XI

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»Roma aertana est.«

»Rom ist ewig.«

- Albius Tibullus, römischer Elegiker

Die ganze Stadt war in Aufruhr – heute würde ein Schauspiel im Circus Maximus stattfinden, wie Octavia mir in aller Frühe und voller Freude erzählt hatte

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Die ganze Stadt war in Aufruhr – heute würde ein Schauspiel im Circus Maximus stattfinden, wie Octavia mir in aller Frühe und voller Freude erzählt hatte. Es dauerte nicht lange, da besuchte Caesar seine Nichte, um diese und uns Kinder abzuholen. Zu meinem Missfallen begleitete uns auch Marcus Antonius ihn. Er sprach nicht mit mir, doch die Blicke, die er mir zuwarf, waren von Hass und Abscheu geprägt; es missbilligte ihn, dass er es immer noch nicht geschafft, mich aus dem Verkehr zu ziehen. Unter großer Anstrengung konnte ich mich davon abhalten, nicht irgendetwas zu sagen, was ich im Nachhinein bereuen würde. Auch Atia war davon begeistert, doch ignorierte sie mich einfach voll und ganz.
Ich trug, ebenso wie Atia und Octavia, eine Tunika, und darüber eine Palla. Die Dienerinnen hatten mir einen Kopfschmuck umgelegt, Reticula hieß er, ein goldenes Haarnetz aus Gold. Auch legten sie mir Oberarmreife um, ebenfalls aus Gold.
Caesar ließ für mich keine Kosten und Mühen scheuen, was mir allmählich immer unangenehmer wurde, vor allem da uns Calpurnia begleitete.
Nach gefühlten Stunden erreichten wir endlich den Circus Maximus. Man hatte uns mit Tragen dorthin gebracht; während die Sklaven in der prallen Sonne schwitzen mussten, wurde wir mit Palmenwedeln und mit einem Dach über dem Kopf gesegnet.
Die Leute taten mir leid, all jene, die nicht diesem wohlhabenden Reichtum ausgesetzt waren und die wirklich schuften mussten. Am liebsten hätte ich etwas dazu gesagt, ich wäre sogar beinahe selbst gelaufen, doch war es Octavius' mahnender Blick, der mich zurückhielt, und meine Vernunft.
Unzählige Menschenmassen drängten sich in den Circus Maximus. Caesars Wachen schubsten jene zurück, die zu langsam waren, um uns rechtzeitig aus dem Weg zu gehen. Es war bereits ein Platz für uns vorbereitet worden. Die Stühle standen nebeneinander und über uns war ein Tuch gespannt worden, welches uns vor der Sonne schützen sollte.
In der Mitte saß Caesar, rechts von ihm Octavius. Eigentlich wollte Atia sich zu Caesars Linken begeben, doch wies er sie zurück und bedeutete mir stattdessen mit einem Wink, sich neben ihm niederzulassen; auf der anderen Seite von ihm saß Calpurnia, die mich ab und an freundlich anlächelte. Ich konnte Atias steigende Wut und den Hass mir gegenüber förmlich spüren. Ihre Augen sprühten vor Abscheu.
Doch sie schwieg. Sie wagte es nicht, ihre Meinung über mich in Caesars Nähe auszusprechen. Deswegen ließ sie sich neben Octavius nieder und Octavia neben mir. Hinter mich stellte sich Marcus Antonius. In voller Rüstung stand er dort, den Blick starr auf die Besucher des Circus Maximus' gerichtet, als wäre Caesars ganz persönliche Leibgarde. Wahrscheinlich war er auch so was in der Art. Auch Agrippa hatte bei den Soldaten Platz genommen. Caesar persönlich hatte ihn angewiesen, und irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, dass es eher eine Demütigung als eine Ehre sein sollte.
