb, desto mehr veränderte ich die Geschichte. Selbst wenn ich mich zurückhielt, änderte sie sich. Nur durch meine bloße Anwesenheit. Ich hatte sogar schon mit dem Gedanken gespielt, einfach abzuhauen. Doch wohin sollte ich gehen? Allein das Haus zu verlassen, stellte sich als Herausforderung dar.
»Lucan«, sagte ich nach einer Weile, als ich gerade zum zehnten Mal ein- und denselben Satz niederschrieb.
Der Mann blickte von seinem Buch auf, in welchem er soeben gelesen hatte. »Ja, Domina?«
»Woher ... kommst du?« Ich versuchte meine Worte mit Gesten zu unterstreichen, da mir das Reden weiterhin schwer fiel.
Zunächst schwieg er, und ich dachte, er wollte gar nicht antworten. Doch dann erklärte er: »Aus Griechenland.«
Er hatte Graecia gesagt und ich hatte mir abgeleitet, dass es 'Griechenland' heißen könnte.
»Wie wurdest du ein -«
Ich stockte. Ich hatte das Wort vergessen.
»Servus«, beendete er.
Ich nickte.
Der Mann legte sein Buch weg und suchte im Regal nach einer Pergamentrolle. Etwas Zeit verging, dann zog er eine hinaus und rollte sie vor mir auf dem Tisch aus. Ich erkannte eine Karte von Südeuropa. Italien und Griechenland waren darauf zu erkennen.
Lucan legte seinen dicken Zeigefinger auf einen Punkt in Griechenland und begann zu erzählen: »Hier hat meine Familie gelebt. Meine Eltern wurden gefangengenommen und verkauft. Ich wurde als Sklave geboren. Meine Eltern lehrten mich das Lesen und das Schreiben. Deswegen bin ich Hauslehrer.«
Ich suchte nach etwas, was mir sagte, dass er unglücklich war. Doch das war er nicht. Er schien mit seinem Leben sehr zufrieden.
»Wünschst du dir manchmal ... kein Sklave zu sein?«, fragte ich.
»Nein. Ich lebe ein gutes Leben. Caesar ist gütig zu mir.«
Lucan rollte die Karte wieder ein und brachte sie weg.
»Weißt du, was er ... mit mir vorhat?«, wollte ich zögerlich wissen.
»Ich weiß es nicht«, meinte Lucan nur.
Ich nickte verstehend.
Gerade als mein Lehrer die Stunde fortsetzen wollte, kam Octavius und setzte sich zu uns.
»Verschwinde, Sklave«, wies er Lucan harsch an und mit einer demütigen Verbeugung verschwand dieser.
Fragend sah ich den Großneffen Caesars an. »Was soll das?«
»Ich wollte mit dir reden«, gab Octavius achselzuckend zurück und warf einen Apfel hoch, den er hinter dem Rücken gehalten hatte, nur um ihn wieder aufzufangen und hineinzubeißen.
Es knackte, als die Zähne das Fruchtfleisch durchbrachen.
»Ich weiß, dass Agrippa dich von der Zeremonie entfernt hat.« Prüfend sah er mich.
Er wartete auf eine Reaktion. Ich gab ihm keine.
»Er mag dich. Wenn du willst, lege ich ein gutes Wort bei meinem Onkel ein.«
Ich hoffte, mich verhört zu haben. Doch das tat ich nicht.
»Ich soll ihn ...?«
Mir fehlte das Wort.
Doch Octavius nickte. »Wenn du ihn heiraten willst, dann musst du nur etwas sagen. Ich will meinem Onkel ein gutes Angebot machen. Er weiß noch nicht, was er von dir halten soll, geschweige denn was er mit dir machen soll, deswegen wollte ich ihm eine Heirat vorschlagen. Es ist ein Akt der Höflichkeit, dass ich dich zuvor frage.«
In diesem Moment musste ich wie eine Ziege ausgehen haben, so wie ich ihn mit großen Augen ansah. Ich war entsetzt und überfordert. So sehr, dass ich kein Wort herausbrachte und ihn einfach nur anstarrte.
Währenddessen biss Octavius erneut von seinem Apfel ab.
»Und?«, fragte er kauend.
»Ich ... ich kenne ihn nicht mal«, meinte ich.
Octavius zuckte mit den Achseln. »Ist das wichtig?«
»Ja!« Fassungslos lachte ich auf. »Natürlich ist das wichtig!«
»Also nein?«, hakte Octavius nach und mein Mund weitete sich noch mehr vor Empörung als ohnehin schon.
»Nein!«, rief ich bestätigend, als ich meine Stimme wiederfand.
»In Ordnung.« Octavius nickte, schien aber weniger begeistert.
Was läuft hier denn gerade falsch?
»Mein Onkel entscheidet über unser Schicksal«, sagte der junge Mann, »und wenn wir gehen sollen, dann gehen wir.«
Ich hatte keine Ahnung, warum er mir das erzählte. Tatsächlich war mir das auch ziemlich egal. Er führte sich seltsam auf, und ich wusste nicht, warum es ihm so wichtig war. Doch nun hatte er meine Antwort.
Die sollte ihm genügen.

Die Taschenuhr - Ave Caesar! [Band 1]Where stories live. Discover now