VI

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»Quot homines, tot sententiae.«

»So viele Menschen, so viele Meinungen.«

- Terenz, römischer Dichter

Als ich Calpurnia am nächsten Morgen einen Besuch erstattete, legte sie eine Hand an mein Kinn und drehte meinen Kopf nach rechts und links

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Als ich Calpurnia am nächsten Morgen einen Besuch erstattete, legte sie eine Hand an mein Kinn und drehte meinen Kopf nach rechts und links.
»Wer war das?«, verlangte sie zu wissen und ich glaubte, Zorn in ihren Augen zu erkennen.
Sie meinte den Handabdruck, den Atias Schlag hinterlassen hatte.
Zunächst wollte ich nicht antworten, doch als Calpurnia ihre Frage mit verstärkter Stimme wiederholte, gestand ich. Natürlich konnte sie es nicht glauben, anfangs, doch als ich ihr die ganze Geschichte erzählte, nickte sie verstehend.
»Du hättest nicht ohne ihre Zustimmung in die Bibliothek gehen sollen«, meinte die Frau, »und sie hätte dich nicht schlagen sollen.«
Wir saßen im Atrium, einem rechteckigen Raum in der Mitte des Hauses. Eine Öffnung befand sich im Dach, welche Licht hinabfallen ließ.
»Ich hoffe, du hast über meine Bitte nachgedacht«, sagte sie. »Wirst du an meiner Seite stehen und mich unterstützen?«
Genau vor diesem Moment hatte ich Angst gehabt. Und nun war er da und ich musste mich entscheiden. Das war nicht wie diese dumme Frage, die Octavius mir gestellt hatte. Das hier war wichtig. Und da ich nicht 'Nein' sagen konnte, nickte ich.
»Ja, das werde ich«, antwortete ich und trank schnell einen Schluck Wein hinunter (mittlerweile schmeckte mir dieses Zeug sogar), um mir nicht anmerken zu lassen, dass ich meine Entscheidung nicht zu hundert Prozent unterstützte.
Zudem lächelte Calpurnia mich hocherfreut an und ergriff im nächsten Moment meine Hände, kaum hatte ich meinen Becher weggestellt.
»Du weißt nicht, wie viel mir das bedeutet.«
Nein, das wusste ich tatsächlich nicht, da ich nicht verstand, wie sehr sie mir vertrauen konnte, obwohl sie mich doch nicht einmal kannte. Doch wahrscheinlich war das der 'Segen der Götter', der sie antrieb.
Glücklicherweise ließ die Frau meine Hände wieder los und scheuchte den Sklaven, der bis eben noch neben uns gestanden und auf Anweisungen gewartet hatte, hinaus. Dann lehnte sich Calpurnia auf der Liege zurück. Während ich meist wie ein Haufen Elend darauf aussah, wenn ich mich hinlegte, wirkte sie anmutig – als wäre es das Einfachste, auf solch unbequemen Dingern zu essen, zu trinken und sich zu unterhalten.
Meine verwöhnte Ader kommt durch, dachte ich, schwieg aber und blieb steif sitzen.
»Ich will, dass du Servilia einen Besuch abstattest«, schritt Calpurnia sofort zu ihrem Plan. »Freunde dich mit ihr an – natürlich ist das nur Täuschung. Sei ihre Freundin, tröste sie und überzeuge sie davon, dass du gegen Caesar bist. Spioniere sie aus und erzähle mir von ihren Plänen, die sie im Geheimen schmiedet. Ich weiß, dass sie niemals ruhen wird, bis der Tod ihres Sohnes gerächt ist.« Calpurnia trank einen Schluck von ihrem Wein. Sie sah mich nicht an. Ihr Blick war starr an mir vorbei gerichtet und in ihrem sonst so freundlichen Gesicht spiegelte sich Hass. »Sie wird niemals ruhen, bis sie sich an mir gerächt hat. Sie sieht nicht ein, dass Caesar ihr niemals gehört hatte.« Nun richteten sich ihre blauen Augen auf mich. »Ich werde sie zerstören. Wir werden sie zerstören. Und sie wird nie wieder das Leben eines anderen ruinieren können.«
Ich verstand nicht ganz, worauf sie anzielte, aber ihre Gründe schienen persönlicher zu sein, als ich angenommen hatte. Es ging nicht um Caesar. Nicht direkt. Viel eher war es ein Streit zwischen den beiden Frauen.
Ich traute mich nicht, nachzufragen. Ich wusste nicht mal, wie ich mich hätte ausdrücken sollen, und zudem hielt ich es für besser, lieber den Mund zu halten. Deswegen nickte ich. Ich nickte und willigte in den Plan ein.

Die Taschenuhr - Ave Caesar! [Band 1]Where stories live. Discover now