45. Kapitel

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Lilia schüttelt den Kopf in dem Versuch, einen klaren Gedanken zu fassen. Ihr Blick wandert erneut zu ihrem Wecker.
7.30Uhr.
Zaghaft, fast schon schwerfällig steht sie auf und schnappt sich ihre Schultasche. Es hat ja doch keinen Sinn. Alleine kommt sie sowieso nicht weit. Und Meran hat sich bisher nicht bei ihr gemeldet. Das wird dann wohl seine Entscheidung sein. Soviel dazu, dass er für sie da ist. Dass er ihr helfen will. Er versucht nichteinmal sie von ihrem Vorhaben abzubringen. Nein, er überlässt sie einfach sich selbst. Sie schnaubt verächtlich auf.
Mit schlurfenden Schritten macht sie sich auf den Weg zur Haustür, greift im Vorbeigehen noch ihren Schlüssel und schlüpft in ein paar Schuhe. Ihre Hand liegt auf dem Türgriff, unsicher ob sie wirklich wie gewohnt weitermachen will. Wie gewohnt weiterleiden. Sich das Leben von Ryan zerstören lassen.
Das schrille, lange Klingeln an der Tür lässt sie aus ihren Gedanken hochschrecken und treibt ihren Puls ganz plötzlich in die Höhe. Schnell reißt sie die Tür auf, will sich bei dem Verantwortlichen beschweren, obwohl er nicht wissen konnte, dass sie direkt an der Tür steht. Doch als Meran's Gesicht plötzlich vor ihr auftaucht, ist all die Wut wie verschwunden.
"Meran...", flüstert sie und erst dann fällt ihr Blick auf sein Auto, welches er genau vor ihrer Tür geparkt hat. Ein Grinsen breitet sich auf seinem Gesicht aus, als er ihre Schultasche sieht.
"Was jetzt? Willst du in die Schule oder weg? Komm' schon, schnapp dir deine Sachen." Seine Worte verschlagen ihr die Sprache. Sie hatte nicht mehr damit gerechnet, dass er noch auftauchen würde. Oder viel eher, dass er ihrem verrückten und vollkommen planlosen Vorhaben nachgehen würde. Von seinem Grinsen angesteckt, breitet sich auch auf ihrem Gesicht ein Lächeln aus. Hastig macht sie auf der Ferse kehrt, rennt in ihr Zimmer und schnappt sich die bereits gepackten Taschen.
Als sie zurück zur Tür kommt, ist Meran verschwunden. Doch natürlich nicht ganz, er ist nur schon in sein Auto gestiegen und dem Moment, in dem sie aus der Tür tritt, startet er den Motor. Achtlos reißt sie die Haustür hinter sich zu, springt mit einem Satz die kleinen Vorstufen herab und öffnet die Wagentür. Ihr Gepäck wird einfach auf den Rücksitz geworfen und sie selbst lässt sich auf den Beifahrersitz fallen.
"Wohin geht's?", fragt Meran sie, als sie die Tür zuzieht, doch Lilia zuckt nur mit den Schultern.
"Da, wo es uns hintreibt."

~•~•~•~•~•~•~•~•~

Nur eine Woche später wurde von ihnen in den Nachrichten berichtet. Doch nicht einfach, weil zwei Jugendliche zusammen ausgerissen sind. Sondern wegen dem tragischen Schicksal, welches sie danach ereilte.
Meran Eltern gaben schon am Abend des Tages, an dem er und Lilia weg sind, eine Vermisstenanzeige auf. Lilias Mutter erst am nächsten Tag. Und das auch nur, weil sie von der Schule benachrichtigt wurde, dass Meran verschwunden war und Lilia ebenfalls nicht zum Unterricht kam.
Die Polizei nahm es aber nicht allzu ernst. Sie dachten einfach, dass zwei schwierige Teenager von zuhause abgehauen sind. Natürlich wurde nach ihnen gesucht, allerdings nicht wirklich gründlich. Diese unsaubere Arbeit bereuten sie im Nachhinein jedoch.
Eine Woche nach ihrem Verschwinden, wurde die Polizei über 500km weiter weg zu einem Unfall gerufen. Ein Lastwagen kam in der Nacht von einer Waldstraße ab. Der Fahrer war vermutlich kurz eingeschlafen, hat dadurch die Kurve nicht richtig genommen und fuhr geradewegs auf einen kleinen Rastplatz. Und dadurch direkt in ein dort parkendes Auto. Der Fahrer des Lastwagens hatte keine schlimmen Verletzungen, er schaffte es noch Polizei und Krankenwagen zu rufen. Bei den Insassen des anderen Wagens sah' es jedoch anders aus. Durch die Wucht des Aufpralls, wurde der Wagen so stark gegen einen Baum geschleudert, dass die 17-Jährige Beifahrerin sofort tot war. Der 18-Jährige Fahrer verstarb am Unfallort, kurz nachdem der Notarzt eintraf.
Als sie die beiden Opfer identifiziert hatten, wurden Merans Eltern und auch Lilias Mutter direkt informiert. Niemals hätten sie gedacht, dass das Weglaufen ihrer Kinder, so endete. Und auch Lilia und Meran hätten als sie weg sind nicht erwartet, dass ihre Freiheit nur so kurzlebig ist.
Nur wenige Tage darauf findet die Beerdigung statt. Während an Meran's Grab viele Leute standen, hielt es sich bei Lilia's in Grenzen. Doch jetzt musste sie das sowieso nicht mehr viel kümmern.
Als sich gegen Abend ales etwas gelegt hat, kam allerdings doch noch wer ihr Grab besuchen. Jemand, bei dem sie zu Lebzeiten den Kopf geschüttelt und weggelaufen wäre.
Wortlos geht er in die Hocke und legt er eine einzelne weiße Rose auf ihr Grab. Beißt sich stumm auf die Lippe um ein Schluchzen zu unterdrücken.
"Bereust du es jetzt?" Erschrocken schaut er auf.
"Cayden...", flüstert Ryan, seine Stimme rau und schwach vom Weinen. Auch Cayden hatte geweint, dass sieht er seinen roten, geschwollenen Augen an. Doch trotzdem ist sein Blick gnadenlos, als er auf Ryan hinabsieht. Und das zurecht.
"Sowas wollte ich doch nicht!" Sein erstickter Ausruf wird von einem Schluchzen unterbrochen, als ihm erneut Tränen über die Wangen laufen. Cayden's Blick wird etwas weicher. Er tritt ein paar Schritte vor, legt Ryan eine Hand auf den Kopf. Und dann kann auch er die Tränen nicht mehr zurückhalten.

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