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Alec:

Nachdem ich Zuhause angekommen bin, um meine Sachen dort abzuladen, musste ich feststellen, dass alles dort ziemlich nach Aufbruch aussieht, also war wohl keiner mehr dort seit gestern Nachmittag.

Jetzt gerade ist es vier Uhr morgens. Eigentlich würde ich mich echt gerne hinlegen, aber schlafen werde ich jetzt eh nicht können bei der inneren Unruhe.

Also mache ich mich auf den Weg ins Krankenhaus. Meine Mum ist Privatversichert, was es uns erlaubt, auf die Besuchszeiten des Krankenhauses zu scheißen.

An der Schwesternstation frage ich nach dem Zimmer meiner Mutter, doch anscheinend ist keines eingetragen.

Verwirrt schreibe ich Dave, das ich hier bin. Er fragt, welche Etage, ich antworte und einige Minuten später kommt er aus dem Aufzug zu mir.

Er sieht ziemlich fertig aus.

„Hei" Kurz vor mir bleibt er stehen.

„Hi. Was ist mit meiner Mum?"

„Sie..." Dave schluckt, atmet tief durch, um seine zitternde Stimme zu kontrollieren. „Sie versuchen noch... sie zu retten..."

„Was?!" Entgeistert sehe ich ihn dabei an, bin so laut durch mein Entsetzen, dass mich die Schwester, die noch neben uns an ihrem Platz sitzt, bittet, leise zu sein oder das Krankenhaus zu verlassen.

Dave nimmt meinen Arm und zieht mich mit in den Aufzug. Er drückt eine Taste und lehnt leidend die Stirn an die kalten Aufzug-Wände.

„Kannst du mir jetzt mal sagen, was los ist?"

Es geht ihm nicht gut, das sehe ich ja, aber ich bin gerade zu panisch, um sensibel zu sein.

„Es ging ihr nicht gut... Ihr war schlecht, sie hatte Schmerzen und dann hat sie mich gebeten, sie herzubringen... Sie hat geblutet... und seitdem ist sie im OP und als Isak dann dazu kam, haben sie nur gesagt, dass es nicht gut aussieht.

Ich schlucke. Ich könnte gerade so viel denken, so viel fühlen, aber alles schaltet ab.

Wie ein Zombie folge ich Dave in einen Warteraum, in dem mein Dad schon sitzt und erschöpft den Kopf an die Wand hinter sich gelegt hat. Er schaut mich an, ich erkenne genau wie wütend er ist, wie sehr er mir einen Einlauf verpassen will, aber trotzdem steht er auf und nimmt mich in den Arm.

„Danke, dass du da bist", flüstert er dabei.

Ich nicke bloß und wir setzen uns.

Nach einer Weile frage ich in die drückende Stille: „Wo ist Amy?"

„Bei Leo"

„Und das Kind?"

„Säuglingsstation." Dave antwortet sehr wortkarg, aber es ist besser als mein Dad, der gar nicht anwesend zu sein scheint mit seinen Gedanken.

„Junge oder Mädchen?", will ich weiter wissen.

„Junge"

Ich weiß irgendwie nicht, ob ich mich freuen soll oder in Tränen ausbrechen. Ich lenke mich einfach weiter durch meine Fragen ab.

„Wie heißt er?"

Dave macht den Mund, um zu antworten, aber Dad fällt ihm ins Wort. „Das entscheidet deine Mutter, sobald sie so weit ist"

Die Art, wie er das ausspricht, lässt keinen Widerspruch, keinen Zweifel daran, dass es ihr bald wieder gut gehen wird.

„Wie geht es ihm?"

Dad schaut mich genervt wegen den ganzen Fragen an, aber Dave übernimmt die Beantwortung wieder.

„Wie gesagt, den Umständen entsprechend. Er ist sehr leicht, aber ist ganz normal für ein Frühchen. Er hat Atemprobleme, aber die Maschinen halten es unter Kontrolle... Wenn du zu ihm willst, kann ich dich hinbringen, aber er muss wegen dem Infektionsriskio erstmal in so einem Glaskasten bleiben..."

Ich nicke, lege all meinen Dank dafür, dass er es schafft, so ruhig zu bleiben, in meinen Blick. Ich glaube ohne ihn, würde mein Dad hier schon die Wände hochrennen.

„Kannst du... Bringst du mich hin?"

Dave nickt sofort, steht wieder auf.

Ich werfe meinem Dad einen besorgten Blick zu. „Kommst du mit?" Ich muss seine Schulter drücken, damit er bemerkt, dass er angesprochen wird.

Er schaut mich kurz an, schüttelt dann den Kopf. „Aber geh nur", murmelt er.

Es ändert nichts, ob ich jetzt hier bin und seine Hand halte oder nach meinem Bruder sehe, also gehe ich mit Dave wieder zu den Aufzügen.

Sobald die Türen sich hinter uns schließen, rutsche ich an der Wand gelehnt so zu ihm auf, dass sich die Außenseiten unserer Hände, sowie unsere Schultern berühren.

Dave schaut runter, als müsse er sich versichern, das ich diesen zarten Körperkontakt auch wirklich zulasse, lehnt dann den Kopf zurück an die Wand und beginnt leicht, meine Hand zu streicheln. „Ich bin immer für dich da. Das weißt du, oder?"

Sein Satz löst etwas in mir aus. Freude, aber auch Trauer, da er sich ziemlich sicher zu sein scheint, dass meine Mum es nicht schaffen wird.

Ich nicke nur, murmele „Danke"

Wir kommen in dem gewünschten Stockwerk an, Dave nimmt sich meine Hand als seien wir zwei Kindergartenkinder und zieht mich so sanft, aber bestimmend mit sich durch die Flure.

Wir kommen an einer Ecke an, die aus Glas besteht und von der aus man die Kinder in kleinen Glaskästen anschauen kann. Jeder von ihnen hat irgendwelche Schläuche irgendwo. Sie sind alle so klein und dünn. Und irgendwie hässlich...

„Das sind lauter Frühchen oder Kinder, denen es eben nicht so gut geht... die Gesunden liegen woanders", erklärt Dave mir leise und stützt sich mit den Händen an der Eisenstange ab, die um die Glasfenster herumführen.

„Welcher ist es?", hake ich leise nach.

„Zweite Reihe der dritte von rechts" Ich sehe zwar das Bett, und dass etwas kleines Weißes darin liegt, aber ein Baby erkenne ich nicht.

„Hast du ihn schon gesehen?"

Dave nickt. „Ganz kurz, zusammen mit deinem Dad... aber er wollte sofort wieder zurück ins Wartezimmer und ich wollte nicht unnötig lange hier herumstehen, wenn ich eh nichts machen kann... Wenn du willst, können mir später aber mal fragen, ob du rein darfst... Musst dich halt an gewisse Regeln halten"

Beim letzten Satz schaut er mich ganz komisch an, so als wolle er sagen, aber damit hast du ja in letzter Zeit so deine Probleme.

Ich seufze, umfasse seinen Arm und lehne mich leicht dagegen.

Er bekommt eine Gänsehaut, als ich über die Innenseite seines Oberarms streiche, sowie die Hand auf seiner liegen lasse, sodass unsere Finger ineinander gleiten.

„Es tut mir leid", murmele ich dabei an seine Schulter und schmiege meine Wange daran.

„Ich weiß", gibt er ebenso leise zurück, lehnt seinen Kopf an meinen und sieht zusammen mit mir auf den kleinen Knäul, der meinen Bruder darstellen soll.


Das Herz Der Dunkelheit (Manxman)Where stories live. Discover now