Begegnung

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Die Tage, die ich im Palast verbracht hatte, verwandelten sich bald in Wochen und Monate. Der Sommer wurde vom Herbst ausgetauscht und die Laubbäume im Garten ließen bunte Blätter zu Boden fallen. Weder Kai noch ich waren einander in romanischer Hinsicht näher gekommen. Wir blieben auf dem Level einer etwas unbehaglichen 'Freundschaft' und erkannten bald, dass wir wirklich wenig gemeinsam hatten. Kai war Tänzer und gerne sehr aktiv, während ich mich die meiste Zeit in die Bibliothek verschanzte um aufregende Bücher zu verschlingen. Ich setzte mich jeden Nachmittag aufs neue mit einem Buch in den gemütlichen Sessel der Palast eigenen Bibliothek, manchmal brachte ich eine Kanne Tee mit mir und las so lange, bis die Flüssigkeit vergessen und eiskalt geworden war. Kai sah ich kaum noch. Er schien mit anderen Dingen beschäftigt und ich kümmerte mich nicht weiter.
 Eines Nachmittags jedoch, geschah etwas unerwartetes. Ich saß gerade an meinem üblichen Platz in der Bibliothek, ein Buch über Zauberei und Magie auf dem Schoss geöffnet, als ein Krachen mich zusammenfahren ließ.
 Mein Kopf fuhr überrascht auf, um herauszufinden woher das Geräusch seinen Ursprung hatte. Als ich nichts sah, stand ich vorsichtig auf und tappte durch den Raum um hinter die Regale zu spähen. Hinter einem davon, sah ich das ein Buch geöffnet auf dem Boden lag. Ich hob es behutsam auf und stellte es an seinen Rechtmäßigen Platz zurück. Es musste wohl hinunter gefallen sein.
 Ich wollte mich gerade abwenden, da bemerkte ich das etwas oberhalb von meinem Kopf zwei Bücher im Regal fehlten. Stirnrunzelnd stellte ich mich auf die Zehenspitzen und blickte durch den Spalt hindurch, überrascht feststellend, dass ich dadurch direkten Blick auf meinen gewohnten Lesesessel hatte.
 Achselzuckend schrieb ich dies dem Zufall zu, ehe ich mich zurück an meinen Platz begab. Dennoch, ertappte ich mich selbst dabei, wie mein Kopf an diesem Tag, ungewohnt oft nach oben fuhr und ich mit abschweifenden Gedanken in die Leere starrte.
Erst am Abend verließ ich die Bibliothek und während mein Kopf noch voll von Geschichten und fiktiven Abenteuern war, hörte ich plötzlich jemanden meinen Namen rufen. Verwundert wandte ich mich um und wartete bis der keuchende Bedienstete mich aufgeholt hatte.
 „Sir, Sie werden in einer der Räumlichkeiten des Königs erwartet.“
 „Kais Vater?“ Ich war überrascht, einer solchen Audienz fand ich mich noch nie gegenüber. „Wird Kai auch dort sein?“
 „Nein Prinz. Der Sohn des Königs wurde nicht zu seiner Majestät bestellt.“
 „Oh, na dann.“
 Mit schnellen Schritten begaben wir uns zu dem Ort an den ich bestellte worden war und während wir unserem Ziel näher kamen, fing ich an mir Sorgen zu machen. Was würde Kais Vater von mir alleine wollen? Gewiss über die Verlobung reden. Ob es wohl schon einen Termin für die Hochzeit gab... Ein Schaudern lief mir den Rücken hinunter. Vielleicht war alles auch komplett anderer Natur, vielleicht wurde die Hochzeit aufgelöst und ich nach Hause zurückgeschickt. Doch, würde dies dann nicht Krieg bedeuten? Das Volk brauchte einen Anker der unsere zwei Länder sichtlich zusammenhielt. Ohne dies würden wieder Unruhen das Land in ihren eisigen Griff gefangen halten. Und eine Wiederholung eines erst überwundenen Krieges wäre schrecklich.
 Noch während ich mir Sorgen machte kam der Diener vor einer schlicht aussehenden Holztüre zu einem Halt und klopfte drei Mal, ehe die Türe einen Spaltbreit geöffnet wurde. Der Mann kündigte mein Erscheinen an und verneigte sich tief, während ich an ihm vorbei trat und in den düsteren Raum ging.
 Kerzen belichteten das Zimmer, weil die schweren Vorhänge zugezogen waren. Während ich durch den Raum blickte, blieb mein Blick an einem Gesicht hängen das ich hier, so niemals erwartet hätte. „Was machst du denn hier?“, wollte ich wissen, doch in dieser Sekunde entschied sich Kais Vater, der König dieses Landes, mit ausgestreckten Armen auf mich zuzukommen und meinen schmächtigen Körper kurz von dem Seinen zu umhüllen.
 „Danke das du gekommen bist Luhan.“
 „Natürlich Eure Majestät“, erwiderte ich mit einem respektvollem Kopfnicken. Ich war zwar sarkastisch aber gewiss nicht unhöflich.
