Kapitel 98

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Joan

Als ich am nächsten Tag erwachte, hatte ich ein schweres Gefühl im Magen. Ich wollte essen, bekam aber keinen Bissen runter. Ich wollte unter Leute, wusste aber nicht an wen ich mich wenden konnte.
Was Angie wohl gerade tat? Vielleicht war sie auf einem völlig anderen Kontinent und lebte in einer anderen Zeitzone. Vielleicht hatte sie die Zeit ihres Lebens, ohne Laster, ohne Sorgen.

Ich ging zurück in mein Schlafzimmer, setzte mich aufs Fensterbrett und schaute auf die belebte Straße vor dem Haus.
All die Menschen, die sich da bewegten, ob im Auto oder zu Fuß, hatten alle ein Ziel. Eine Arbeit oder einen Menschen der auf sie wartete.
Wer oder was wartete auf mich?

Die Ziele, die ich mir gesetzt hatte, hatten sich alle in Luft aufgelöst. Mittlerweile hielt ich es für eine dumme Idee unseren alten Manager zu kontaktieren. Vielleicht war nicht nicht bereit für diesen ganzen Presseklatsch.
Andererseits, wie sollte ich es herausfinden, wenn ich den Schritt nicht wagte?

In mir brach ein Sturm der Gefühle aus. Ich war verwirrt und wusste nicht wohin. Ich kam mir vor wie eine Last, ich war überflüssig.

Um mich herum würde es immer leiser, eine Ohrenbetäubende Stille. Überfordert legte ich meinen Kopf in die Hände und ließ die Tränen kullern, da klingelte es an der Tür.
Schnell wischte ich die Tränen fort und lief zur Tür, sicher war es Brian der jetzt jeden Tag überprüfte, dass ich keine Dummheiten machte.

Als ich dann jedoch die Tür öffnete, wurde mir kalt und schwindelig. Dort stand nicht Brian, sondern Nikki.
Ich blinzelte um sicherzugehen, dass ich mir das nicht einbildete. Er stand wirklich vor mir, er war es.

Stumm trat ich beiseite und ließ ihn herein.
Er schloss die Tür hinter sich und blieb vor mir stehen. Keiner rührte sich, wir sahen uns einfach an.
Jedoch war ich es, die den ersten Schritt wagte. Ich konnte nicht anders, ich ging einen Schritt auf ihn zu und nahm ihn in die Arme. Zu meinem Glück erwiderte er die Umarmung und so standen wir da, in meinem Flur, eng umschlungen.
Es verging eine Menge Zeit, bis wir es wagten und zu lösen und uns wieder in die Augen zu sehen. Ich musste weinen.

Nikki wischte mir die Tränen fort und führte mich in mein Zimmer. Dort setzten wir uns auf mein Bett und sagten eine Weile nichts.
Ich zog meine Beine an mich heran und lehnte mich an den Kopf des Bettes.

„Wie geht's dir, Joan? Wie geht's dir wirklich?"

Ich seufzte und rieb mir übers Gesicht, „Beschissen. Nachdem ich zurückgekommen bin vom Entzug, war ich voller Pläne. Jetzt hab ich Angst und bin völlig alleine. Ich kann nicht mehr."

Nikki sagte nicht, er schaute mich nur an, also begann ich weiterzusprechen, „Alles ist von Anfang an schief gelaufen, schon in Indiana. Angie und ich hatten es zu leicht, wir sind zu schnell berühmt geworden, hatten zu schnell zu viel Geld. Wir schmissen das Zeug zum Fenster raus, es kam ja immer wieder neues. Angie rannte von Mann zu Mann, in der Hoffnung einmal richtige Liebe erfahren zu können. Wir waren von Anfang an kaputt, es hätte von Anfang an jemand mit der Faust auf den Tisch hauen sollen. Jetzt ist's zu spät. Sie ist weg und ich bin hier, ein einziges Wrack bin ich."

Ich hörte wie Nikki versuchte einen Kloß im Hals runterzuschlucken. Er sah mich an, fast so wie er es früher immer getan hat.
„Und bei uns...", begann ich ohne nachzudenken, „ist so vieles richtig, aber auch so vieles falsch gelaufen, dass ich gar nicht mehr sagen kann ab wann unsere Beziehung zerbrach."

Nikki stand auf und lief zum Fenster. Es schien als könne er meinen Anblick nicht mehr ertragen, was in mir den letzten Mut zerstörte. Ich kniff meine Augen zusammen, öffnete sie aber gleich wieder, weil tausende Bilder von Erinnerungen vor meinem geistigen Auge tobten.

„Joan, ich will dir helfen.", sagte Nikki endlich und drehte sich um.
„Vince hat mir erzählt, dass du wieder dort hin willst, wo du warst. Wir können gemeinsam zu deinem Manager gehen, wie du willst. Ich bin für dich da und werde dich nicht nochmal so aus den Augen lassen wie damals. Dir darf nicht nochmal sowas passieren. Wenn du willst komme ich jeden Tag her oder bleibe hier."

Jetzt kamen die Tränen wieder von allein, „Was ist mit deiner neuen Freundin?", schniefte ich.

„Mach dir darum mal keine Sorgen."

„Danke, Nikki, wirklich. Aber ich bin immer noch ich und komme alleine klar, irgendwie. Ich hab mich immer durchgeboxt und bin nicht bedürftig."

„Doch, genau das bist du und das weißt du. Schau dich um, du bist alleine. Wie willst du das stemmen? Denkst du ich kenne dich so wenig, dass ich jetzt gehen würde mit dem Gedanken, dass du das schon schaffst? Ich sehe was in dir los ist und ich kenne dich besser als du denkst. Leg einmal deinen Stolz beiseite und nimm die Hilfe an die du brauchst."

Ich war geschockt. Mein Körper stand unter Strom. Das waren die ehelichsten Worte, die ich seit Ewigkeiten gehört hatte.
Es dauerte eine Weile bis ich zu mir kam und dann auch einwilligte.

Komisch fühlte sich das schon an, wieder jemanden in der Wohnung zu haben. Jemanden der sich um mich sorgte, Tag und Nacht.

Ich hoffte einfach nur, dass sich das alles bezahlt machen würde und so Angie wieder zurückkam.

Time For ChangeWhere stories live. Discover now