Was in Füssen passiert, bleibt in Füssen?

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Der Rest des Unterrichts geht, oh Wunder, ohne Schwierigkeiten vorüber.

Als es nach vier dann endlich klingelt, haben wir alle nur noch Brei im Hirn. Finn, Pierre – den ich den restlichen Tag gemieden habe – und ich setzen uns gleich ins Auto und düsen nach Füssen. Und, wen soll es wundern, natürlich ist der blaue, mit sehr viel Liebe gepflegte Wagen, der von Finn. Er erzählt mir, dass er ihn von seinem Taschengeld gekauft hat. Pierre hört dezent gelangweilt zu. Vermutlich kennt er die Story schon.

Als Finn fertig mit Erzählen ist, schiebe ich mir meine Kopfhörer in die Ohren und stelle so laut, dass ich alles um mich herum vergessen kann. Nicht zu laut, aber laut genug. Meine Ohren werden das überleben. Ich schließe die Augen. Hoffentlich lenkt mich der Besuch in Füssen ab! Denn ich spiele immer und immer wieder die Szene im Wald ab. Es ist wie ein Film, den jemand immer wieder von vorne anschaut und ich muss zusehen. Grässlich!

Dass wir in Füssen angekommen sind, merke ich, als mir jemand die Ohrstöpsel rauszieht.

„Sofie, wir sind da."

Ich mache die Augen auf. Pierre beugt sich vom Beifahrersitz zu mir nach hinten. Seufzend stecke ich das Handy weg und wir steigen aus. Finn sperrt ab.

„Hey, Leute", meint er. „Sorry, dass ich euch hängen lasse, aber ich muss noch was besorgen. Treffen wir uns einfach wieder hier am Auto. Wenn irgendetwas ist, könnt ihm mich auf dem Handy erreichen."

Und weg ist er. Aus meinem Seufzen wird ein Stöhnen und ich denke mit voller Absicht: „Von wegen: Sorry!" Finns Lachen hallt im meinem Kopf nach. „Depp!"

Ich schaue Pierre an.

„Du kennst dich hier doch hoffentlich aus."

„Ja, sicher. Komm."

Ich folge Pierre in die entgegengesetzte Richtung, in die Finn verschwunden ist. Seit der Zugfahrt ist es das erste Mal, dass wir allein unterwegs sind. Mein Magen zieht sich zusammen.

Wir gehen durch eine gut besuchte Fußgängerzone.

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Um 20 vor sechs kommen wir zum Schreibwarenladen. Die Hefte und den Rest zu besorgen, dauert vielleicht zehn Minuten. Danach gehen wir noch in den Bücherladen ein paar Häuser weiter. Ich habe Rachel versprochen, ihr ein Buch mitzubringen. Die Frau an der Kasse meint, sie würde es uns holen. Dann bezahle ich und frage, ob es hier auch CDs gibt.

Die Frau bejaht. „Wir schließen aber bald."

Ich winke ab. „Ich brauch nicht lang."

Schnellen Schrittes gehe ich, gefolgt von Pierre, nach hinten.

Im letzten Eck gibt es ganze zwei Regale mit CDs. Mit dem Finger fahre ich über die Hüllen. Nachdenklich ziehe ich eine heraus. Nee, die nicht! Ich mache einen Schritt zur Seite und stoße gegen Pierre.

„Oh, Sorry!"

„Sch-schon gut."

Warum stottert er denn? Ich blicke auf. Pierre schaut mich an. Und zwar mit einem Blick, der meinen Magen kribbeln lässt. Ich merke, wie ich rot werde. Zögernd streckt Pierre die Hand aus und berührt meine Wange. Ich verliere mich in der Schokolade seiner Augen. Spüre seine zärtliche Hand auf meiner Haut. Langsam beugt Pierre sich vor, legt vorsichtig seine Lippen auf meine. Seine andere Hand legt er auf meinen Rücken. Noch etwas unsicher lege ich ihm meine Arme um den Nacken. Anscheinend habe ich doch mehr als nur eine kleine Chance. Pierre zieht mich an sich. Immer noch vorsichtig bahnt sich seine Zunge einen Weg in meinen Mund. Ich heiße ihn willkommen. Er schmeckt nach Bitterschokolade! Ich glaube, ich werde verrückt. Hecor, der hinkende Henker ist vergessen, mit dem Geschmack von Bitterschokolade im Mund. Pierre entweicht ein leises Seufzen. Ich drehe meinen Kopf weg.

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