Wunscherfüllung

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Patient: Draco Malfoy 
Alter: 23
Diagnose: PTBS

Draco saß auf einer bequemen, kühlen Ledercouch, den Blick interessiert auf den älteren Mann vor sich gerichtet, der auf einem Klemmbrett Notizen machte. In die rechte, obere Ecke waren sein Name und sein Alter eingetragen, den Rest konnte er kopfüber nicht mehr lesen. Er hatte in der heutigen Sitzung erst wenige Worte gesprochen, und doch schien es ihm, als wäre der Psychologe hochzufrieden.

Nach seiner Aussprache mit Astoria vor acht Wochen war er in ein Loch gestürzt. Er hatte nicht mehr gewusst, an wen er sich wenden sollte, ohne Angst vor Manipulation oder Lügen haben zu müssen. Seinem Vater vertraute er nicht mehr, seine Mutter war zu besorgt, um ein normales Gespräch mit ihm zu führen. Sowieso wollte er sie damit nicht belasten. Und nachdem Pansy mit einem koketten „Ich habe dich gewarnt" wieder in die USA zurückgekehrt war, war sein Verlangen, jemals wieder mit ihr zu sprechen, gewaltig gesunken. In diesem Moment hatte er sie (vielleicht zum ersten Mal) so gesehen, wie sie wirklich war. Berechnend. Kühl. Nicht zwangsläufig grausam, aber... selbstgerecht. Und nicht mehr ganz so schön in dieser selbstgerechten Einstellung, wie er früher gedacht hatte. Sein Bild von ihr war gewaltig verrutscht und er hatte kein Interesse daran, es so bald wieder geradezurücken. Vielleicht war es ja auch zum ersten Mal klar.

Seine Freunde aus den Zeiten vor Askaban waren in alle Winde verstreut. Einige von ihnen hätten vielleicht auf eine Kontaktaufnahme reagiert, aber selbst dann wollte er mit ihnen nicht über seine Probleme sprechen. Er hatte sie seit fünf Jahren nicht mehr gesehen – es wäre zu viel der Zumutung gewesen.

Also hatte er Astorias (schon wieder Astoria, sie war wirklich überall) Rat, dem Psychologen noch einmal eine Chance zu geben, befolgt. Es war eine gute Entscheidung gewesen. Es fiel ihm leichter, mit jemand Fremdem zu sprechen, der ihn nicht kannte, keine unlauteren Motive hatte oder ihn verurteilen würde. Heiler Atkin wollte ihm helfen – nichts weiter.

„Letztes Mal haben Sie einen Weg vorgeschlagen, Astorias letzte Aussagen zu überprüfen. Haben Sie die Gerichtsakten durchgesehen?" Draco schreckte aus seinen Gedanken hoch und nickte rasch. Als der Psychologe festgestellt hatte, dass Draco massive Schwierigkeiten damit hatte, Wahrheit und Lüge auseinanderzuhalten – trotz Astorias Beteuerungen, stets die Wahrheit gesagt zu haben – hatte er ihm eine Möglichkeit vorgeschlagen, Ordnung in das Chaos seines Kopfes zu bringen.

Er sollte Astorias Aussagen, insofern möglich, überprüfen und auf diese Art nachweisen, was er glauben konnte. Durch diese logische, nüchterne Herangehensweise war es ihm um einiges leichter gefallen, wieder Fuß zu fassen. Er hatte mit Heiler Atkin seine Beziehung zu Astoria durchbesprochen und war zu dem Schluss gekommen, dass nicht alles davon eine Lüge sein konnte. In den letzten beiden Wochen hatte er Hoffnung geschöpft, ihr beinahe alles glauben zu können... Und möglicherweise mehr zu ihr zu sagen zu können als ein gemurmeltes „Hallo" auf den Fluren des St. Mungo, wenn er sie dort zufällig sah. Noch war er nicht so weit. Aber bald würde er es sein. Vielleicht schon heute. (Er vermisste sie so sehr, selbst, wenn er noch damit rang, das zuzugeben.)

Draco räusperte sich, ehe er die Frage des Heilers beantwortete. „Ja, habe ich. Es war überraschend einfach – die Ansuchen sind eigentlich nicht öffentlich zugänglich. Nur für diejenigen, die sie ausgeschickt haben, und die, für die sie gedacht waren."

„Daher gehe ich davon aus, dass es Astorias Ansuchen tatsächlich gegeben hat?"

Draco nickte. Bei dem Gedanken an die vielen, vielen Briefe, die er durchgegangen war, schmerzte es in seiner Brust. „Alle zweihundertachtundvierzig." Manche der Briefe waren hastiger hingekritzelt worden, manche enthielten nur das ausgefüllte Dokument ohne weitere Informationen. Andere waren jedoch von seitenlangem Flehen begleitet, in denen Astoria darum bat, zu Draco vorgelassen zu werden. Um ihm nur einmal gut zuzusprechen. Um ihn davon abzuhalten, in den Wahnsinn abzusinken. Um ihn zu sehen, nur ein einziges Mal...

It's always Darkest Before the DawnWhere stories live. Discover now