Konsequenzen

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Das Geschirr klirrte unerträglich laut, als Narzissa Malfoys schwacher Schwebezauber es nicht länger halten konnte. Tassen, Teller und Besteck landeten in einem verworrenen, und teils zersprungenen, Haufen auf dem Boden. „Ach du liebe Zeit." Als Draco die Küche betrat, schreckte sie noch mehr auf, und presste die Hand vor den Mund. Wenn es nicht so unwahrscheinlich und vollkommen irrsinnig gewesen wäre, hätte er geglaubt, dass seine eigene Mutter sich vor ihm fürchtete.

„Das ist doch nicht schlimm, Mutter." Er zückte rasch den Zauberstab aus seinem Ärmel – registrierte ihr erschrockenes Zusammenzucken mit einer hochgezogenen Augenbraue – und fügte die Bruchstücke mit einem raschen „Reparo" wieder zusammen. Draco konnte kaum beschreiben, wie berauschend es sich anfühlte, wieder Herr über die eigenen magischen Kräfte zu sein. Seiner Magie beraubt worden zu sein hatte sich für ihn zunächst so unwirklich angefühlt, als hätte ihm jemand eine Hand abgenommen. Endlich wieder einen Zauberstab in den Händen halten zu können, und noch besser, ihn benutzen zu dürfen, versetzte ihn in großartige Stimmung.

Er ließ sich auf einen der gepolsterten Stühle neben dem Esstisch sinken, und sah sich verwirrt um. „Wo sind die Hauselfen?" In seiner Erinnerung war die Küche stets voller Leben gewesen, mit mindestens einem Gehilfen, der um ihn herumwuselte und ihn nach seinen Wünschen fragte. Dass es nun so ruhig war, machte ihm zu schaffen. Von Ruhe hatte er in Askaban genug gehabt.

„Mittagspause." Seine Mutter schnaubte das so sarkastisch, dass Draco sich sicher war, dass sie einen Scherz machte. „In der Mittagspause?", hakte er verwirrt nach. Er warf einen Blick auf die große, goldene Standuhr die unaufhörlich im Hintergrund tickte. Tatsächlich, es war nach zwölf Uhr, er musste wie ein Stein geschlafen haben.

Schwach konnte er sich erinnern, dass Astoria früh gegangen war. Sie hatte sich im Morgengrauen verabschiedet, von einer familiären Verpflichtung gesprochen. Er hatte ihr versprechen müssen, sich bald bei ihr zu melden. Sie wirkte so vorsichtig und unsicher um ihn herum, als fürchtete sie, dass er ihr wieder entgleiten könnte. Doch nachdem er seine beste Freundin so lange nicht mehr gesehen hatte, bestand keinerlei Chance, dass er sie so schnell wieder aus seinen Augen lassen würde. Ganz sicher gab es von ihr unendlich viel zu erzählen. Daher schätzte er es umso mehr, dass sie ihm am gestrigen Abend seinen Frieden gelassen hatte.

„Hermine Granger ist in den letzten Jahren sehr fleißig gewesen." Draco schreckte hoch, als er bemerkte, dass seine Mutter immer noch über die ungewöhnliche Abwesenheit der Elfen sprach. „Hauselfen bekommen nun untertags Pausen, dürfen sich Urlaub und freie Tage nehmen, und körperliche Züchtigung ist untersagt." Narzissa sagte all dies emotionslos, als würde es ihr weder große Freude, noch sonderlich viel Unbehagen bereiten. „Aber das ist kein Problem, es ist noch einiges vom gestrigen Mittagessen da. Ich wärme es dir schnell auf."

Mit diesen Worten wandte sie sich dem Herd zu, auf dem bereits ein Topf erhitzt wurde. Draco war verblüfft, und wusste nicht recht, ob er aufgrund dieser Neuigkeiten in Gelächter ausbrechen sollte. Hermine Granger hatte also für die Befreiung der Hauselfen gesorgt, wie sie es schon im vierten Schuljahr leidenschaftlich angekündigt hatte. Er konnte nicht umhin, ein wenig beeindruckt zu sein.

