5. Kapitel

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Am nächsten Morgen macht Lilia sich wie gewohnt fertig für die Schule. Natürlich mit laufender Musik. Da es an diesem Tag recht warm werden soll, zieht sie eine gemusterte Strumpfhose, einen schwarzen Rock und ein weites Hemd im selben Rosaton wie ihre Haare an. Bei dem Rock muss sie immer wieder aufpassen, dass er nicht zu hoch rutscht. Sonst könnte man die zahlreichen Narben oben an ihren Oberschenkeln sehen. Die langen Haare bindet sie zu einem Zopf zusammen, an den Armen wie gewohnt die verdeckenden Bänder und Haargummis. Als sie mit allem fertig ist, macht sie die Musik aus und geht zum Fenster um den Rollladen hochzumachen. Doch kaum das er oben ist, bereut sie es wieder. Vor ihrem Fenster steht kein anderer als Meran. Er grinst sie breit an und winkt. Sie sieht ihn wütend an und streckt ihm die Zunge raus.
Das kann ja wohl nicht wahr sein. Nun stalkt er sie schon! Wütend stapft sie vom Fenster weg und schnappt sich ihre Schultasche. Schnell schlüpft sie noch in ihre Schuhe und geht aus dem Zimmer. Ohne etwas zu ihrer Mutter zu sagen, geht sie an ihr vorbei. Sie steckt noch ihren Schlüssel ein und rauscht dann aus dem Haus. Vor der Tür wartet Meran natürlich schon. Sie verdreht genervt die Augen.
„Du hast echt einen guten Musikgeschmack!“, lobt er sie, während er neben ihr her geht. Also stand er schon länger da. Was für ein Idiot. Sie ignoriert das einfach und kramt stattdessen ihre Kopfhörer heraus. Als sie sie gerade in ihrem Handy einstecken will, nimmt Meran sie ihr ab. Er schaut sie schmollend, fast wie ein kleines Hündchen an.
„Das ist nicht nett, lass mich wenigstens mithören!“ Lilia verzieht den Mund. Lieber hört sie gar keine Musik, als mit ihm zusammen. Also läuft sie einfach stumm weiter, holt sich eine Zigarette aus ihrer Tasche und zündet sie sich an. Nach einer Weile fällt ihr auf, dass es verdächtig ruhig ist. Meran redet gar nicht. Also schaut sie möglichst unauffällig zu ihm herüber. Und hätte ihn am liebsten geschlagen. Er sieht sie mit großen Augen an, wechselt dann zu ihrer Zigarette ehe er sie wieder flehend ansieht.
„Nein.“, sagt Lilia nur monoton. Er macht einen Schmollmund, kommt ihr näher und sieht ihr tief in die Augen. Lilia ist eine solche Nähe nicht gewohnt, weswegen es sie ein wenig einschüchtert. Aber auch wütend macht. Warum lässt er sie nicht einfach in Ruhe? Sie will seine Gesellschaft schließlich gar nicht.
„Aber… bitte.“ Er kommt ihr noch näher. Ihr ist das so unangenehm, dass sie notgedrungen kapituliert und ihm widerwillig eine Zigarette gibt. Augenblicklich strahlt er übers ganze Gesicht. Sie fühlt sich fast schon geblendet.
„Danke! Meine sind seit gestern Abend leer und ich habe keine Ahnung, wo ich hier einen Automaten finde.“ Lilia beachtet ihn und sein Gerede gar nicht. Es interessiert sie schließlich gar nicht. Doch Meran ist das egal. Er plappert munter weiter, über alles Mögliche. Lilia stellt sich taub. Sie will einfach nur ihre Ruhe haben. Aber bei diesem Typen kann sie das vergessen. Deshalb ist sie fast schon glücklich, als sie in der Schule ankommen. Wie immer wird sie verächtlich angestarrt, Meran neben ihr wird jedoch – zumindest von den Mädchen – fast schon angehimmelt. Er begrüßt auch einige Leute, sowohl Jungen als auch Mädchen. Woher er die plötzlich kennt, weiß Lilia nicht. Und es ist ihr auch egal.
Während Meran noch mit Begrüßungen beschäftigt ist, schlüpft Lilia stumm ins Klassenzimmer und setzt sich an ihren Platz. Es dauert keine Minute, da stehen schon ein paar Mädchen an ihrem Tisch. Sehen sie missbilligend und verächtlich an.
„Lass die Finger von Meran. Zieh ihn nicht auf dein Niveau herunter.“, macht sie eines der Mädchen an. Lilia sieht desinteressiert auf. Sie weiß nicht einmal, wer das ist. Aber das ist ihr eigentlich egal. Auch was sie gesagt hat, kümmert Lilia nicht. Sie hat ja sowieso kein Interesse an Meran. Sie will ihn eigentlich so schnell wie möglich loshaben. Sollen diese Mädchen sich doch an ihn ranschmeißen. Vielleicht nervt er sie dann nicht mehr so. 
Ohne etwas zu sagen, wendet Lilia sich wieder ab, beginnt auf ihrem Block herum zu kritzeln. Das Mädchen, das sie angesprochen hatte, wird wütend und schnaubt verächtlich. Sie macht den Mund auf um etwas zu sagen, unterlässt es aber doch. Meran ist inzwischen auch an den Tisch gekommen und setzt sich hin. Kurz darauf kommt auch schon der Klassenlehrer und jeder geht auf seinen Platz.
„Hey.“, flüstert Meran um Lilias Aufmerksamkeit zu bekommen. Sie ignoriert es zunächst, doch er lässt nicht nach. Piekt sie mit seinem Stift, stupst sie mit dem Fuß an und pustet ihr immer wieder an den Kopf. Irgendwann reicht es ihr.
„Was?!“, keift sie, leise aber genervt. Meran grinst nur. Er weist mit dem Kinn auf etwas unter dem Tisch. Dort hält er seine Hand, verschlossen, als befinde sich etwas darin. Langsam öffnet er die Hand einen Spalt. Darin liegt ein Schlüssel. Lilias Haustürschlüssel. Sie schaut verstört auf seine Hand, dann in sein Gesicht. Wie hat er das nur geschafft? Wie hat er es geschafft, ihr den Schlüssel zu klauen?
„Dieses Mal habe ich gewonnen, also zeigst du mir heute ein wenig die Gegend.“ Kaum hat er es gesagt, wird er auch schon vom Lehrer zur Ruhe gewiesen. Dem folgt er natürlich brav, lächelt Lilia aber siegreich an. Sie hätte ihm am liebsten den Kopf abgerissen. Aber wer weiß, vielleicht schafft er es ja noch, dass es so weit kommt.

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