Die Sklaven um uns herum hielten Palmenwedel in der Hand, mit welchen sie uns kühle Luft in dieser unnachgiebigen Hitze schenkten. Ich war kein Befürworter für Sklaverei, doch musste ich eingestehen, dass ich froh war, sie hier zu haben, denn ohne sie würde ich wahrscheinlich verbrennen.
»Eigentlich haben wir so etwas nie in der Öffentlichkeit veranstaltet«, sagte Caesar zu mir, ohne mich anzusehen, »doch Octavius hat darauf bestanden.«
Ich sah an dem Mann vorbei zu Octavius, der den Blick starr nach vorne gerichtet hatte. Er wirkte angespannt, doch nicht aus Angst – er schien eher gespannt darauf, was folgen würde, und ein Funken von Freude umspielte ihn.
Zwei Männer betraten das Sandplatz, unten im Circus Maximus. Sie trugen einen Lederschurz, Arm- und Beinschienen und in den Händen Schild und Schwert.
Ich ahnte, was folgen würde, und es gefiel mir kein Bisschen.
»Ave, Caesar, morituri te salutant!«, riefen die beiden Männer.
Heil dir, Caesar, die Todgeweihten grüßen dich ...
Ich schluckte schwer. Es gefiel mir auf keinen Fall.
Caesar hob die Hand und die Männer wandten sich ab. Paukenschlag erklang. Ganz langsam, ein monotoner Schlag, gleichmäßig.
Ich verschloss meine Hände zu meiner Faust. Mein Körper spannte sich an, jedoch nicht voller Erwarten wie bei Octavius, sondern voller Angst. Ich wollte nicht sehen, was folgen würde.
Langsam begannen die Männer sich zu umkreisen. Geschickt schwangen sie ihre Schwerter. Der Stahl blitzte in der Sonne.
Ich hatte das Gefühl, dass der Paukenschlag schneller wurde. Drängender. Die Männer umkreisten sich weiter. Ich konnte das Surren und Pfeifen der Klingen hören, als sie schnell und gezielt durch die Luft gewedelt wurden. Durchdringend.
Die Musik des Todes ...
Alle Anwesenden spornten die beiden Männer unter im Ring an. Es waren keine Jubelrufe, es waren Rufe, die sich zum Schlag der Pauken anpassten. Wie ein »Hey, hey, hey« auf einem Fest oder ein gleichmäßiges Klatschen einer anspornender Menge beim Tanz.
Alle warteten gebannt darauf. Alle warteten auf das Zeichen. Und da ließ Caesar endlich die Hand sinken, so dass es war, als würden alle wieder Aufatmen können, und die beiden Männer rannten aufeinander zu.
Stahl klirrte. Ich zuckte zusammen, als der erste Schlag den einen Mann knapp verfehlte. Der Tanz begann, ein schneller, flinker Tanz. Die Männer wussten, was sie dort taten. Sie schienen ausgebildet zu sein.
Also keine Sklaven, dachte ich. Keine Menschen, die für diesen Irrsinn nur zum Spaß geopfert wurden.
Doch da lag ich falsch, wie mir in den nächsten Minuten bewusst werden würde.
Ich hatte schon einmal von Gladiatorenkämpfen gehört, wir hatten das Thema auch bereits im Unterricht behandelt, doch war dies zu lange her und ich hatte zu wenig zugehört, als dass ich mich erinnern könnte.
Stahl klirrte, Staub wirbelte auf, Blut spritzte. Ab und an fanden die Klingen ihr Ziel, doch endeten die Angriffe nicht tödlich. Noch nicht.
Die Menge jubelte, wenn einer der beiden Gladiatoren getroffen wurde, und sie buhte, wenn sie einen faulen Trick ausnutzten, um einem Angriff zu entkommen oder sie das Ziel nicht trafen, weil es in diesem Moment ausgewichen war.
Die Minuten verstrichen. Irgendwann fühlte es sich so an, als wären Stunden vergangen. Und nichts. Bisher hatten sich beide Männer gut geschlagen – bis auf einige Wunden war ihnen nichts geschehen.
Ich merkte, wie Caesar jemanden neben uns zunickte. Er war etwas wohlhabender gekleidet, und da er einem Sklaven einen Befehl gab, nahm ich an, dass er so etwas wie der Veranstalter dieses Schauspiels war.
