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Alec:

Ich konnte Mum nicht erzählen, was los war, einerseits, weil ich zu sehr mit weinen beschäftigt war, andererseits, weil ich mich so schämte.

Ich hatte mich wirklich zu sehr angestellt, ich hätte sofort deutlich machen sollen, dass er aufhören soll, ihm eine klare Ansage machen, ihn zur Not wegschlagen.

Wieso hatte ich es nicht getan?

Mein Körper hatte einfach aufgehört zu reagieren, er war nutzlos geworden und hatte mich völlig im Stich gelassen.

Mum versuchte lange, mich zu beruhigen, selbst, als ich noch im Bett lag und verzweifelt an mein Kissen gekuschelt weinte, aber es brachte nichts.

Dad stand die ganze Zeit im Türrahmen und schaute uns zu.

Erst, als Mum ging, um mir einen Beruhigungstee zu machen, kam er zu mir. Er setzte sich vor dem Bett auf den Boden, direkt in mein Blickfeld und strich mit der Hand vorsichtig über meinen Kopf.

„Es tut mir so leid, Alexej..."

Meine Sicht war verschwommen vor Tränen, ich konnte nicht sagen, ob Dad weinte, aber ich hörte genau, wie verkratzt seine Stimme klang, so leidend, schmerzerfüllt, aber vor allem schuldbewusst.

Ich schüttelte den Kopf. „Wieso?", schluchzte ich.

Wieso war das passiert? Wieso hatte ich sowas verdient? Wieso hatte ich mich nicht verteidigen können?

„Er ist krank... Dass ich ihn betrogen habe, hat ihn krank gemacht"

Ich schüttelte nochmal den Kopf, weil ich einfach nicht einsah, dass das passiert war. „Erzähl es mir"

Er seufzte, strich fortwährend über meinen Kopf, während er mir von dem Teil seiner Vergangenheit berichtete, der mir wie der Schlüssel zu seiner Seele vorkam.

„Ich war lange mit ihm zusammen. Seit ich 15 war, um genau zu sein. Er war mein erster fester Freund, meine erste Liebe, damals mein Ein und alles. Aber er ist älter als ich... 7 Jahre. Es war nie einfach für uns, schwul zu sein war damals noch fast eine Todsünde und der Altersunterschied hat es uns auch nicht leichter gemacht... Seine Familie hat uns nie unterstützt und unsere Freunde haben wir vergrault, also hatten wir nur noch einander. Eine Zeit lang war dann auch echt schön, aber irgendwann habe ich mich so einsam gefühlt, vor allem als er angefangen hat, mit seinen neuen Kollegen auszugehen und mich vor ihnen zu verheimlichen... Ich bin ehrlich, ich versuche seit fast 21 Jahren, mich zu rechtfertigen, dass ich mich auf dieser Party abgeschossen und mit deiner Mama geschlafen habe. Ich hatte Gewissensbisse, aber ich hab's vor ihm verheimlicht, bis Lydia vor der Tür stand und meinte, dass sie schwanger ist... anfangs war Dean noch relativ ruhig und verständnisvoll, aber wir sind in eine richtige Krise geraten, weil ich Lydia ja nicht hängen lassen konnte, also habe ich mich von ihm getrennt, weil es durch dein Verhalten einfach nicht möglich war, dich und ihn zu haben. Er hat mich vor die Wahl gestellt und hingegen meiner eigenen Erwartung den Kürzeren gezogen.... Er hat dann angefangen, Lydia aufzulauern und sie zu bestechen, damit sie abtreibt, selbst als es schon zu spät dazu war. Er hat sie verprügelt, damit sie eine Fehlgeburt hat, aber Lydia hat mir nie was davon erzählt, das habe ich über Kate erfahren, die damals noch besser mit Lydias großen Schwester befreundet war... Ich hatte lange Probleme mit Dean, einerseits, weil ich ihn trotz allem irgendwie immer noch geliebt habe und andererseits, weil er angefangen hat, deine Mum und mich zu stalken und zu bedrohen... Er war sogar im Krankenhaus, am Tag, als du geboren wurdest, hat sich als Onkel ausgegeben und versucht, dich... mit der Decke zu ersticken... Ich hab das deiner Mum nie erzählt, das hätte ihr nur den Rest gegeben..."

Er atmete tief durch, nachdem ihm ein kleines Schluchzen entkommen war. „Ich weiß, dass ich kein guter Vater war, Alexej, aber du sollst wissen, dass das nie an dir lag. Du warst ein toller Junge, der zu einem noch tolleren jungen Mann herangewachsen ist. Ich bereue es nicht, dass es dich gibt. Ich bin stolz darauf, dein Vater zu sein. Und ich liebe dich, selbst, wenn ich das einfach nicht zeigen kann. Ich weiß, du hast einen besseren Dad verdient, einen der kein so verstörtes Verhältnis zu Mitgliedern des männlichen Geschlechtes hat, und dir zeigen kann, wie wertvoll du ihm bist. Das tut mir leid. Und es tut mir leid, was Dean getan hat. Ich verspreche dir dafür zu sorgen, dass er lange Zeit das Tageslicht nur noch von einer Zelle aus sieht"

„Wieso?", schniefte ich wieder.

„Weil er es verdient hat..."

„Nein. Ich meine, wieso tut jemand sowas? Wie hat er euch all das antun können? Und wieso hat er die ganze Zeit grinst, als er..." Wimmend presste ich die Lippen zusammen.

„Das kann ich dir leider nicht sagen", seufzte Dad. Er strich sich ein paar Tränen weg und dann mir.

„Soll ich Dave anrufen?", fragte er einfühlsam.

„Wozu?", schniefte ich. „Er ist sauer auf mich"

„Das mag sein, aber er liebt dich, so sehr mir das auch missfällt, und wenn er weißt, dass es dir schlecht geht, will er sicherlich für dich da sein"

„Er wird denken, ich denke mir das aus, damit er nicht mehr sauer ist" Traurig rieb ich mir über die Augen und verbesserte somit meine Sicht.

Mein Dad hatte echt rötliche und glasige Augen vom Weinen und einen Gesichtsausdruck, der ihn 10 Jahre älter aussehen ließ.

„Wenn er das denkt, dann ist er ein Vollidiot"

Dieses kleine Wort brachte mich doch wirklich zum Schmunzeln. „So nenne ich ihn auch immer"

Dad erwiderte es, glücklich, dass ich noch lächeln konnte, wenn auch nur leicht.

„Also, soll ich dafür sorgen, dass er herkommt?"

Ich schüttelte den Kopf.

„Kann ich was Anderes für dich tun?"

Ich nickte leicht. „Kannst du Mum sagen, dass sie sich keine Sorgen machen soll? Und mir ein bisschen Zeit geben soll?"

Er nickte und wartete ab, da er erkannte, dass mir noch was auf dem Herzen lag.

„Und kannst du... Kannst du dann vielleicht wieder herkommen und dableiben?"

Wieder nickte er. „Den Tee bringe ich dir aber mit, das wird dir gut tun"

Er strich nochmal über meinen Kopf und küsste beim Aufstehen sogar meine Stirn, ehe er ging und Platz machte, sowohl für die Bilder und Gefühle, vom dem eben Geschehenen, die sofort wieder zurückkehrten, als auch die Gewissheit, dass mein Dad für mich da sein und mich beschützen würde.


Das Herz Der Dunkelheit (Manxman)Where stories live. Discover now