 „Du kannst die Förmlichkeiten ruhigen Herzens fort lassen, mein Junge. Immerhin bist du schon jetzt ein wichtiger Teil der Familie.“ Mit diesen Worten machte er auf einen Schlag meine Befürchtungen der Verlobung wegen, zu Nichte. „Nun, du fragst dich gewiss wieso du hier bist, nehme ich an.“
 Ich nickte neugierig.
 „Luhan, ich habe dich und Kai für eine Weile beobachtet.“ Sofort versteifte ich mich. „Und ihr beide wirkt einander noch immer nicht sehr Nahe.“
 „Kai ist ein wirklich netter Mann.“, sagte ich schnell um seine Befürchtungen, die ganz gewiss nichts gutes für mich bedeuteten, zu Nichte zu machen.
 „Daran habe ich so manchmal meine Zweifel“, murmelte der König und heiße Wut flackerte kurzweilig in seinen Augen auf. „Aber vielen Dank, es freut mich das du meinen Sohn mit so...aufrichtigen Gefühlen begegnest.“
 „Natürlich“, sagte ich höflich und als der König mir anbot mich hinzusetzen gehorchte ich. Erst jetzt fiel mir auf wie entspannend der ganze Raum auf einen wirkte. Das dämmrige Licht, die warme Luft und ein angenehm süßlicher Geruch, der nicht ganz Weihrauch war aber sicher von irgendwelchen, verbrannten Kräuter entsprang.
 „Dennoch Luhan“, sagte er sanft und setzte sich in den Sitz mir gegenüber und nahm meine vergleichsweise sehr kleinen Hände zwischen die seine. Der Blick seiner braunen Augen war hypnotisierend. „Ich mache mir Sorgen, wir alle machen uns Sorgen und daher möchte ich dir ein wenig ins Gewissen reden.“
 Oh nein, dachte ich sofort und wäre gerne davon gerannt. „Du weißt, dass die Vereinigung unserer Länder von oberster Priorität ist, mein Junge?“
 Ich nickte mit gesenktem Blick.
 „Ich möchte dich nicht verängstigen mein Kind, aber bitte versuche dich in meine Lage hinein zu versetzten. Ich bin sowohl Vater, als auch Herrscher dieses Landes. Auf meinen Schultern lastet eine schwere Bürde und damit dein Vater und ich, Kai und dir ein Land in Frieden und Freiheit vererben können, braucht es gewisse Mittel um Stabilität und Ordnung zu gewährleisten.“
 Ich nickte geschlagen. Das klang alles sehr schlüssig.
 „Ihr wollt keine Länder regieren, die im Krieg zueinander stehen und vor allem wollen wir nicht noch mehr Blut vergießen müssen. Die Erde auf der unsere Füße uns tragen, ist schon satt und trunken von dem Blut unserer Vorfahren. Wir dürfen nicht zu lassen, dass auch das Blut unserer Kinder in die Erde sickert. Das verstehst du, nicht wahr?“
 Tränen brannten in meinen Augen, die eindringlichen aber sanften Worte trafen mich mitten ins Herz und ich hätte mich gerne selbst geschlagen für all meinen Egoismus. „Ich verstehe, es tut mir wirklich Leid.“
 Der König fuhr mir mit dem Daumen sanft über die Wange um eine Träne fortzuschicken. „Ist schon gut mein Kind. Alles ist gut. Es tut mir Leid, dass deine Eltern und ich so viel von dir verlangen, aber es wird besser. Versuch dich einfach auf Kai einzulassen. Sammle ein paar schöne Erinnerungen und eventuell lernst du ja sogar ihn zu lieben. Die Völker zweier Länder schauen zu euch herauf. Wenn ihr es schafft in Liebe, Verbundenheit und Frieden miteinander zu leben, dann schaffen sie es auch.“
 Ich nickte. „Ich werde es versuchen. Ich schwöre es.“
 „Du bist ein gutes Kind Luhan“, sagte er sanft und wuschelte mir lächelnd mit der Hand durch das blonde Haar.
 Später am Abend fand ich mich in meinem Bett wieder. Mein Kopf kreiste von all den Worten die Kais Vater und ich geteilt hatten und ich fühlte mich als wäre ich in einem dichten Nebel gefangen. Ein leichtes Dröhnen lies mich schmerzverzerrt die Augen verschließen. Ich versprach von nun an, mir den Rat des Königs besonders zu Herzen zu nehmen. Seine Worte hatten mir die Augen geöffnet und ich verstand nun wie wichtig die ganze Situation für unsere Völker war. In all diesem Chaos war kein Platz für Kais und meine persönlichen Präferenzen. Als meine Augen langsam zu flatterten, versprach ich gleich am nächsten Morgen mit Kai zu reden.  

Die Nacht war unglaublich kurz, als hätte ich soeben erst meine Augen geschlossen, nur im nächsten Augenblick erneut in der Realität zu erwachen. Grummelnd kämpfte ich mich aus meinem Nest aus Decken und Kissen und streckte mich ausgiebig. Ich fühlte mich als hätte ich überhaupt nicht geschlafen und fühlte mich dennoch eigenartig wach.  