Sklaven setzten sich in Bewegung, der Befehl wurde weitergeleitet, und kurz darauf betraten einige Sklaven den Ring und zogen an einer Kette. Ratternd wurde ein Gitter geöffnet, und was dann den sandigen Platz betrat, ließ mich erstarren. Viel eher aber noch das gewaltige Brüllen, welches der Tiger von sich ließ.
»Was soll das?«, verlangte ich in einem Moment meiner Fassungslosigkeit zu wissen. In meinem Ton schwang Angst, aber auch etwas Wut mit. Nicht mehr lange und ich würde mich nicht mehr unter Kontrolle haben.
»Das, meine Liebste, ist wahre Unterhaltung«, erklärte Caesar, als wäre es selbstverständlich. Er lehnte sich erwartungsvoll in seinem großen Stuhl zurück.
Ich hingegen drückte meine Hände noch mehr zusammen. Ich wollte das nicht mitansehen, doch konnte ich auch nicht wegsehen. Der Kampf zog mich in eine Art Bann.
Sie könnten sich verbünden und den Tiger überlisten, dachte ich, auch wenn ich keineswegs für Tierquälerei war.
Ich war so naiv. Niemals würden sich Gladiatoren verbünden. Dafür war ihnen der Ruhm zu wichtig.
Der Tiger trat langsam auf die Männer zu, während die Sklaven eilig den Ring verließen. Die beiden hatten das Tier bereits bemerkt, doch unterbrachen sie ihren Kampf nicht. Erst als der Tiger den einen Mann beinahe erreicht hatte, wandte dieser sich ab und stürzte sich in den Kampf gegen den Tiger. Der zweite Gladiator wollte die Chance nutzen und seinen Gegner im Moment seiner Ablenkung töten, als ein zweiter Tiger hereingelassen wurde.
Der Gladiator trat auf diesen zu, als wollte er Stärke beweisen. Der Mann und der Tier umkreisten sich eine kurze Zeit, bis der Gladiator zum Angriff ansetzte. Der Tiger bäumte sich auf und schlug zu. Die riesige Pranke traf den Mann am Arm und riss ihm die Schiene herunter. Ich sah sein Blut rot schimmern, und der Schrei verriet mir, dass er schmerzlich getroffen wurde.
Mein Blick wanderte zu dem anderen Kämpfer, welcher zu Boden gerissen wurde. Der Tiger stürzte sich auf ihn und wollte ihm mit seinen scharfen spitzen Zähnen in den Hals beißen, doch stach der Mann in diesem Augenblick zu. Ich sah, wie die Spitze seines Schwertes durch den Bauch des Tieres reichte. Sein Blut besprenkelte den Lederschurz des Gladiators.
Ich schrie auf, als der Mann das Tier von sich herunterstieß. Alle Blicke flogen zu mir, doch war es mir diesem Moment egal.
Der Gladiator erhob sich und zog das blutverschmierte Schwert aus dem sterbenden Tier, welches er dann in Luft riss, damit jeder seinen Sieg huldigen konnte. Die Menge jubelte begeistert, während ich nur dasaß und mitansah, wie der andere Gladiator von dem zweiten Tiger zu Boden gerissen und zerfetzt wurde. Die Schreie des Sterbenden drangen an mein Ohr. Trotz der Entfernung konnte ich das Blut und die Innereien des Mannes sehen.
Ich musste mich gleich übergeben, da war ich mir sicher.
Nun waren nur noch ein Gladiator und ein Tiger im Ring. Der Mann näherte sich dem Tier mit schwingendem Schwert. Er wirkte so selbstsicher, und ihm machte das Blut und der Tote nicht im Geringsten aus.
Der Tiger wandte sich von der Leiche ab, als er den anderen Mann bemerkte. Seine blutverschmierte Schnauze leuchtete im Sonnenlicht.
Das sind die dunklen Seiten der Antike, dachte ich, während um mich herum die Menge begeistert jubelte. Der Paukenschlag hatte wieder eingesetzt. Er kündigte das Finale an.