Er wartete mit seiner Mutter in einträchtigem Schweigen darauf, dass das Essen heiß wurde, bis sie den Topf auf den Tisch hinstellte. Als er sah, wie stark ihre Finger zitterten, bezweifelte er stark, dass das an dem Gewicht des Kochutensils lag.

Eine Sekunde lang erwog er, es einfach unkommentiert zu lassen. Sie waren nie eine Familie der großen, tränenreichen Gesten oder der Nähe gewesen, und es wäre durchaus eine Möglichkeit, einfach da weiterzumachen, wo sie aufgehört hatten. Doch etwas in ihm verriet ihm, dass das der falsche Weg wäre. Sie hatten zu viel durchgemacht, um nicht daraus gelernt zu haben.

„Mutter. Was macht dir so zu schaffen? Warum bist du so nervös?" Wieder zuckte dieser geschockte, schüchterne Ausdruck über ihr Gesicht. Er verstand nicht, weshalb.

Draco hatte Narzissa sein ganzes Leben lang „Mutter" genannt, niemals Mama, Mum oder Mutti. Es war ihm als die angemessene Anrede beigebracht worden – eine Form, die gleichzeitig Respekt und Zuneigung ausdrückte. Und Distanz. Eine Distanz, die von reinblütigen Eltern erwartet wurde, um ihren Kindern objektiv die richtige Lebensweise einzubläuen – aber auch eine Distanz, die Narzissa nie ganz so felsenfest hatte durchhalten können wie ihr Ehemann.

Sie wandte sich Draco zu, und er konnte sehen, wie die Mauer bröckelte, und ihre unendliche Liebe ihm gegenüber zum Vorschein kam. Die Fassade fiel, mit der sie sogar Voldemort hatte anlügen können. Aber nicht ihn.

„Draco. Mein Schatz. Ich schulde dir eine Entschuldigung. Obwohl das, was dein Vater und ich getan haben, mit Worten nicht aufzuwiegen ist." Sie umklammerte ein Geschirrtuch so fest, dass die Knöchel ihrer ohnehin blassen Hände noch weißer hervortraten.

Ehe Draco sie unterbrechen konnte – er wollte nicht hören, was sie zu sagen hatte, es war ohnehin gleichgültig – sprach sie weiter. „Wir haben dich in Askaban zurückgelassen, dich kaum besucht... Es war so schwer, an dich zu denken, und noch viel schwerer, dich hinter Gittern zu sehen, und zu wissen, dass es unsere Schuld ist. Ich weiß, für dich war es unendlich und unvergleichlich schlimmer, aber wir... Wir waren so schwach. Darum wurden die Besuche immer seltener, obwohl wir doch eigentlich für dich hätten da sein sollen, und am Ende musste dich sogar Astoria abholen, obwohl das wirklich unsere Aufgabe gewesen wäre..." Sie stockte, wurde von einem Weinkrampf geschüttelt. Endlich hielt sie sich nicht mehr zurück, sondern stand ihrem Sohn offen und verletzlich gegenüber.

„Es ist in Ordnung, Mutter." Seine eigene Stimme klang rau, aber er hatte keine Sekunde Zeit um sich zu räuspern, es war ihm immens wichtig, dass die nächsten Worte rasch und überzeugend kamen. Er hatte schon genug mit seiner eigenen Schuld zu kämpfen – er wollte nicht, dass die Menschen um ihn herum ebenfalls davon gebeutelt wurden.

„Ich verstehe es. Es war nicht schön, auf Askaban alleine zu sein, aber ich verstehe es. Und ich vergebe dir. Euch beiden. Das Wichtigste ist doch, dass ich wieder zuhause sein kann." Narzissa nickte rasch, ehe sie ihn in eine heftige, und etwas ungeschickte Umarmung zog. Nein, mit großen Gesten und Umarmungen kannte sich seine Familie beileibe nicht aus – aber dies war einer der wenigen Momente in seinem Leben, in dem sie ihm doch irgendwie angemessen schienen.