 Es war noch recht früh, die Sonne stand noch nicht sonderlich hoch am Himmel. Ich entschied mich schon früh in der Bibliothek vorbeizuschauen. Bis zum Frühstück würde es noch ein Weilchen hin sein.
 Anstelle von Normalerweise, entschied ich mich also mir meine Kanne Tee nicht von meinem Diener bringen zu lassen, sondern ging in die große Küche und stellte dort selbst eine Kanne Wasser über das Feuer, das glücklicherweise schon brannte.
 Während das Wasser zu kochen begann suchte ich mir meine Kräuter zusammen und eine Tasse aus Porzellan.
 Ich betrachtete die Tasse in meiner Hand gerade eingehender, sie war weiß mit goldenen Verzierungen am oberen und unteren Rande, als plötzlich jemand mit der Schulter gegen mich stieß und ich zu Boden fiel. Reflexartig versuchte ich den Sturz mit meinen Händen abzufangen, zerschmetterte dadurch jedoch einzig die Tasse und landete schmerzhaft in ihren Scherben. Die Person die mich angerempelt hatte, hatte noch nicht einmal zurück gesehen. Ich wollte ihr hinterher rufen, aber ich ließ es sein, ich hatte ja noch nicht einmal das Gesicht der Person gesehen.
 „Oh Gott, geht es dir gut?“
 Überrascht blickte ich auf, als plötzlich jemand neben mir in die Hocke ging. „Kai-sshi was machst du denn hier?“
 „Mir etwas zu Essen stibitzen, um am Frühstückstisch nicht anwesend sein zu müssen“, grinste er.
 „Das ist nicht gerade fair“, sagte ich mit einem Stirnrunzeln und hatte in der nächsten Sekunde das Bedürfnis mir eine Hand vor den Mund zu schlagen.  
 Kai zuckte die Achseln und griff nach meiner Hand um die Wunde zu inspizieren. Ich wollte sie zurückziehen aber sein fester Griff hinderte mich daran. „Du musst das nicht machen.“
 „Wer sonst, sollte dir zu dieser frühen Stunde helfen?“
 „Ich komme gut alleine klar.“
 Überrascht blickte er auf und sein Blick wanderte sichtlich über mein Gesicht. Ich spürte meine Wangen heiß werden, als seine dunklen Augen wie eine Berührung über mich glitten. Ein aufgeregtes Kribbeln breitete sich in meiner Magengrube aus. „Du solltest Hilfe annehmen wenn du sie brauchst.“, riet er mir und zog mich sanft hoch, meine Hand noch immer fest in der Seinen. Als er mich ans Waschbecken stellte und vorsichtig meine Hände in kühles Wasser tauchte, sah ich mich nervös um.
 „Hör mal, du musst das wirklich nicht...“
 „Wieso bist du schon so früh hier?“, fragte Kai schnell, offensichtlich um mich zu unterbrechen.
 „Ich habe Tee gemacht.“
 „Ah verstehe.“ Er führte meine nasse Hand noch einmal vor sein Gesicht und suchte nach irgendwelchen verbleibenden Scherben und als er keine fand, lächelte er zufrieden. Ich fand sein Lächeln in dem frühen Sonnenlicht, dass durch die Fenster strahlte, sehr hübsch.
 „Gefällt dir was du siehst?“
 Ich zuckte ertappt zusammen und keuchte vor Schmerz auf als Kai mir plötzlich eine dunkle Flüssigkeit über die Hand kippte, die er offensichtlich hinter seinem Rücken, einst positioniert auf dem Regal, ergriffen hatte.
 „Au“, heulte ich mit zusammengebissenen Zähnen.
 „Tut mir Leid, ich musste es desinfizieren aber ich wollte dich davor nicht verschrecken. Geht es wieder?“
 Ich nickte langsam, meiner Stimme nicht genug trauend um ihm ordentlich zu antworten.
 „So, jetzt brauchen wir nur noch Verbandsmaterial und dann bist du so gut wie neu.“
 „Ah, das ist schon in Ordnung ich...“
 „Hör auf so stur zu sein und lass mich dir einfach helfen. Das ist ein Befehl“, seufzte der braunhaarige und gehorsam hielt ich den Mund.  
 Nach ein wenig herumkramen und suchen (was ich amüsiert beobachtete) beförderte Kai ein dünnes Verbandstuch zu Tage und wickelte es mir sorgfältig um die Handfläche. „So, alles wieder in Ordnung. Ich lasse gleich jemanden rufen und die Scherben beseitigen.“
 Ich öffnete bereits den Mund, doch Kai war bereits verschwunden und an seiner Stelle traten ein paar Bediensteten in die Küche um sich an die Beseitigung des Chaos zu machen.
 Eigenartigerweise fühlte ich mich sehr warm und sehr aufgewühlt. Kai hatte mich noch nie mit einem solchen Blick bedacht. Noch nie.
 Später ging ich dann in die Bibliothek und irgendwann fand ich mich blinzelnd in meinem Sessel wieder. Kurz blickte ich mich verwundert um, fühlte mich als hätte ich geschlafen und wäre wieder aufgewacht. Achselzuckend versank ich zurück in die Lektüre meines Buches.

Königlich VerliebtWhere stories live. Discover now