Puzzleteile

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Erschrocken schaute ich in das dunkelgrüne Augenpaar vor mir und konnte einfach nicht glauben, wen ich da anblickte.

Das beruhte wohl auf Gegenseitigkeit, denn er ließ ungläubig meinen Arm los und schaute mich an, als wäre ich eine Fata Morgana.

„Mona?", stieß er atemlos hervor.

„Ryder!" Der Name kam wie ein altes, ewig verborgenes und lange unbenutztes Wort über meine plötzlich trockenen Lippen.

„Lange nicht gesehen.", war das erste, was er außer meinem Namen, der unfassbar melodisch und traurig gleichzeitig aus seinem Mund geklungen hatte, hervorbrachte.

„Das kann man wohl sagen.", kommentierte ich. „Wie gehts dir so? Was machst du so?"

Normalerweise fragte man solche Sachen aus Anstand, aber bei ihm interessierte es mich ehrlich.

Seine schlagartige Anwesenheit löste irgendwelche längst vergrabenen Hormone in meinem Körper aus.

Freude, Verwirrung, Trauer, Wut, Sehnsucht, Schuld... Alles prasselte auf mich ein, als hätte es nur darauf gewartet endlich ausbrechen zu dürfen.

Dennoch lächelte ich ihn an, weil die Freude alles zu übertreffen schien. Und er lächelte zurück.

Ich musterte sein Gesicht und erst jetzt fiel mir auf, dass er weder sein Nostril, noch seine Silberohringe trug. Nur eine schlichte silberne Kette mit einem schmalen Unendlichkeitszeichen.

Seine braunen Haare waren seitlich gekürzt, während sie oben ziemlich lang geworden waren.

„Ach ich hab mein Studium erfolgreich abgeschlossen und bin dann zurück nach Manhattan gekommen, um mir ein Leben aufzubauen. Ich wohne nicht mehr Zuhause bei Kaylen, sondern in einer eigenen Wohnung.

Außerdem versuche ich gerade in der Kanzlei aufzusteigen, in der ich jetzt arbeite."

„Das hört sich wunderbar an.", meinte ich ehrlich und doch irgendwie traurig, dass ich kein Teil davon war.

„Danke nochmal." Er knuffte meine Schulter auf freundschaftliche Weise. „Du bist der Grund, warum ich jetzt so glücklich bin. Danke."

Hast du's gehört Mona? Du bist Schuld!

„Gerne." Und lächeln.

Und bei dir so? Du studierst doch jetzt, nicht wahr?", erkundigte er sich und zog eine Augenbraue hoch.

„Ja, genau. Yale.", versuchte ich so wenig angeberisch wie möglich zu sagen. „Ich bin gerade zu Besuch hier bei meiner Familie."

„Wo wohnst du denn dann eigentlich?" Er warf mit den Händen die Lederjacke zurück und legte die tätowierten Hände an die Hüften.

Das war mir jetzt irgendwie unangenehm.

„Ich teile mir momentan eine Studentenwohnung mit Rylie.", antwortete ich so knapp wie möglich.

Ryder runzelte die Stirn. „Eine Freundin vom College?"

„Eher sowas wie... mein Freund.", erklärte ich schluckend.

In seinem Gesicht machte sich die Erkenntnis breit. Etwas anderes konnte ich daraus nicht lesen.

„Das ist echt super, ich freu mich.", meinte er schließlich und lächelte mir ins Gesicht.

Der lange Augenkontakt verpasste mir eine Gänsehaut.

„Warum hast du nie angerufen?", platzte ich heraus. Die Frage hatte wie ein wütender Bär in einer Höhle geschlummert. Nun hatte ihn jemand aufgeweckt und provoziert, also griff er an.

Truth or LiesWhere stories live. Discover now