Nach langen, ungezählten Minuten, in denen sie ihm beruhigend über das Haar gestrichen hatte, und er die Nähe der vermutlich einzigen Person genoss, die ihn bedingungslos liebte, ließen sie einander los. Narzissa sank nun in einen anderen Stuhl neben ihm, und sah ihm dabei zu, wie er sich plötzlich mit Heißhunger über die servierten Köstlichkeiten hermachte.

Erst, nachdem er alles bis auf den letzten Krümel verspeist hatte, sprach Draco wieder. „Wo ist eigentlich Vater? Konnte er sich nicht für den Tag meiner Heimkehr freimachen?"

Er wollte es leichthin sagen, aber einen Hauch von Bitterkeit konnte er nicht aus seinen Worten verbannen. Der Zuneigung seines Vaters war er sich nie völlig sicher gewesen, und er hatte sein Leben lang um seine Anerkennung gerungen. In kurzen Momenten hatte er geglaubt, dieses Ziel erreicht zu haben – doch diese glückseligen Perioden waren immer von Zeiten der Dunkelheit überschattet worden.

„Draco, er wollte kommen, ich weiß, dass er es mit allen Mitteln versucht hat. Er ist im Moment im Ausland. Die Zeiten sind ein wenig schwierig für uns."

„Warum? Er ist von allen Vorwürfen freigesprochen worden." Dafür hatte er gesorgt. Dafür hatte er mit zwei weiteren Jahren bezahlt. Plötzlich wurde Draco kalt.

„Dein Vater hatte in den letzten Jahren Schwierigkeiten, neue Geschäfte abzuschließen. Der Ruf unserer Familie eilt voraus, und es gibt selbst im Ausland kaum noch jemanden, der sich mit... Uns... sehen lassen will." Wie die Zeiten sich ändern konnten. Früher hatte man sich darum gerissen, mit Lucius Malfoy Geschäfte zu machen, da sie so gut wie immer gewinnbringend waren.

Draco räusperte sich. Auch ohne neue Einkünfte durch Geschäftsverträge besaß die Familie Malfoy mehr als genug Vermögen, dass sie sich für die nächsten drei Generationen keine Sorgen machen musste. Dennoch, für seinen Vater musste es frustrierend sein, auf einmal auf die hinteren Ränge verbannt zu werden. Für einen Mann, der sein Leben lang lieber zugepackt hatte, und schon unter Voldemort zur hilflosen Marionette geworden war, musste eine neuerliche Verbannung schmerzhaft sein.

„Wie geht es Pansy?", wechselte er das Thema, um nicht weiter darüber nachdenken zu müssen. Durch seinen betont heiteren Ton wollte er verbergen, wie sehr er nach einer Antwort lechzte.

„Pansy hat geheiratet." Seine Mutter sagte das so schnell und leise, als wollte sie das Pflaster möglichst rasch abreißen. „Schon vor zwei Jahren. Einen Amerikaner. Reinblütige Familie. Sie hat ihn kennengelernt, und ist innerhalb von Wochen mit Sack und Pack nach New York gezogen."

Eine Überraschung war das nicht, aber dennoch ein Tritt in den Magen. Trotz allem, und trotz der deutlichen Worte, die sie ihm im letzten Schuljahr entgegengeschleudert hatte, hatte er irgendwo gehofft, dass sie auf ihn warten würde. Dass ihre Gefühle für ihn ausreichen würden. Doch all sein Reichtum war anscheinend nicht genug gewesen. Sie wollte sich nicht mit einem Geächteten abgeben. Draco konnte ihr keine Vorwürfe machen, offiziell an seiner Seite zu bleiben hätte die Hölle für eine Frau wie sie geheißen.

Aber es schmerzte ihn dennoch.

It's always Darkest Before the DawnWhere stories live. Discover now