Erkenntnisse

290 22 2
                                    


Der Wein plätscherte leise vor sich hin, als er von einem Kellner in das bauchige Glas gegossen wurde. Die dunkelrote Flüssigkeit hatte genau den gleichen Farbton wie Astorias Lippenstift, wie Draco feststellte, als sie beide das Getränk zum Mund hoben. Nach einem tiefen Schluck und einigen Momenten des Schweigens holte er tief Luft, und wollte sie mit einem Mal nach all dem fragen, was seit seiner Verhaftung passiert war. Doch als er begann, kam ihm nur die banalste aller Fragen über die Lippen.


„Wie geht es dir?" Ein simpler Einstieg, doch Astoria hatte immer etwas zu erzählen. Aus eigenem Antrieb heraus sprach sie selten – sie hatte ihm einmal anvertraut, dass sie für niemanden eine Last sein wollte – doch wenn sie aufgefordert wurde, sprudelten Geschichten und Begeisterung aus ihr hervor wie aus einer kleinen Quelle.

„Ich bin überrascht. Ich habe nicht damit gerechnet, dass du mich ausführen würdest." Mit einer kreisenden Handbewegung, die wohl das ganze Restaurant umfassen sollte, deutete sie auf ihre Umgebung. „Und noch mehr wundert es mich, dass wir hier sind. Du kannst es hier nicht ausstehen."

Das stimmte. Obwohl das Amortentia zu den gehobeneren Lokalen von Londons Zaubererwelt zählte, hatte es nie völlig Dracos Geschmack getroffen. Es war zu vollgestopft, zu offensichtlich dekoriert und bildete sich zu viel auf seine teure Inneneinrichtung ein – seiner Meinung nach wenigstens. Obwohl das Essen wirklich deliziös war.

„Aber du liebst es."

"Das weißt du noch?" Wieder sah sie überrascht aus, und Draco konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. „Dein halbstündiger Vortrag über die Chili-Scampi hier ist mir in bester Erinnerung geblieben. Es war auch irgendwie schwierig, deine Begeisterung zu vergessen." 

„Eine Vorliebe für kulinarische Hochgenüsse ist nichts, was ich lustig fände.", erwiderte sie pikiert, aber nachsichtig. 

„Das ist jetzt ja auch nicht wichtig.", beeilte sich Draco zu sagen, da er spürte, wie das Gespräch in eine neckende Richtung glitt, während er wirklich und ernsthaft wissen wollte, was sich bei ihr getan hatte. „Was wichtiger ist – was hast du seit Hogwarts getan? Was ist in deinem Leben passiert?" Sein offener, neugieriger Blick warf sie eine Sekunde lang aus der Bahn.

Draco wiederzuhaben – in seine Augen zu sehen, seine Stimme zu hören und seine Nähe zu spüren – überwältigte sie. Sie hatte ihn so schrecklich vermisst. Ihn nach fünf Jahren vor sich zu haben, und zu wissen, dass er ihr seine ganze Aufmerksamkeit schenkte, dass sich zwischen ihnen nichts verändert hatte, und sie einander so sehr vertrauten wie am ersten Tag, ließ ein sanftes Glücksgefühl in ihr aufsteigen. 

„Es ist viel geschehen." Sie nahm sich einen Moment Zeit, um die Ereignisse in die richtige Reihenfolge zu bringen. Er kam ihr zur Hilfe. „Meine Mutter meinte, dass du ihr eine große Hilfe warst, und sie oft besucht hast? Aber das wird ja nicht das einzige sein, was du getan hast." 

Er lachte leise, und sie schüttelte den Kopf. „Ich mag Narzissa. Und nach deiner Verhaftung haben sie und ich uns öfter getroffen, und viel geredet. Über dich, aber auch über den Krieg, die Ereignisse, die wir alle verarbeiten müssen, über meine Ausbildung zur Heilerin." 

Überrascht hob Draco eine Augenbraue. „Heilerin? Deine Familie hat doch mehr als genug Geld..." 

„Nein, ich meine ja, aber darum geht es nicht." Sie schien irritiert, unsicher, wie sie sich ausdrücken sollte. „Ich wollte etwas Sinnvolles mit meiner Zeit anstellen. Etwas, das mich nicht von dem Geld meiner Familie abhängig macht. Ich wollte helfen können – nach allem, was ich während des Krieges gesehen habe, wollte ich mich nie wieder so hilflos fühlen, wenn Menschen in meiner Gegenwart verletzt werden. Außerdem... Hat es sich ein wenig angefühlt wie Wiedergutmachung." Eine leichte Röte schlich sich auf ihre Wangen, und sie blickte beschämt zur Seite. 

It's always Darkest Before the DawnOnde as histórias ganham vida. Descobre agora