Alles schien wie ein Zeitlupe zu vergehen. Der Tiger setzte zum Sprung an, der Gladiator duckte sich, und während das Tier Staub aufwirbelte, als es den Boden berührte und sich langsam umdrehte, wandte sich der Gladiator um. Er wirbelte das Schwert in seiner Hand, dann rannte er los, jedoch zu seinem toten Gegner.
Das Tier folgte ihm, und bevor es ihn erreicht hatte, ließ der Mann sich auf den Boden fallen und rutschte noch einige Meter über den Sand. Er ergriff das Schwert des Toten, welchen er erreicht hatte, und wandte sich noch in derselben Bewegung um. Fließend ließ er die Schwerter von beiden Seiten in den Hals des Tigers fahren. Das Tier hatte nicht einmal die Chance gehabt, sich zu wehren.
Es jaulte noch ein letztes Mal, dann stürzte es neben ihm zu Boden. Der Gladiator erhob sich, während die Menge um ihn herum lautstark jubelte. Ein letzter Hieb in den Bauch des Tieres, und es befreit von seinem Leid, ein Leid, welches der Mann ihm zugefügt hatte.
Tosender Applaus, erfreute Jubelschreie. Die Menge erhob sich, einige warfen mit Blumen. Caesar klatschte in die Hände, Octavius stand auf und gab begeisterten Beifall. Und ich saß einfach nur da, den Blick fassungslos auf die Toten gerichtet.
Das Blut der Tiger und des Gladiators hatten sich mit dem Sand vermischt. Der Sieger lief mit erhobenen Schwertern über den Platz, schreiend und brüllend. Er spornte die Menge zu mehr Beifall an.
»Wie sehr gefällt es dir jetzt noch hier?«, erklang auf einmal Marcus Antonius' hämische Stimme neben meinem Ohr.
Ich antwortete nicht. Mit großer Anstrengung versuchte ich den Würgereiz zu unterdrücken. Meine Hände waren immer noch ineinander gelegt, ich spürte den Druck meiner Fingernägel, die sich in meine Haut bohrten – das Einzige, was mir verriet, dass dies hier kein Traum war.
Als das sogenannte Spektakel zu Ende war, begaben wir uns auf den Weg zu den Pferden und den Sänften. Caesar unterhielt sich mit einigen Männern, die Senatoren zu sein schienen, wie ich an ihrer Kleidung erkannte. Während ich in der Sänfte wartete, die ich mit Octavia teilte, zog ich den Vorhang beiseite und sah hinaus. Eigentlich suchte ich nach Agrippa, den ich jedoch nicht sah, dafür fiel mir Marcus Antonius ins Auge, der etwas abseits stand und sich mit einer Frau unterhielt, die ihr Gesicht vermummt hatte. Er wirkte aufgebracht, wie ich an seinen rabiaten Handbewegungen und dem Gefuchtel erkannte. Er bemühte sich, nicht allzu laut zu sprechen. Niemand um ihnen herum schenkte ihnen Aufmerksamkeit.
Als Marcus Antonius sich wütend abwandte und zur Leibgarde zurückging, drehte sich die Frau so um, dass ich für einen kurzen Moment ihr Gesicht erfassen konnte – es war Servilia!
Wie ein Schatten fiel es mir von den Augen. Die beiden arbeiteten zusammen! Servilia hatte sich ohne meine Hilfe gegen Caesar gestellt und arbeitete nun mit größter Wahrscheinlichkeit mit Marcus Antonius zusammen, der nur auf einen Moment wartete, seinen Herrn zu stürzen.
Ich spürte, wie sich mein Herzschlag beschleunigte. Meine Gedanken überschlugen sich. Ich musste Octavius und Agrippa davon berichten, bevor etwas Schlimmes geschehen konnte.

2094 Wörter

Was Servilia und Marcus Antonius wohl aushecken?

Übrigens, der Satz "Die Todgeweihten grüßen dich" ist angeblich nur ein Mythos. Ich habe ihn trotzdem mit hineingenommen.

Die Taschenuhr - Ave Caesar! [Band 1]Where stories live. Discover now